Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-598-9
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Die See war glatt wie seit Stunden. Über Juan de Faleiros Geiergesicht huschte ein befriedigtes Grinsen, als er mit der rechten Hand die Seekarte glattstrich, auf der er den Kurs verzeichnet hatte, den die französische Galeone „Mercure“ aller Wahrscheinlichkeit nach segeln würde.
Das dumpfe Pochen der Trommel, mit dem der Zuchtmeister den Takt für die Ruderer angab, klang wie Musik in seinen Ohren. Die „Mercure“ würde bei dieser Windstille nicht eine Seemeile am Tag segeln, er dagegen konnte mit seinen einhundertsechzig Rudersklaven in vierundzwanzig Stunden fast zweihundertvierzig Seemeilen zurücklegen.
Als sie aus dem Hafen Damiette ausgelaufen waren, hatte der Wind aus Norden geblasen, also würde die „Mercure“ Westen zum Norden steuern, damit sie Luvraum gewann, den sie brauchte, um Cyrene, die Spitze der Cyrenaika zu passieren und die Straße von Sizilien anzulaufen.
Juan de Faleiro wußte, daß er mit seiner Galeasse eindeutig im Vorteil war. Er konnte segeln und rudern. Mit den vierzig Riemen, die von je vier Ruderern bedient wurden, war er nicht auf günstigen Wind angewiesen. Nur bei heftigem Seegang, wenn es unmöglich war, die Riemen im Gleichklang durch das aufgewühlte Wasser zu peitschen, war er im Nachteil. Aber danach sah es zum Glück nicht aus.
In Juan de Faleiros kleine, stechende Augen trat ein gemeines Glitzern, als er daran dachte, was er mit den Engländern anstellen würde, wenn er sie in die Finger kriegte. Die Wut fraß ihn jedesmal auf, wenn er an die Schmach zurückdachte, die ihm diese Höllensöhne beigebracht hatten.
O ja, er erinnerte sich an jede Einzelheit, als ob es gestern erst geschehen wäre!
Er sah noch den jungen Burschen, den er hatte zwingen wollen, seinen eigenen Kameraden auszupeitschen. Der verdammte Kerl hatte statt dessen den Aufseher mit seiner Eisenfessel niedergeschlagen, einen der Seesoldaten mit einem Tritt vom Laufgang zwischen die Ruderbänke befördert und einem dritten die Muskete entrissen. Und dann – ja, dann hatte er noch das Mündungsfeuer und die Pulverdampfwolke gesehen, die aus der Mündung der Muskete hervorgequollen waren. Ein harter Schlag wie von tausend Nadeln gleichzeitig hatte ihn auf der Brust getroffen. Er hatte sich selbst schreien hören, dann war sein Bewußtsein von einem Augenblick zum anderen ausgelöscht gewesen.
Juan de Faleiro zitterte am ganzen Körper. Die Erinnerung brachte ihn fast um den Verstand. Er dachte daran, daß er ein paarmal mit dem Gedanken gespielt hatte, Schluß zu machen mit dem Leben, nachdem die spanische Marinebehörde ihn zum Sündenbock gestempelt und ihm den Verlust der Silbergaleone „San Mateo“ angelastet hatte, die von den Engländern gekapert und nach England entführt worden war.
Seine Verwundung war geheilt, nicht aber sein Haß auf die Engländer, die dafür verantwortlich waren, daß er immer noch im Mittelmeer stationiert war und eine Galeasse befehligte, statt, wie es ihm zustand, eine Kriegsgaleone zu führen.
Es war wie ein Schlag für ihn gewesen, als er im Hafen von Damiette diesen Schlachtruf „Arwenack“ gehört hatte, der ihm seit Jahren in seinen Alpträumen in den Ohren hallte. Und als er erkannt hatte, daß es dieselben Engländer von damals waren, die an Bord der „Mercure“ gingen, hatte für ihn festgestanden, daß die Zeit der Rache angebrochen war. Er hatte sofort Befehl zum Auslaufen gegeben, und er war fest entschlossen, das französische Schiff bis in den Atlantik zu verfolgen, um der verfluchten Engländer habhaft zu werden, die ihn in seinen bösen Träumen quälten und ihm keine Ruhe ließen.
Juan de Faleiros Kopf ruckte von der Karte hoch, als das dumpfe Pochen plötzlich abriß. Er hörte laute Stimmen über sich und sprang fluchend auf. Deutlich spürte er, daß die Riemen die Galeasse nicht mehr vorwärtsrissen. Mit ein paar Sätzen war er an dem Niedergang, der von seiner Kammer hinauf auf die achtere Plattform führte. Schnell wie eine Ratte huschte er hinauf und rannte oben fast seinen Ersten Offizier um.
„Was ist hier los, Señor Valencia?“ brüllte er aus Leibeskräften. Sein Geiergesicht mit den stechenden, dunklen Augen und den messerrükkendünnen Lippen war dunkelrot angelaufen. Die Perücke saß etwas schief auf seinem Glatzkopf. Er bot einen erheiternden Anblick, dennoch wagte niemand auch nur den Anflug eines Grinsens.
Jesus Valencia trat einen Schritt zur Seite, so daß der Blick für den Kapitän auf den Laufgang zwischen den Duchten frei wurde. Der Erste Offizier hatte die Lippen fest aufeinandergepreßt, als er mit der ausgestreckten Linken auf vier Rudersklaven wies, die zusammengebrochen waren.
Einer der Aufseher, die mit langen Lederpeitschen auf dem Laufgang patrouillierten, holte nach einem kurzen Nicken de Faleiros mit seiner Peitsche aus und ließ sie auf die Rükken der beiden Ruderer an dem dritten Steuerbordriemen klatschen. Die beiden zusammengebrochenen Männer gaben nicht einmal einen Schmerzenslaut von sich. Einer versuchte, sich noch einmal aufzurichten und mit den beiden anderen Ruderern, die mit ihm zusammen auf der Ducht saßen, den Riemen anzuheben. Aber sie schafften es nicht. Der vierte war bewußtlos, sein schwerer Körper lag über dem Riemen.
„Gebt den verfluchten Hundesöhnen die Peitsche!“ kreischte der Kapitän.
Ohne mit der Wimper zu zucken, folgten die Aufseher dem Befehl Juan de Faleiros.
Der Erste Offizier zitterte vor Zorn.
„Señor Capitán!“ stieß er gepreßt hervor. „Sehen Sie nicht, daß die Leute zu Tode erschöpft sind? Wenn Sie die Männer weiter so schinden, werden wir bald die Hälfte von ihnen verlieren. Sie rudern ununterbrochen seit zwölf Stunden! Lassen Sie endlich eine Pause einlegen!“
Juan de Faleiro spuckte Gift und Galle.
„Sie vergessen eines, Señor Valencia“, erwiderte er mit zornbebender Stimme, „auf diesem Schiff gibt nur einer Befehle, und das bin ich!“
Wieder gab er den Aufsehern einen Wink, die zusammengebrochenen Ruderer mit Peitschenhieben zum Weiterpullen zu bewegen. Die Aufseher peitschten drauflos, als ob es ihnen Freude bereite, die grausame Arbeit auszuführen.
Jesus Valencia tauschte einen kurzen Blick mit Carlos Mendez, dem Zweiten Offizier der Galeasse „San Antonio“. Doch der hob nur die Schultern. Sein Blick drückte ebenfalls Abscheu aus, doch er schien nicht bereit, sich deswegen mit dem Kapitän anzulegen.
Juan de Faleiro schob sich an den beiden Offizieren vorbei und blieb neben der Ducht, auf der die beiden bewußtlosen Rudersklaven saßen, stehen. Er starrte auf die Männer, deren Rücken blutüberströmt waren. Jähzornig riß er plötzlich einem der Aufseher die Peitsche aus der Hand und schlug selbst auf die Männer ein. Er traf dabei auch andere, doch ihr Geschrei schien ihn nur noch wütender werden zu lassen.
Jesus Valencia hielt es nicht mehr aus. Er schüttelte die Hand des Zweiten Offiziers ab, der ihn zurückhalten wollte, und lief auf den Kapitän zu.
„Señor Capitán!“ rief er empört. „Sie schlagen die Männer tot!“
Juan de Faleiro drehte sich abrupt um, und einen Moment sah es aus, als ob er mit der Peitsche auf seinen Ersten Offizier einschlagen wollte. Doch im letzten Augenblick hielt er sich zurück. Er übergab die Peitsche wieder dem Aufseher.
„Das ist Insubordination, Señor Valencia“, sagte er mit eiskalter Stimme, die dem Ersten Offizier einen Schauer über den Rücken jagte. „Ich hätte nicht wenig Lust, Sie anstelle der ausgefallenen Sträflinge ans Eisen zu schmieden!“
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