Ein furchtbarer Schmerz durchraste ihn, ein heftiges Stechen und Brennen tobte durch seine Glieder. Für einen Augenblick hatte er das Gefühl, innerlich zerrissen zu werden, als hätte er eine ganze Ladung Pulver verschluckt und gezündet.
Ein Schütteln wogte durch seinen Körper und entrang seinen Lippen ein langgezogenes Stöhnen. Er konnte sich nicht mehr bewegen, sein ganzer Körper schien steif wie eine Decksplanke zu werden. Vor seinen Augen wurde es für kurze Augenblicke dunkel. Dann wurde die schwarze Wand, die sich vor ihm aufgetan hatte, wieder zerrissen, wich aber gleich darauf neuen schwarzen Wolken.
Es war eine Ohnmacht, die den riesigen Neger zu überwältigen drohte. Doch der Mann aus Gambia bäumte sich mit aller Kraft, die seinem Körper verblieben war, gegen diese Ohnmacht auf. Er wußte, daß sie hier im brusthohen Wasser den Tod bedeutete. Er würde unweigerlich hilflos ertrinken.
Die Muskete, die er hoch über dem Kopf gehalten hatte, war seiner Hand längst entglitten und mit einem Klatschen, das er kaum noch wahrgenommen hatte, im Wasser versunken.
Wieder brauste eine schwarze Woge über ihn weg. Batuti versuchte, die Augen weit aufzureißen, um wenigstens noch einen Fetzen Licht zu erhaschen, aber es sollte ihm nicht mehr gelingen. Vor seinen Augen wurde es dunkler und dunkler, und er hatte plötzlich das Gefühl, als ziehe ihn eine ungeheure Kraft in die dunkelsten Tiefen des Wassers.
Kaum war der Gambia-Neger zwischen den Mangroven verschwunden, setzte Philip Hasard Killigrew mit langen Sätzen hinterher. Das war auch für Stenmark, Ed Carberry und Matt Davies ein Zeichen.
Nach wenigen Augenblicken wateten auch sie durch das sumpfige Wasser, das hoch hinter Batuti und dem Kapitän der „Isabella“ aufgespritzt war.
„Ob Batuti nun was gesehen hat oder nicht!“ rief der Profos. „Wir können ihn schließlich nicht allein dort rüberlassen. Wenn tatsächlich Indianer in der Nähe sind, ist es für einen viel zu gefährlich.“
Das Wasser schäumte auf unter ihren raschen Schritten, die sich jedoch durch den Widerstand des nassen Elements zwangsläufig verlangsamten.
Ed Carberry wollte gerade eine Bemerkung über das brühwarme, supfige Wasser von sich geben, da ließ sie ein plötzlicher Ruf Hasards, der ihnen vorausgeeilt war, aufhorchen.
Sie sahen ihn im brusthohen Wasser stehen und winken, sobald sie einen dichten, fast mannshohen Mangrovenbusch umrundet hatten.
Und sie sahen Batuti.
Hasard hatte ihn gerade erreicht, und Batuti schien hilflos, ja besinnungslos im Wasser zu hängen.
Allmächtiger, hoffentlich hat er noch nicht zuviel Wasser geschluckt“, sagte Stenmark mit ernstem Gesicht. „Was ist nur passiert? Batuti ist doch sonst nicht so leicht unterzukriegen.“
So schnell es nur ging, wateten sie auf Hasard zu, der Batuti bereits unterfangen und auf die Beine gestellt hatte. Sein rechter Arm war um die Schultern des Gambia-Negers geklammert, um seinen Kopf über Wasser zu halten.
„Hier Ed, nimm meine Muskete!“ rief Hasard, sobald die Männer bei ihm angelangt waren.
Wortlos griff der Profos nach der Waffe, damit Hasard die Hände frei hatte. Der Kapitän der „Isabella“ versetzte Batuti sofort zwei schallende Ohrfeigen und klopfte dann mit seiner rechten Hand kräftig auf dessen Rücken. Das Wasser spritzte dabei in alle Richtungen, aber die gewünschte Wirkung blieb nicht aus.
Batuti blinzelte und verdrehte die Augen, bis nur noch das Weiße darin zu sehen war. Dann straffte sich sein Körper urplötzlich, und er schien wieder auf eigenen Beinen stehen zu können.
Sprachlos sah er die Männer an, die rund um ihn im Wasser standen.
„Was war los, Batuti?“ fragte der Seewolf.
Aber Batuti konnte noch nicht antworten. Ein starker Husten begann seinen Körper zu schütteln, denn er mußte, wie der Profos sofort mit Kennermiene feststellte, wenigstens fünf Mucks Wasser geschluckt haben.
Aber der schwarze Herkules war hart im Nehmen. Es dauerte nur Augenblicke, und er war wieder der alte. Er schüttelte sich und wischte sich über die Augen, als könne er sie mit seinen nassen Händen trocken reiben.
„Nun, was war, Batuti?“ wiederholte Hasard seine Fragen.
„Ja, was war los?“ fügte Ed Carberry hinzu. „Hat dich vielleicht die Sonne niedergeknüppelt oder dich ein Wassermann an den Beinen gezogen, oder hast du gar des Teufels Großmutter gesehen und bist vor Schreck ohnmächtig geworden?“
Batuti grinste und schüttelte den Kopf. „Nix Großmutter, nix Sonne und nix Wassermann“, berichtete er, „sondern sehr langes, magisches Fisch. Sieht aus wie eine Schlange.“
Er beschrieb mit entsprechenden Armbewegungen die ungefähre Länge und den Umfang des „magischen“ Fisches.
Die Männer sahen sich für einen Moment ungläubig an.
„Und was hat der Fisch mit dir getan?“ fragte Hasard. „Bist du verletzt? Los, sag schon, ob du verwundet bist, sonst müssen wir jeden Moment mit den Piranhas rechnen. Wenn die Biester Blut wittern, ist hier gleich der Teufel los. Denkt an den Kaiman, mit dem wir gestern die Ehre hatten.“
„Batuti nicht verletzt“, erwiderte der schwarze Mann. „Der Fisch hat nur geschlagen.“
„Geschlagen?“ fragte der Profos mit entgeistertem Gesicht. „Du willst uns wohl auf den Arm nehmen, du Stint. Nun erzähl bloß noch, daß er einen Belegnagel dabei hatte und dich damit verprügelt hat …“
„Nix Belegnagel, Mister Carberry“, sagte Batuti. „Ganzes Fisch hat geschlagen. Viel schlimmer als Belegnagel. Ganzes Körper steif, nix mehr bewegen und dann alles dunkel. Wie ein Zauber. Es war magischer Fisch. Hat viel Kraft in Körper wie großes Feuer.“
Die Männer sahen sich mit skeptischen Blicken an. Das war ihnen doch nicht ganz geheuer, was Batuti da von einem Zauber und von einem magischen Fisch erzählte. Sollte vielleicht doch die Hitze schuld sein? Aber sie kannten Batuti schließlich. Er war so schnell nicht kleinzukriegen.
Sie konnten sich andererseits auch nicht vorstellen, daß er sich plötzlich einen so gefährlichen Ort, wie hier in den Mangroven, aussuchen würde, um Seemannsgarn zu spinnen. Schließlich konnten hier jeden Moment die gefährlichen Mohrenkaimane auftauchen.
„Laßt uns später darüber reden“, unterbrach Hasard die Stille. „Wenn dort drüben Indianer waren, dann sind sie wahrscheinlich längst untergetaucht, und es wäre jetzt sinnlos, dort im Wald nach ihnen zu suchen. Kehren wir zunächst um, es ist nicht ratsam, zu lange in diesem Wasser zu bleiben.“
Sofort watete der kleine Trupp durch das Brackwasser zurück zur Sandbank.
Den Profos schien die ganze Sache noch sehr zu beschäftigen.
„Also so was“, knurrte er. „Fische, die hexen können und dabei noch ausgewachsene Männer bewußtlos prügeln, das habe ich auch noch nicht erlebt. Wehe, du Hering hast uns einen Bären aufgebunden, dann werde ich dir nämlich eigenhändig …“
„… nein, Profos“, unterbrach Batuti. „Haut bleibt dran an Affenarsch. Batuti hat keinen Bären aufgebunden. Es war ein magischer Fisch. Schade, daß nun Indianer fort sind. Batuti hat sie deutlich gesehen.“
Er schnitt ein ärgerliches Gesicht.
„Wir werden uns später noch darum kümmern“, sagte Hasard. „Ich zweifle nicht daran, daß du Eingeborene gesehen hast, Batuti. Alles deutet darauf hin, daß sie auf irgendeine Weise auch an uns interessiert sind. Wir werden bestimmt noch Kontakt zu ihnen kriegen. Dann wird sicherlich auch das Geheimnis um die verschwundenen Skelette gelüftet werden.“
Kurz danach bestiegen die Seewölfe ihr Boot und pullten zur „Isabella“ zurück. Obwohl sie auch dabei die Augen offenhielten, war kein Eingeborener mehr zu entdecken. Wahrscheinlich hatten sich die mysteriösen Gestalten vorerst zurückgezogen.
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