Blacky trat einen Schritt vor und sah, was sich abspielte. Diese kaufmännisch vorgebildete Händlerstochter war ein verteufeltes kleines Luder. Mit tiefem Augenaufschlag, und indem sie ihren Busen noch ein wenig deutlicher in Szene setzte, brachte sie den armen Kerl völlig in Verwirrung.
Fabrizio rang nach Atem und bemühte sich krampfhaft, seinen angetrauten weiblichen Koloß nichts von seinem Blickkontakt bemerken zu lassen. Wäre eine freundliche Hexe erschienen, um Signora Breganza wegzuhexen – ihr bedauernswerter, unterdrückter Ehemann hätte vermutlich einen Freudenschrei ausgestoßen.
Ein tiefes Grollen entrann sich der Kehle der Signora. „Musterstücke?“ brüllte sie. „Ich höre wohl nicht richtig! Wollen Sie mich auf den Arm nehmen, Sie freche kleine Kröte?“
Gigliola wandte den tiefen Blick nicht von dem bemitleidenswerten Fabrizio.
„Das würde ich bei Ihrem Gewicht wohl kaum schaffen“, sagte sie laut und vernehmlich.
Ringsherum auf dem Marktplatz ertönte Gelächter.
Signora Breganza versetzte ihrem träumerischen Mann einen Hieb in die Seite, daß er kopfüber auf die Beweisstücke zustolperte. Mit knapper Not konnte er sich abstützen und sich selbst davor bewahren, daß er den Seeteufel küßte.
„Laß dir das nicht bieten!“ fauchte sie. „Laß es dir nicht bieten, daß deine Frau so beleidigt wird! Unternimm gefälligst etwas! Und sag dem alten Gauner, daß er uns zum Gericht begleiten wird! Jetzt und auf der Stelle!“
„Ich lasse es mir nicht bieten“, sagte Fabrizio mit schwärmerischen Gesichtsausdruck, ohne den Blick von der Glut der dunklen Augen Gigliolas losreißen zu können, „daß meine Frau so belei…“ Seine Stimme versiegte in einem schmachtenden Klang.
„Signora Breganza“, sagte Porfirio Nócciolo, indem er seinen ganzen Mut zusammenraffte, „ich möchte Ihnen etwas vorschlagen. Ich meine, wir könnten die Angelegenheit bereinigen, indem ich Ihnen kostenlos …“
Die Signora hatte ihn nicht beachtet, nicht einmal zugehört. Ihre Aufmerksamkeit hatte sich jäh auf den Blickwechsel zwischen ihrem Ehesklaven und der Händlerstochter konzentriert. Mit einem röhrenden Wutschrei stürzte die Kolossale auf den Verkaufstisch los und packte zu.
Gigliola konnte nicht mehr ausweichen. Die Signora war zu schnell, erwischte sie am Kragen ihrer Bluse und zog sie nach vorn. Gigliola schrie und wand sich verzweifelt – vergeblich. Ihr Vater versuchte, sie festzuhalten. Fabrizio hängte sich von rechts an sein massiges Eheweib.
Aber der Drachen war mit seiner Kraft allen dreien überlegen.
Blacky konnte es nicht mit ansehen, wie die zauberhafte Gigliola leiden mußte. Kurz entschlossen setzte er sich in Bewegung. Im Vorbeigehen ergriff er eine Scholle, die wahrhaftig fangfrisch zu sein schien. Mit einem weiteren schnellen Schritt näherte er sich der Signora von links und klatschte ihr die Scholle beidseits ins Gesicht.
Sie erstarrte, ließ Gigliola los und schüttelte die lästige Klette an ihrer rechten Körperhälfte ab.
Sie wandte sich zur Seite und war wieder der große, grimmige Bullenbeißer, der von einem vorwitzigen Pinscher angekläfft wurde.
Auf dem Marktplatz kehrte Stille ein.
Die Riesin blickte auf den Mann aus der Crew des Seewolfs hinunter. Einen Moment schien es, als würde sie vor Fassungslosigkeit nicht reagieren können.
Doch jäh packte sie zu, ergriff beide Schultern des schwarzhaarigen Mannes und ließ ihr rechtes Knie ruckartig hochfahren.
Blacky schaffte es mit Mühe, unter ihrem Griff wegzutauchen und auszuweichen. Sie stieß einen enttäuschten Knurrlaut aus und war in der nächsten Sekunde damit beschäftigt, ihr Gleichgewicht nicht zu verlieren. Blacky entfernte sich mit einem federnden Satz vom Verkaufsstand. Er entging damit der drohenden Gefahr, vom mörderischen Lebendgewicht der Signora erdrückt zu werden.
Doch es gelang ihr noch, sich am Rand des Verkaufsstandes festzuhalten. Sie wollte ihre Körpermasse herumwirbeln, um sich auf den vorwitzigen Fremden zu stürzen.
Eine Stimme hielt sie davon ab.
Der Befehl klang fast höflich.
„Seien Sie so nett und stiften Sie keinen Unfrieden, Signora.“
Die Zwei-bis-drei-Zentner-Frau erstarrte.
„Aber – ich …“ Ihr Mund klappte auf und zu wie bei einem Fisch auf dem Trockenen. Sie brachte kein Wort mehr hervor.
Blacky hatte sich ebenso erstaunt umgewandt wie Fabrizio. Gigliola und ihr Vater wirkten hinter dem Verkaufstisch wie versteinert. Sie starrten an der mächtigen Signora vorbei, die plötzlich wie umgewandelt war. Tatsächlich, sie schien um ein paar Zoll geschrumpft zu sein, so respektvoll war sie geworden.
Die beiden elegant gekleideten Männer fielen nicht einmal besonders auf. Viel auffälliger war nach Blackys Eindruck die rege Geschäftigkeit, die auf dem Marktplatz wieder eingesetzt hatte. Von einer Sekunde zur anderen gab es auf der gesamten Piazza keinen einzigen Neugierigen mehr.
Niemand interessierte sich mehr für das Geschehen beim Stand der Nócciolos. Der Auftritt des Drachens war zur Nebensache geworden. Das Feilschen um Fisch, Fleisch, Obst und Gemüse stand wieder im Mittelpunkt.
„Komm, Fabrizio“, sagte die Signora tonlos. Sie nahm ihren Ehemann bei der Hand. „Ich glaube, es ist besser, wir gehen nach Hause.“ Sie sah die Eleganten mit ehrfürchtigem Blick an, um festzustellen, wie deren Reaktion war.
„Wir danken für Ihre Einsicht, Signora“, sagte der Ältere der beiden Männer, lächelte und deutete eine Verbeugung an.
Der Drachen trabte davon, den willigen Fabrizio im Schlepp.
Die beiden elegant gekleideten Männer traten näher an den Verkaufsstand Porfirio Nócciolos und seiner Tochter heran. Dabei bedachten sie Blacky mit einem ausgiebigen, forschenden Seitenblick.
Der ältere der Signori war schlank und hatte ein Vogelgesicht. Mit dem glatt zurückgekämmten schwarzen Haar, der spitzen Nase und den dunklen Knopfaugen hatte er eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Raben.
Der jüngere Mann, bartlos, mittelblond und kräftig gebaut, schien eine Art Leibwächter zu sein. Im Gegensatz zu dem Rabengesichtigen, der nur einen Dolch mit prunkvoll ziseliertem Griff trug, war der junge Begleiter zusätzlich mit einer Pistole bewaffnet. Auch bei dieser Waffe handelte es sich um ein kostbares Stück.
Der Kolben, seitlich mit silbernen und goldenen Rankenmustern ausgelegt, hatte eine Bodenplatte aus reinem Gold. Zum Zuschlagen war dieser Kolben sicherlich weniger geeignet. Doch daran, daß aus dem Lauf der Waffe Kugeln aus reinem Blei verfeuert werden konnten, bestand nicht der geringste Zweifel.
„Ich würde gern erfahren, was vorgefallen ist“, sagte der Rabengesichtige in seiner höflichen und beinahe zurückhaltenden Art.
Blacky spürte indessen, daß dieses Gehabe so falsch war wie das Schnurren einer Katze angesichts einer in die Enge getriebenen Maus.
„Selbstverständlich, Signor Cóstola“, erwiderte Porfirio Nócciolo mit einer tiefen Verbeugung, wobei er sich dem übelriechenden Seeteufel bis auf wenige Zoll näherte.
„Zuvor“, sagte Cóstola gedehnt, „sorgen Sie bitte dafür, daß wir unter uns sind.“ Mit einer ruckartigen Handbewegung wies er zur Seite, und abermals spürte Blacky, wie ihn die Raben-Knopfaugen prüfend abtasteten. Ebenso die schmalen Augen des Leibwächters.
„Mit Verlaub“, sagte Gigliola. Sie hörte sich jetzt lammfromm an. „Der Signore ist ein guter Freund von mir. Er hat alles miterlebt und wird nötigenfalls zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen können.“
Blacky unterdrückte ein Grinsen. Es war wirklich beeindruckend, wie gekonnt Gigliola mit dem kaufmännisch-juristischen Jargon umging, den sie sich während ihrer Lehrjahre angeeignet hatte.
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