Die beiden Eleganten wandten sich ihm zu. Sie trugen blitzblanke Schnallenschuhe, weiße Strümpfe und Beinkleider aus weichem, schwarzem Leder, das bei nur flüchtigem Hinsehen wie Samt wirkte. Das Wams des Mannes namens Cóstola war aus Streifen von schwarzem Samt und roter Seide zusammengefügt und mit kunstvollen Stickereien aus Silberfäden verziert.
Das große Barett, das er sonst auf dem Rabenkopf zu tragen pflegte, hing in einer Schlaufe an der linken Hüftseite seines Wamses. Die Oberbekleidung des jüngeren Mannes war aus einfachem schwarzem Stoff gefertigt und hatte etwas Uniformhaftes. Über eine Kopfbedeckung schien er nicht zu verfügen.
Blacky rang sich zu einem Gruß durch, der noch halbwegs freundlich klang. Der öligen Höflichkeit dieser sardischen Gentlemen konnte er beim besten Willen nicht nacheifern.
„Oh, Sie stammen nicht aus Sardinien?“ rief Cóstola, als hätte er ein sorgsam gehütetes Geheimnis aufgedeckt. „Wenn ich Ihren Akzent richtig deute, sind Sie auch kein Italiener und ein Spanier schon gar nicht.“
„Sie deuten richtig“, entgegnete Blacky und nickte. „Ich bin Engländer.“
„Ah, wie interessant!“ Cóstola faltete die Hände über der Magengegend. „Ein Engländer in diesen von Spanien beherrschten Gewässern! Sehr mutig, Signor, wirklich sehr mutig.“
„Meine Freunde und ich sind Seefahrer. Wir führen keinen Privatkrieg.“
„Also Handelsfahrer?“
„So kann man es nennen.“
„Haben Sie auch einen Namen?“
Der breitschultrige Mann aus der Crew des Seewolfs grinste. „Ich werde Blacky genannt. Aber es wurde schon mehrfach angezweifelt, ob man das als einen Namen bezeichnen kann.“
„Oh, ich kann mir gut vorstellen, wie so etwas entsteht“, erwiderte der Rabengesichtige mit hochgezogenen Brauen. „In Seefahrerkreisen gelten besondere Gesetze, nicht wahr? Mit der Namensgebung, wie mit vielen anderen Dingen, nimmt man es da nicht übermäßig genau. Habe ich recht?“
„Sie kennen sich aus“, antwortete Blacky und wunderte sich insgeheim, daß der andere seinen Spott nicht zu bemerken schien.
Cóstola lächelte, sah Blacky noch einen Moment schweigend an und wandte sich dann dem Händler und seiner Tochter zu. Der Leibwächter folgte dem Beispiel des Rabengesichtigen. Mit einer knappen Handbewegung forderte er Porfirio Nócciolo auf, zu berichten.
Der Händler schilderte das Geschehen und übernahm dabei die Version, die sich Gigliola ausgedacht hatte. Cóstola nickte und rümpfte die Nase, als er den Seeteufel einer kurzen Prüfung unterzog. Der Leibwächter tat es ihm auch diesmal nach. Er hatte etwas Papageienhaftes.
„Nun“, sagte der Rabengesichtige mit der Gewichtigkeit eines über alle Alltäglichkeiten erhabenen weisen Mannes. „Wir wollen den Vorfall nicht aufbauschen, mein lieber Nócciolo. Aber über eins müssen wir uns doch wohl im klaren sein: Es geht beim besten Willen nicht, daß auf dieser Piazza, in dieser Stadt, mit verdorbener Ware gehandelt wird. Und die Geschichte mit den Musterexemplaren wollen Sie mir doch wohl nicht ernsthaft unterjubeln, nicht wahr?“
Porfirio preßte die Lippen aufeinander und blickte betreten auf den Tisch mit den „Beweisstücken“.
Gigliola holte tief Luft und wollte zu einer energischen Erwiderung ansetzen.
Doch Cóstola sorgte mit einer dämpfenden Handbewegung dafür, daß sie nicht erst den Mund auftat.
„Ziehen wir einen Schlußstrich“, sagte er mit unvermittelter Schärfe. „Ich werde Don Marcello vorerst nichts über den Vorfall berichten. Sie wissen, daß er es nicht schätzt, wenn die von ihm protegierten Händler einen schlechten Ruf erlangen. Sollte ich oder ein anderer aus unserem Freundeskreis aber noch einmal etwas Derartiges hören, werde ich gezwungen sein, Don Marcello die ungeschminkte Wahrheit offenzulegen. Sie wissen, was das bedeutet, Nócciolo.“
Der Händler senkte den Kopf wie ein kleiner Junge, der von seinem Vater bei einem bösen Streich ertappt worden ist. Auch Gigliola, vor wenigen Minuten noch voller Kampfeswillen, wagte kein Widerwort mehr.
Die beiden Eleganten wandten sich ab, bedachten Blacky noch mit einem letzten prüfenden Seitenblick und stolzierten über die Piazza davon. Überall zwischen den Marktständen wurden sie ehrerbietig gegrüßt.
Blacky trat auf den Verkaufsstand zu.
„Ich will mich nicht einmischen“, sagte er. „Da ich aber schon als Zeuge benannt wurde, würde ich doch gern erfahren, was es bedeutet, wenn dieser Don Marcello die ungeschminkte Wahrheit erfährt.“
„Um Himmels willen!“ flüsterte Porfirio Nócciolo erschrocken. „Hüten Sie Ihre Zunge, junger Freund!“
„Das ist Blacky, Papa“, erklärte Gigliola rasch. „Wir haben uns vorhin kennengelernt, als du mit der Signora …“
Nócciolo richtete flehentlich die Augen nach oben. „Der Himmel bewahre mich vor weiteren Begegnungen dieser Art! Mein Gott, was habe ich nur verbrochen, daß mir so ein Unglück widerfahren muß!“
„Das weißt du genau“, sagte Gigliola mit neu erwachender Energie. „Hättest du nicht versucht, der Signora den stinkenden Seeteufel aufzuschwatzen, wäre überhaupt nichts passiert.“
„Wer, zum Teufel, ist Don Marcello?“ fragte Blacky hartnäckig. „Und wer ist dieser Cóstola, daß ihr vor ihm kuscht?“
Porfirio Nócciolo sah ihn mit geweiteten Augen an, als hätte er einen schlimmen Frevel begangen.
Gigliola war realistischer. „Du kannst es natürlich nicht wissen“, sagte sie. „Don Marcello Struzzo ist der mächtigste Mann in der Stadt. Wer auf seiner Seite steht, ist seiner Schutzorganisation angeschlossen, das heißt, es kann ihm nie etwas passieren. Man muß allerdings gewisse Bedingungen erfüllen.“
„Zum Beispiel eine Schutzgebühr zahlen“, sagte Blacky grimmig.
„Woher weißt du das?“ entgegnete Gigliola erstaunt.
„Wir waren in Sizilien. Da haben sie ähnlich merkwürdige Gepflogenheiten.“
„Für uns ist das absolut nicht merkwürdig, Blacky. Wir müssen uns nach den geltenden Machtverhältnissen richten. Don Marcello ist daran interessiert, daß unsere Geschäfte gut laufen. Denn die Schutzgebühr wird nach der Höhe des Umsatzes berechnet. Deshalb hat Signor Cóstola natürlich sofort eingegriffen, als er sah, daß es hier einen Streit gab. Signor Cóstola ist Don Marcellos engster Vertrauter und sein Stellvertreter.“
„Interessant“, sagte Blacky grinsend. „Und vor wem oder was schützen sie euch, die sehr Ehrenwerten?“
„Vor allem möglichen Gesindel. Dieben, Betrügern, Plünderern.“
„So etwas gibt es auf diesem Markt nicht mehr, seit Don Marcello den Schutz übernommen hat“, fügte Porfirio Nócciolo hinzu.
Blacky nickte. Er grinste immer noch. „Aber es kann passieren, daß einem, der die Schutzgebühr nicht rechtzeitig zahlt, der ganze Stand in Stücke geschlagen wird.“
„Mach dich nur darüber lustig“, erwiderte Gigliola vorwurfsvoll. „Für uns ist es bitter.“
„Fangt nicht auch noch an, euch zu streiten“, sagte Porfirio. Er sah sich um, ließ seinen Blick über das traurig welke Gemüse gleiten und gab sich einen Ruck. „Mit dem heutigen Tag ist sowieso nicht mehr viel anzufangen. Wir packen ein und gehen nach Hause. Sie sind eingeladen, Signor Blacky. Wir haben einen guten Tropfen im Keller, und Gigliola wird Ihnen eine Pasta bereiten, von der Sie in allen folgenden Nächten träumen.“
Blacky bedankte sich für die Einladung und sah Gigliola an, ohne daß ihr Vater es merkte. Sie lächelte verschmitzt, denn sie wußte, daß Blacky spürte, wie groß die Hoffnung ihres Vaters auf einen Schwiegersohn war.
Aus dem Abzugsrohr quoll der Rauch des Kochfeuers und vermischte sich mit den mittäglichen Dünsten im Hafen von Cagliari auf Sardinien. Zusätzlich wehte Wasserdampf in dicken Schwaden aus dem offenen Kombüsenschott.
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