Sie tat es nicht.
Sie setzte sich plötzlich quer auf den Hintern, beugte den Kopf nach rechts, hob den rechten Hinterlauf und bürstete sich hinter dem rechten Ohr. Sie tat es mit Genuß und sehr ausgiebig.
Hasard stierte und wälzte Zweifel, ob Plymmie bei der Sache war. Außerdem meinte er zu bemerken, daß die beiden Lümmel bis zu den Ohren grinsten. Die amüsierten sich über ihre Lady, der das Fell hinterm Ohr juckte. Ein verdammter Floh, oder was?
Plymmie beendete ihre interessante Tätigkeit, reckte den Kopf, gähnte – mein Gott, die gähnte! – und hoppelte weiter.
Doch dann wurde sie unruhig – und schneller. Hasard sah, wie ihr seine beiden Söhne ins Nackenhaar griffen und sie bremsten. Aber sie wollte weiter und rebellierte, bis Jung Hasard einen scharfen Zischlaut ausstieß. Da legte sie sich flach auf den Bauch, aber die Ohren gespitzt und den Kopf in eine bestimmte Richtung gewandt.
„Laß mich vor, Sir“, flüsterte Batuti am Ohr Hasards.
Hasard nickte stumm. Mit einem kurzen Blick zurück sah er, daß seine Mannen zu Salzsäulen erstarrt waren, zu geduckt lauernden Salzsäulen, die Musketen im Hüftanschlag.
Batuti passierte das Trio, glitt geschmeidig weiter und verschwand in dem graugrünen Dunkel der Blätter, Lianen und sonstigen Schlinggewächse, die hier wucherten. Auch das geschah lautlos. Ebenso war kaum bemerkbar, daß da und dort eine Bewegung in der Blätterwand entstand, die nur einen winzigen Lidschlag lang andauerte.
Sie warteten, gespannt wie die Sehnen von schußbereiten Bogen, alle Sinne dorthin konzentriert, wohin Batuti verschwunden war.
Seine Rückkehr war weniger lautlos. In der bisherigen Stille wirkte sie fast brutal. Er brach wie ein Büffel aus dem Dickicht.
„Das Lager ist geräumt!“ rief er.
Hasard richtete sich aus der geduckten Haltung auf, überrascht, verblüfft.
„Bist du sicher?“
„Aye, Sir.“ Das klang endgültig.
Hasard blieb mißtrauisch. „Keine Falle?“
Batuti schüttelte den Kopf. „Sie haben fünf Tote zurückgelassen.“
„Das besagt nichts.“
„Mag sein.“ Batutis Zähne leuchteten. „Aber da sind viele Spuren. Sie führen nach Süden. Außerdem“, Batutis Hand deutete auf Plymmie, „sie hat eine Witterung für Tote und Lebende. Sie wollte die Toten beschnüffeln. Bei Gefahr hätte sie sich anders verhalten.“
„Stimmt“, sagte Philip junior und drehte sich zu seinem Vater um. „Plymmie hatte das längst spitz.“ Und dann haute er mit dem Knüppel drauf und fügte hinzu: „Sogenannte Wauwaus hätten das wohl erst übermorgen bemerkt – oder gar nicht.“
Hasard entspannte sich und winkte ab. „Schon gut, schon gut, Plymmie ist kein Wauwau, in Ordnung. Aber sie hat Flöhe.“
„Hat sie nicht!“ fauchte Hasard junior. „Mich juckt’s auch manchmal hinterm Ohr, aber nicht, weil dort Flöhe sitzen.“ Er ruckte den Kopf zu Bruder Philip. „Oder hab’ ich Flöhe?“
Bruder Philip feixte bis zu den Ohren. „Sowenig wie der Kapitän der ‚Santa Barbara‘ – oder soviel! Weiß man’s? Er krabbelt sich auch hin und wieder hinterm Ohr, nicht?“
„Genau!“ tönte das Bruderherz Hasard. „Du sagst es …“
„Diskutieren wir hier über Flöhe?“ fuhr Vater Hasard dazwischen.
„Mit dem Thema hast du angefangen, Sir, nicht wahr?“ entgegnete Philip junior prompt. „Oder wie ist das?“
„Thema durch“, knurrte Vater Hasard. „Laßt Plymmie los. Ich möchte wissen, ob sie noch etwas entdeckt.“
„Such!“ rief Hasard junior. Sie entließen Plymmie mit einem Klaps auf die Schulter. Die Hündin schnürte davon.
Vater Hasard kratzte sich hinter dem Ohr, ziemlich nachdenklich. Und als ihm bewußt wurde, was er tat, ließ er die Hand hastig sinken. Vor ihm grinsten Batuti und die beiden Junioren, und als er sich umdrehte, war das bei seinem Haufen nicht anders. Die amüsierten sich auf seine Kosten. Weil er Flöhe hatte, nicht wahr? Aber, bei Gott, er hatte keine. Bande, verdammte!
Hasard räusperte sich und sagte: „Kann mir mal einer verraten, warum die Kerle abgezogen sind? Sie hätten uns hier eine schöne Falle stellen können, nicht wahr? Nehmen wir mal an, sie hätten es geschafft, uns nahezu lautlos abzuräumen. Dann wäre es ihnen auch nicht weiter schwergefallen, sich unsere Galeone und die beiden Schaluppen anzueignen. Warum haben sie das nicht getan?“
„Sie hatten die Schnauze voll“, sagte Dan O’Flynn, der Hasard am nächsten stand.
Hasard schüttelte den Kopf. „Das leuchtet mir nicht ein. Sie sind hier mit vier Schaluppen erschienen, haben also eine bestimmte Strecke auf dem Wasser zurückgelegt, und zwar von einem Stützpunkt aus, der wiederum auch nur auf dem Wasserweg zu erreichen ist. Sie sind auf den Besitz von Schiffen angewiesen. Ohne Schiffe hätten sie hier festgesessen – und sie saßen ja fest.“
„Vielleicht haben sie einen Stützpunkt ganz unten im Süden dieser Küste“, sagte Dan O’Flynn. „Und dorthin schlagen sie sich jetzt durch. Bei ihren Rodungsunternehmen bezüglich der Muskatnußbäume hier oben war’s natürlich bequemer, mit Schaluppen heraufzusegeln, statt sich durch den Verhau des Urwalds zu quälen, wo sie sich jeden Schritt mit Äxten und Messern erkämpfen müssen.“
„Kann sein, kann auch nicht sein.“ Hasard wiegte den Kopf. „Das sind doch gewalttätige Kerle, und wenn ich davon ausgehe, dann begreife ich nicht, daß sie den unbequemen und mühseligen Weg durch den Urwald nehmen, statt in der gewohnten Manier draufzuschlagen und sich unsere Schiffe zu schnappen.“
Hinter Hasard sagte Philip junior ziemlich kühl: „Sir, wenn ich mir einen Vorschlag erlauben darf: Vielleicht sollten wir darüber später diskutieren. Wie ich das sehe, schleichen sich unsere beiden anderen Trupps ziemlich nutzlos ans Lager, ich meine, ohne zu wissen, daß es bereits geräumt ist.“
Hasard blickte Don an und murmelte: „Die gehen mir heute auf den Geist, diese beiden Gentlemen. Offenbar halten sie mich für einen Trottel!“ Er drehte sich langsam um und fixierte seinen Sohn Philip. „Ich versuche, ein bißchen vorauszudenken, Mister Killigrew, wenn’s recht ist. Und Plymmie ist noch nicht zurück. Oder ist sie das?“
„Nein, Sir.“
Aber auch diese Runde ging an die Junioren, denn Philip hatte kaum ausgesprochen, da stellte sich die Hundelady ein, schwanzwedelnd und offenbar guter Laune.
„Sie hat nichts entdeckt, Sir“, sagte Hasard junior mit einer gewissen Süffisanz in der Stimme und fügte an: „Wenn’s recht ist.“
„Beim nächstenmal“, sagte Vater Hasard so ein bißchen klirrend, „solltet ihr wohl besser beim Kutscher oder bei Mac in der Kombüse Gemüse putzen oder Töpfe schrubben oder Will Thorne beim Flicken von Segeln zur Hand gehen.“
„Aye, Sir, sehr gern“, erklärte Philip junior, „dann mußt du natürlich auf den Wauwau verzichten, mit dessen Verhaltensweise nur Hasard und ich vertraut sind – wenn’s recht ist!“
„Ah!“ sagte Vater Hasard. „Jetzt hab’ ich’s kapiert. Ihr hackt auf mir herum, weil ich eure Plymmie als Wauwau bezeichnet habe.
Stimmt’s?“
„Aye, Sir, stimmt“, erwiderte Hasard junior. „Und weil du ihr Flöhe ans Fell gejubelt hast.“
„Ich bitte um Entschuldigung“, sagte Vater Hasard, „wenn’s recht ist.“
„Aye, Sir, ist recht“, sagte Philip junior.
Und damit war diese Sache zwischen dem Vater und seinen beiden Söhnen entschieden. Aber Vater Hasard war sich darüber klar, daß ein unbedachtes Wort genügte, seine beiden Sprößlinge in eine Resistenz zu bringen, die einem weiß Gott die Schuhe ausziehen konnte.
Verdammt, verdammt, dachte er, da mußt du scharf aufpassen, Vater Hasard. Sie zeigen dir die Zähne – und nicht mal schlecht. Und da grinste er.
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