Blacky hob den Säbel und ging einen Schritt auf den Sarden zu.
Don Marcello stieß einen schrillen Wutschrei aus. Sein Zeigefinger krümmte sich jäh. Er verriß die Waffe.
Im Krachen des Schusses duckte sich Blacky unwillkürlich.
Aber er spürte nicht einmal das Sengen des Geschosses. Die Kugel war irgendwo hoch über dem Türrahmen in die Wand geklatscht.
Ruhig setzte er seinen Weg fort.
„Das war nur ein Warnschuß!“ schrie der Don mit sich überschlagender Stimme. „Die nächste Kugel trifft!“
„Daran glaubst du wohl selbst nicht“, entgegnete Blacky voller Spott.
Das ließ etwas in seinem Gegenüber zerreißen. Etwas, das die letzte Beherrschung in ihm aufrechterhalten hatte.
Sein zweiter Schuß war noch überhasteter als der erste.
Das Geschoß sirrte weit links an Blacky vorbei und zersprengte eine kleine Marmorstatue auf einem Wandsockel in tausend Stücke. Blacky sah es nur aus den Augenwinkeln heraus. Er achtete nicht weiter darauf.
Struzzos Gesicht war eine Fratze aus Angst und Wut. Er schleuderte die wertlose Pistole von sich und griff zum Dolch.
Blacky ging weiter auf ihn zu und fegte ihm die rasiermesserscharfe Waffe mit einem einzigen Hieb aus der Hand.
Struzzo wirbelte herum und riß einen Säbel an sich, der über dem Kaminsims aufgehängt war. Mit einer wilden Attacke stürmte er auf den breitschultrigen Engländer los.
Blacky gelang es geradezu mühelos, mit einem tänzelnden Schritt zur Seite auszuweichen.
Struzzo fing seinen Schwung ab und war im nächsten Sekundenbruchteil wieder zur Stelle. Mit waagerecht vorgereckter Klinge schnellte er auf den Gegner zu, der ihm immer unheimlicher wurde.
Blackys Reaktion funktionierte auch diesmal auf den Sekundenbruchteil genau. Struzzo lief in seinen Säbel hinein, wankte und kippte zur Seite weg.
Das Gefühl der gelungenen Rache, wie Blacky es sich vorgestellt hatte, entstand nicht.
Bevor er einen weiteren Gedanken fassen konnte, ertönte eine eisige Stimme von der Tür her.
„Danke, daß du mir die Arbeit abgenommen hast, Engländer. Ich werde allerdings nicht umhin können, dich mit einer Kugel dafür zu belohnen. Und in meinem Fall kannst du sicher sein, daß es keine zittrige Hand gibt, die dich rettet.“
Don Cesare di Montepulciano mußte hinter der Tür, auf dem Balustradengang, gelauert und alles mitgekriegt haben. Breit und massig füllte er den Türrahmen aus. In seiner Rechten lag ein Radschloßdrehling, ähnlich wie Hasard ihn verwendete. Gegen eine solche Waffe gab es kaum eine Chance.
Blacky erstarrte.
Sein Säbel steckte in Struzzos leblosem Körper. Und seine Pistole konnte er nicht ziehen, ohne daß Montepulciano den ersten Schuß abfeuerte.
Der schwergewichtige Toskaner trat näher, ohne den Drehling auch nur um ein Haar aus der Visierlinie zu nehmen.
Unten, in der Halle, wurde noch gekämpft.
An der Vorderseite des Anwesens versiegten die Schüsse.
Blacky hob die Hände und wich bis zum Fenster zurück. Am Rand seines Blickfelds konnte er sehen, daß da keine triumphierend brüllenden Horden waren, die auf den Hof des Palazzo vordrangen. Montepulcianos und Struzzos Kerle hatten sich gegenseitig niedergemetzelt. Die wenigen, die am Leben geblieben waren, hatten offenbar die Gunst der Stunde erkannt und sich für immer abgesetzt.
Und Don Cesare mußte in einem günstigen Moment von der Seite des Haupthauses her eingedrungen sein. Seine ursprüngliche Absicht war es wohl gewesen, den Hausherrn als Geisel zu nehmen. Jetzt blieb ihm nur Blacky, um sich gegen die Engländer durchzusetzen.
„Sie schaffen es nicht“, sagte Blacky und versuchte, äußerlich ruhig zu bleiben. „Meine Freunde werden jeden Moment hier sein.“
„Reines Wunschdenken“, entgegnete Don Cesare grinsend. „Außerdem werde ich mich freuen, sie zu sehen, denn sie werden miterleben, wie ich dich töte.“
Blacky blickte über seine Schulter.
„Sie werden nicht einmal eine Kugel aus dem Lauf kriegen“, sagte er.
Don Cesare di Montepulciano lachte schallend.
„Du glaubst, auf diesen uralten Trick falle ich herein? Mein Gott, für was hältst du mich, daß du annimmst, ich wäre so einfältig!“
Er krümmte den Zeigefinger.
Es krachte tief und wummernd. Das typische Schußgeräusch des Drehlings.
Blacky hatte sich vorsorglich zu Boden fallen lassen.
Er verspürte keinen Einschuß, und er hörte keine Kugel, die irgendwo in die Wand klatschte.
Statt dessen vernahm er das schwere Fallgeräusch eines menschlichen Körpers.
Blacky rappelte sich auf.
Don Cesare di Montepulciano lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Teppich. Der Drehling war ihm aus der Hand gefallen.
Hasard hob die Waffe auf, die der seinen so sehr ähnelte.
„Er hat die Kugel nicht aus dem Lauf gekriegt, Blacky.“
Der breitschultrige Engländer nickte und lächelte. „Ich muß mich schon wieder bedanken. Verdammt, das ist jetzt das zweite Mal, daß du im letzten Augenblick …“
Der Seewolf winkte ab.
Sie verließen den Palazzo.
Die Streitmächte der beiden Dons hatten sich gegenseitig aufgerieben. Für die Arwenacks bestand kein Anlaß, sich länger am Schauplatz des blutigen Geschehens aufzuhalten. Sie kehrten auf die Schebecke zurück und nahmen Kurs auf den Hafen von Cagliari. Denn dorthin mußten sie noch einmal. Zum einen mußten sie endlich die Positionen auf ihrer Vorratsliste abhaken. Und zum anderen gab es niemanden an Bord, der Blacky nicht jenen letzten Besuch gönnte, ohne den er die Stadt unmöglich verlassen konnte.
Dunkelheit hatte sich über die Stadt gesenkt. Die Abendluft war mild, und überall in Cagliari hielten sich die Menschen im Freien auf. Einige feierten überschwenglich, andere verbrachten die Stunden zwischen Tag und Morgen in aller Stille bei einer Flasche Wein.
Aus dem Hof des kleinen Hauses drangen die, lärmenden Stimmen bis in die Kammer hinauf. Blacky konnte Gigliola ohne Nachdenken sagen, wem jede einzelne Stimme gehörte. Edwin Carberry, Ferris Tucker, Batuti …
Porfirio Nócciolo hatte sich nicht davon abbringen lassen, die Arwenacks für den Abend einzuladen. Er hatte zwei Schweine am Spieß gebraten und eine Batterie von Weinfässern auf dem Hof aufbauen lassen.
Der Seewolf hatte schließlich zugestimmt.
Die Menschen in Cagliari waren von einer doppelten Geißel befreit. Und gerade Vater und Tochter Nócciolo hatten Grund, sich darüber zu freuen.
Niemand hatte auf Blacky und Gigliola geachtet, als die beiden sich zurückgezogen hatten.
„Hör mal!“ hauchte Gigliola und schmiegte sich an Blacky. „Kennst du diese Stimme?“
Blacky brauchte nicht lange die Ohren zu spitzen.
Denn die Stimme übertönte die meisten anderen. „Du kannst es mir glauben, Hasard, dem Tabak gehört die Zukunft! Laß uns einen Vertrag schließen. Du wirst mein Handelsagent in England und sorgst dafür, daß ich den Tabak kriege, den ich hier absetzen kann. Ich werde das Monopol für Sardinien haben! Kein Don Marcello kann mich jetzt noch daran hindern! Natürlich beteilige ich dich am Gewinn und …“
Blacky stand auf und schloß das Fenster.
Dann kehrte er zu der hübschen jungen Frau zurück, die ihn mit ausgebreiteten Armen erwartete …
ENDE
Mit versteinert wirkendem Gesicht lauschte der Fischer Domingo Calafuria dem Grölen und Lachen der Piraten. Er ballte die Hände zu Fäusten und biß die Zähne aufeinander. Es fiel ihm schwer, seine Wut und Ohnmacht zu beherrschen.
Rodrigo, sein Sohn, hockte neben ihm auf dem Boden. Er hatte die Knie an den Leib gezogen und hielt die Beine mit den Händen umklammert. Der Haß verzerrte seine Züge.
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