Wie durch ein Wunder passierte das Schiff unversehrt die Riffe. Einem kranken Tier gleich taumelte der Segler auf den Strand zu. Gellende Schreie ertönten an Bord. Doch das Unheil war nicht mehr zu verhindern. Es krachte und knackte, und die Karavelle lief auf.
Etwa drei Yards weit schob sich das Schiff durch den Sand, dann krängte es nach Backbord und legte sich quer. Wieder schrie die Besatzung in höchster Not. Eine niedersausende Spiere tötete zwei Männer. Eine Kanone, die sich aus ihrer Vertäuung gelöst hatte, riß einen dritten Mann mit und begrub ihn unter sich.
Kapitän Burl Ives wurde vom Achterdeck katapultiert. Er überrollte sich im Sand und blieb unversehrt. Stöhnend und fluchend richtete er sich auf und blickte im fauchenden Sturm zu seinem Schiff.
Die „Samanta“ war nur noch ein Wrack. Die Reise war hier zu Ende. Die Ladung würde nie ihren Bestimmungshafen erreichen.
Ives rannte zu seinen Männern. Es waren nur noch zehn. Im Sturm waren mehrere außenbords gerissen worden und in den Fluten verschwunden. Jetzt hatte das Auflaufen auch noch Opfer gefordert – insgesamt fünf. Aber Ives wußte, daß er noch froh sein konnte. Um ein Haar wären sie alle erledigt gewesen. Es hatte nicht mehr viel gefehlt, und die „Samanta“ wäre untergegangen.
Die Passagiere, dachte Burl Ives, mein Gott, die Passagiere!
Er kletterte zurück an Bord, stieg mühsam über das schräge Deck und versuchte, das Achterkastell zu erreichen. Seine Männer krochen und wankten verwirrt auf und ab.
Guzman und eine Handvoll Piraten hatten das Geschehen von einem sicheren Platz in den Dünen beobachtet. Grinsend rieben sie sich die Hände. Guzman schickte einen der Kerle zum Dorf. Er sollte Olivaro und die anderen benachrichtigen. Diese gestrandete Karavelle war ein gefundenes Fressen für die Bande von Schnapphähnen.
Olivaro fackelte nicht lange, als der Bote die Nachricht überbrachte. Er stürmte aus der Hütte und rief seine Kumpane zusammen. Fünf teilte er als Wachen ein, sie blieben in der Siedlung zurück. Alle anderen sollten mit zu der Karavelle. Das Schiff war eine sichere Beute, aber die Mannschaft würde sich gewiß nicht kampflos ergeben. Also mußte das Aufgebot entsprechend groß sein.
Bis an die Zähne bewaffnet rückten die Kerle aus und rannten durch die Nacht. Der Sturmwind fetzte ihnen Sand und Gräser um die Ohren. Sie kümmerten sich nicht darum. Sie dachten nur an eins – an die Karavelle und das, was sich in ihrem Rumpf befinden mochte.
Kapitän Burl Ives hatte unterdessen das Achterkastell seines Schiffes erreicht. Unter großen Schwierigkeiten gelang es ihm, das Schott zu öffnen. Er schlüpfte ins Innere und arbeitete sich durch den Mittelgang zu den Kammern. Trotz des Sturmgeheuls vernahm er jetzt ein leises Wimmern.
Die Kammer, in der das Wimmern erklang, war wie eine Gefängniszelle verrammelt. Die Wände hatten sich verzogen, das Schott war wie zugenagelt.
Ives wandte sich seiner Kapitänskammer zu. Hier sah es aus, als hätten Verrückte gehaust – alles drunter und drüber. Dennoch fand Ives nach einiger Suche ein Werkzeug. Er kehrte damit zu der Kammer zurück und brach das Schott auf.
Stockfinster war es im Inneren. Ives tastete sich zu den Kojen vor. Plötzlich berührte er einen weichen, warmen Körper.
„Ich bin’s, der Kapitän“, sagte er. „Erschrecken Sie nicht, Miß Farah.“
Das Mädchen schluchzte auf und klammerte sich an ihm fest. „Allmächtiger, was ist geschehen? Wo sind wir?“
Ives setzte ihr auseinander, was sich zugetragen hatte.
„Wir sind jetzt in Sicherheit“, erklärte er. „Sie brauchen keine Angst mehr zu haben.“
„Dad“, sagte sie mit bebender Stimme. „Wo bist du?“
Ives suchte nach dem Vater des Mädchens und fand den Mann. Harold Acton lag zwischen den Trümmern seiner Koje. Ein Deckenbalken hatte sich gelöst und war auf das Nachtlager gestürzt, in dem der Mann sich festgebunden hatte, um in dem rollenden Schiff nicht ständig hin und her geworfen zu werden.
Ives kehrte zu dem Mädchen zurück.
„Sie müssen jetzt ganz tapfer sein, Miß Farah“, sagte er.
„Er ist tot, nicht wahr?“
„Ja.“
Sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte klagend. Dem Kapitän zerriß es fast das Herz. Er wußte nicht, was er tun sollte. Während der Reise hatte er die beiden, Vater und Tochter, schätzen gelernt. Für ihn selbst war es ein harter Schlag, daß Harold Acton tot war. Voll Mitleid zog Ives das Mädchen in seine Arme.
Draußen erklangen plötzlich Schüsse und Schreie.
„Himmel!“ keuchte das Mädchen. „Was ist jetzt wieder los?“
„Ich sehe nach“, erwiderte Ives. „Sie rühren sich nicht vom Fleck.“
Er kroch ins Freie, bewaffnet mit seiner Pistole. Was da draußen, am Strand, seinen Verlauf nahm, konnte er sich sehr gut ausmalen. Küstenhaie, Wegelagerer, Buschteufel – sie lauerten nur auf Beute und fielen jetzt über die Mannschaft her.
In der Tat, Olivaro und seine Meute hatten die Mannschaft angegriffen. Als erstes brachten die Piraten ihre Musketen und Pistolen zum Einsatz. Einige waren naß geworden und zündeten nicht, aber gut ein Dutzend Waffen krachten und spuckten ihre tödlichen Ladungen aus. Schreiend brachen ein paar Gestalten vor der gestrandeten Karavelle zusammen. Die übrigen griffen zu den Waffen.
Aber nur die wenigsten Männer der Besatzung hatten Schußwaffen dabei. Außerdem war im Sturm das Pulver naß geworden. Sie hatten nur eine Chance: sich im Nahkampf mit den Blankwaffen zu behaupten.
Brüllend stürzten sich die Piraten auf die armen Teufel. Olivaros Horde war klar in der Überzahl. Nur kurz war das Handgemenge. Die Säbel klirrten, die Klingen schepperten – und die Köpfe rollten, wie Olivaro prophezeit hatte.
Burl Ives sprang auf den Strand. Er hob die Pistole und zielte auf Olivaro. Aber die anderen Piraten umzingelten ihn. Guzman war schräg hinter dem Kapitän und hob seinen schweren Schiffshauer, um den Mann zu enthaupten.
Kapitän Burl Ives ließ die Waffe sinken. Olivaro sah es und grinste voll Hohn und Triumph. Er brauchte nur einen Wink zu geben, und Guzman schlug zu. Doch irgend etwas bremste Olivaro. Er wollte den Mann – offensichtlich handelte es sich um den Kapitän – lebend.
Vielleicht ist der noch für eine Überraschung gut, dachte der Piratenführer.
Olivaro blickte zu Guzman.
„Halt“, sagte er. „Das genügt jetzt.“ Er trat dicht vor Ives hin. „Bist du der Kapitän dieses Schiffes?“
Ives verstand die spanische Sprache nur in ihren Ansätzen.
„Ja“, erwiderte er.
„Wer bist du?“ fragte Olivaro. „Ein Engländer?“
„Ja.“
„Gehört dir das Schiff?“
„Ja.“
Olivaro lachte dröhnend. „Es gehörte dir. Jetzt ist es unser. Was hast du geladen, Hund von einem Engländer?“
„Ich verstehe dich nicht“, erwiderte Burl Ives.
Olivaro versetzte ihm einen Stoß vor die Brust. Ives flog gegen die Bordwand seines Schiffes. Olivaro wiederholte seine Frage in gebrochenem Englisch und brüllte: „Hast du mich jetzt verstanden?“
„Allerdings“, entgegnete der Kapitän in seiner Muttersprache. „Nun, die Ladung wird dich interessieren. Wir haben Bier und Whisky an Bord und wollten das Zeug in Genua verkaufen.“
Olivaro war enttäuscht, aber er beherrschte sich. Er hatte sein Mienenspiel bestens in der Gewalt. Gold und Silber hatte er erwartet – aber immerhin, Alkohol war auch nicht schlecht. Zumindest konnte er seine Kerle damit bei Laune halten.
„He, habt ihr das gehört?“ brüllte er der Bande zu. „Bier und Whisky! Der Kahn ist mit Fässern vollgestopft, bis unter die Ladeluken!“
Die Kerle johlten und pfiffen. Sie hatten nichts dagegen einzuwenden, sich heute nacht gehörig vollaufen zu lassen. Bier und Whisky, das war ganz nach ihrem Geschmack.
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