Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-567-5
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Die Nacht war still und stockfinster. Die letzten Brände, die überall im Hafengebiet gelodert hatten, waren erloschen. Das Feuer hatte keine Nahrung mehr gefunden. Über Tortuga lag die Stille der verlorenen Schlacht.
Ein Bombardement wie dieses hatten die Piraten der Insel noch nie erlebt. Der Schwarze Segler, die „Isabella“ und die große, stark armierte Galeone der Roten Korsarin, „Roter Drache“, ankerten in der Hafenbucht. Ihre dunklen Silhouetten ragten drohend aus dem Wasser auf, den Rohren ihrer Geschütze entströmte noch immer eine leichte Wärme, Überbleibsel des stundenlangen Feuers, das auf Tortuga herniedergegangen war und die Piraten in ihre Schlupfwinkel zwischen den Felsen der Insel gejagt hatte.
Ausgebrannte Wracks, gekenterte Galeonen und Karacken, zerschossene Schaluppen lagen im Hafen herum, stumme Zeugen der Vergeltung, die der Seewolf, der Wikinger und die Rote Korsarin für den hinterhältigen Angriff Don Boscos auf die Schlangeninsel geübt hatten.
Am Schanzkleid der „Isabella“ lehnten Dan O’Flynn und Sam Roskill und starrten sehnsüchtig zur Küste hinüber, wo sich der Seewolf, Siri-Tong und Thorfin Njal, der Wikinger, mit ihren Crews amüsierten, um ihren Erfolg über den Schnapphahn Don Bosco und seinen mörderischen Anhang zu feiern.
Dan leckte sich die Lippen und fluchte unterdrückt.
„Ich wette, Carberry hat beim Knobeln gemogelt“, stieß er wütend hervor. „Ich hatte mit den Würfeln siebzehn Augen, und er wirft drei Sechsen!“
Sam Roskill begann zu grinsen.
„Du hättest ihn nicht mit seinen eigenen Würfeln werfen lassen dürfen“, erwiderte er.
„Du meinst …“ Dan hatte das Gefühl, vor Wut platzen zu müssen. „Dieser Hundesohn, dieser dreimal verfluchte Affenarsch! Wenn der zurück ist, werde ich ihm seine Würfel stibitzen und sie mir ansehen. Und Gnade ihm Gott, wenn sie nicht in Ordnung sind! Ich werde …“
„Reg dich nicht auf, Dan“, sagte Sam. „Wir sind doch nicht …“
„Halt deine verdammte Schnauze, oder ich polier dir die Fresse, du verdammter englischer Irentöter!“
Sam Roskill hob grinsend die Schultern und schwieg. Wenn Dan in dieser Verfassung war, mußte man ihn in Ruhe lassen. Sicher, auch er ärgerte sich, daß er Bordwache schieben mußte, statt in der „Schildkröte“ zu sitzen und Diegos Wein zu schlürfen und sich eines der feurigen spanischen Mädchen zu holen, um ihr zu zeigen, was ein Engländer alles auf die Beine stellen konnte.
Aber sie hatten nun mal das Pech gehabt, beim Knobeln zu verlieren. Sie waren nicht die einzigen.
Sam drehte sich um und suchte Batuti, der ebenfalls an Bord hatte zurückbleiben müssen, aber der Schwarze war nicht zu sehen. Wahrscheinlich hatte er sich irgendwo aufs Ohr gehauen. Warum auch nicht? Was konnte ihnen hier schon passieren? Die Piraten Don Boscos hatten so gewaltig was auf den Hut gekriegt, daß sie sich von der Niederlage wohl kaum erholen würden. Ohne ihren Anführer und seine beiden Spießgesellen Pablo und Nuno waren sie ein Nichts. Diejenigen, die den Seewölfen und den Leuten des Wikingers und Siri-Tongs hatten entkommen können, hockten jetzt wahrscheinlich in irgendwelchen Rattenlöchern und würden sich erst wieder herauswagen, wenn die „Isabella“, der „Rote Drache“ und der Schwarze Segler die Bucht von Tortuga wieder verlassen hatten.
Sam warf einen Blick hinüber zu den beiden anderen Schiffen, die unweit der „Isabella“ vor Anker lagen. Er grinste. Auch dort würden Männer fluchen, weil sie nicht an der Feier in der Schildkröte teilnehmen durften.
„Wo ist eigentlich Batuti?“ fragte Dan grollend.
„Vielleicht hat er sich irgendwo aufs Ohr gehauen“, erwiderte Sam Roscill grinsend, wohlwissend, daß Dan bei dieser Antwort in die Luft gehen würde.
„Aufs Ohr gelegt?“ brüllte Dan, daß Arwenack, der im Mars nach all den Aufregungen der vergangenen Tage seine Nachtruhe genoß, aufgeregt zu kekkern begann.
„Halt du auch die Schnauze!“ schrie Dan hinauf. „Sonst binde ich dich mit deinem Schwanz an einen Tampen und lasse dich hinter der ‚Isabella‘ herschwimmen, wenn wir zur Schlangeninsel zurückkehren!“
Arwenack verstummte.
„Verdammt“, sagte Sam Roskill grinsend, „der versteht jedes Wort, was du sagst. Vielleicht liegt das an eurer gemeinsamen Herkunft.“
Dan kriegte für einen Augenblick keine Luft. Sein Gesicht lief dunkel an, was Sam aber nicht sehen konnte, weil der Mond gerade wieder hinter einer dichten Wolkendecke verschwunden war. Zum Glück sah er auch nicht, wie Dans Hand hinten zur Hüfte fuhr und sich auf die gekürzte Pike legte, sonst wäre er sicher ein paar Schritte zurückgewichen und hätte sich in Sicherheit gebracht.
Oh, ja. Dan O’Flynn war voll bis an die Ohren vor Wut. Nicht so sehr auf Sam. Der konnte ja nichts dafür, daß er, Dan, Bordwache schieben mußte. Aber Sam war nun mal der einzige, an dem er seine Wut auslassen konnte.
Dan dachte voller Grimm an Carberry, der ihn mit den Würfeln offensichtlich beschissen hatte, und er dachte, an seinen Alten, der ihm die Bitte abgeschlagen hatte, für ihn an Bord zurückzubleiben.
„Du hast doch in deinem Leben schon genug gesoffen“, hatte er gesagt. „Du mußt doch einsehen, daß auch die Jugend mal zu ihrem Recht kommen muß.“
„Söhnchen“, hatte der Alte wohlwollend und mit einem leichten Grinsen erwidert, „werde erst mal trocken hinter den Ohren, dann kannst du daran denken, mit älteren Männern einen Schluck zu trinken. Und was sollen die Mädchen mit einem Spund wie dir anfangen? Erst neulich hat mir eine erzählt, daß ihr mit eurem Spaß schon immer am Ende seid, wenn sie sich darauf freut, daß es endlich losgeht.“
Dan war die Spucke weggeblieben, und ehe er seinem Alten die gebührende Antwort hatte geben können, war Old O’Flynn schon verschwunden gewesen. Einen Augenblick, nachdem die gesamte Crew bis auf Sam und Batuti das Schiff verlassen hatten, hatte er mit dem Gedanken gespielt, die „Isabella“ auf Grund zu setzen, was ihm das Recht gegeben hätte, ebenfalls an Land zu gehen. Zum Glück hatte er sich eines anderen besonnen und war mißmutig zu Arwenack in den Mars gekrochen, um sich erst einmal zu beruhigen.
Und nun fing Sam Roskill wieder von vorne an!
Dan hatte seine gekürzte Pike schon halb aus der Schärpe an der Hüfte gezogen, als neben ihm ein Schatten auftauchte. An der Größe des Schattens erkannte er, daß es sich um Batuti handelte.
„He, ich denke, du pennst“, sagte Dan.
„Nix pennen.“ Eine Zahnreihe und zwei große Augäpfel blitzten durch die Dunkelheit. „Der Kutscher sein schlaues Aas, aber Batuti sein schlauer.“
Batutis rechte Hand schob sich vor, und Dan spürte, wie etwas Rundes, Hartes seinen Bauch berührte. Er ließ die Pike los und griff danach.
Ein leises Pfeifen drang an Sam Roskills Ohr.
„Was habt ihr da?“ fragte er.
„Mann, Batuti, du bist der raffinierteste Hund nach mir auf diesem verrotteten Kahn“, sagte Dan. Er lachte leise in sich hinein.
Sam Roskill wußte immer noch nicht, was los war, doch als die Wolkendekke auf einmal etwas dünner wurde und der Mond wie hinter einem Schleier am Himmel aufzog, sah er, wie Dan eine dickbauchige Flasche an die Lippen setzte. Es gluckerte vernehmlich.
„Aaaah“, stieß Dan wohlig hervor. „Das Ding ist zwar nur noch halbvoll, aber für mich und dich wird es reichen, Batuti.“
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