Trotzdem konnten sich die Männer des Gefühls nicht erwehren, von vielen Augen beobachtet zu werden, als sie, begleitet von einem vielstimmigen Urwaldkonzert, an Bord ihres Schiffes zurückkehrten.
Es war bereits Nachmittag. Die feuchte Hitze überlagerte nach wie vor den Dschungel und die silbrig schimmernde Wasserfläche der Baja de Marajo.
Es war nur natürlich, daß der Trinkwasserverbrauch bei dieser drückenden Schwüle enorm stieg. Hasard ließ deshalb die „Isabella“ ein Stück in den Fluß hineinsegeln, um dort die Wasservorräte zu ergänzen.
Nachdem Smoky, der Decksälteste, mehrmals Tiefe gelotet hatte, ging die Galeone in der Nähe des linken Flußufers vor Anker.
Der einzige an Bord, der in den Genuß eines Landurlaubs gelangte, war Sir John, der karmesinrote Aracanga. Natürlich dachte er nicht im entferntesten daran, den Kapitän um Erlaubnis zu bitten.
„Eine Muck Rum! Land ho!“ schrie er zusammenhanglos, nachdem er auf der Schmuckbalustrade des Achterkastells eine Zwischenlandung vorgenommen hatte. Dann hob er sich in die Luft und flog in einer kunstvollen Schleife zum Waldrand hinüber. In wenigen Augenblicken war er im dichten Blätterdach verschwunden.
„Sir John wurde wohl vom großen Heimweh gepackt.“ Hasard lachte.
„Mag sein“, knurrte der Profos, „endlich sind wir diese rotzfreche Nebelkrähe los. Soll sie nur drüben im Dschungel bleiben, wo sie hingehört.“
Die Männer, die die Worte Edwin Carberrys gehört hatten, begannen zu grinsen, denn sie wußten nur zu genau, daß dieser rauhe Mann mit dem gewaltigen Rammkinn und dem zernarbten Gesicht im stillen inbrünstig auf die Rückkehr Sir Johns hoffte.
Gerade er war es, der sich auf seine Weise besonders gut mit dem bunten Vogel verstand. Aber natürlich hätte Ed Carberry, der im Grunde genommen einen recht weichen Kern hatte, das niemals zugegeben.
Lediglich Batuti fühlte sich veranlaßt, dem Profos einige tröstende Worte zu spenden.
„Schlimmes Vogel kehrt bestimmt zurück, Profos“, sagte er. „Wird bestimmt von anderen Vögeln verjagt, weil es so frech ist.“
Ed Carberrys Gesicht verzog sich zu einem breiten Lachen.
„Da kannst du recht haben“, sagte er, „spätestens, wenn das freche Stück beginnt, mit seinem Wortschatz anzugeben, werden sie es jagen, daß die Federn fliegen.“
Batuti stimmte in das Lachen des Profos’ ein. Der Gambia-Mann war wieder bester Laune, seit die anderen damit aufgehört hatten, ihn wegen der „Prügel“, die er von dem „magischen Fisch“ bezogen hatte, auf die Schippe zu nehmen. Einige sehr gelehrt klingende Sätze des Kutschers, der seinerzeit bei Sir Freemont, dem Arzt in Plymouth, vieles aufgeschnappt hatte, waren schließlich auch den Spöttern – wie der Profos es ausdrückte – „ins Hirn gedrungen“.
Der Kutscher wußte sogar, wie jene merkwürdigen, schlangenartigen Fische genannt wurden. Er hatte von Zitteraalen gesprochen, die eine geheimnisvolle, unbekannte Kraft auszustrahlen vermochten, die Mensch und Tier die Besinnung rauben konnte.
Noch nie hatte der schwarze Herkules den Kutscher mit so dankbaren Augen angesehen wie in diesem Augenblick.
Jetzt ging die Crew an die Arbeit, und es dauerte nicht lange, bis sämtliche Wasserfässer gut gefüllt an Bord gehievt und auf ihrem Platz verstaut waren.
Da ließ plötzlich Hasards Stimme die Männer aufhorchen.
„Das gibt’s doch wohl nicht!“ sagte er und blickte prüfend auf den Fluß, der sich, ungefähr zehn Kabellängen entfernt, durch eine Rechtsbiegung im Dschungel verlor. „Wir balgen uns mit ‚magischen‘ Fischen im Wasser herum, um den Indianern nachzulaufen, und jetzt sieht es ganz so aus, als erhielten wir Besuch von ihnen.“
Auch die Mannschaft hatte inzwischen das lange, schmale Boot bemerkt, das in rascher Fahrt den Fluß hinunterglitt und auf die „Isabella“ zuhielt.
Die beiden nackten Gestalten, die bereits deutlich zu erkennen waren, brauchten sich nicht besonders mit dem Paddeln anzustrengen, weil das leichte Boot durch die Strömung vorangetragen wurde.
„Da tanzen doch gleich die Kakerlaken im Reigen“, entfuhr es dem Profos. „Da kreuzen doch tatsächlich Indianer bei uns auf, gerade so, als ob wir sie zu einer Muck Rum eingeladen hätten.“
Mit diesen Worten traf Ed Carberry den Nagel auf den Kopf, denn die beiden Indianer mit ihren bemalten Gesichtern steuerten unbekümmert auf die „Isabella“ zu, ohne das geringste Anzeichen von Scheu oder Furcht. Sie wirkten tatsächlich so, als erwarte man sie mit aller Selbstverständlichkeit.
„Ob das nicht ein Trick ist?“ fragte der alte O’Flynn. „Vielleicht wollen die beiden nur einen harmlosen Eindruck schinden, und wenn ihnen das gelungen ist, tauchen plötzlich Scharen von Booten auf. Dann sieht die Sache schon gleich nicht mehr so einfach aus.“
Damit hatte Old Donegal Daniel O’Flynn das ausgesprochen, was die Mehrheit er Männer an Bord, einschließlich Hasards, dachte. Es war schließlich nicht das erste Mal, daß man mit raffinierten Tricks versuchte, die „Isabella“ zu überrumpeln.
„Wir werden die Augen offenhalten“, sagte Hasard. „Im Moment sieht das Ganze zwar eher komisch als gefährlich aus, aber du kannst durchaus recht haben, Donegal. Sorgt auf alle Fälle dafür, daß die Drehbassen einsatzbereit sind und holt einige Musketen und Pistolen. Vorsicht ist die Mutter der Weisheit.“
Dieser Anweisung wurde sofort Folge geleistet, und es dauerte nur sehr kurze Zeit, bis die „Isabella“ zumindest gegen einen ersten Ansturm gewappnet war.
Aber es geschah nichts, außer daß das schmale Boot jetzt die „Isabella“ erreichte und an der Steuerbordseite längschor.
Die beiden kleinen Männer mit den gedrungenen, muskulösen Oberkörpern waren nur mit einem winzigen Lendenschurz bekleidet, was darauf schließen ließ, daß sie nicht das erste Mal mit Weißen Kontakte aufnahmen.
Die meisten Völker dieses Kontinents hatten in unbekümmerter Nacktheit gelebt, bis die Missionare der Weißen erschienen waren, um sie auf ihren „unschicklichen Wandel“ hinzuweisen.
Die Mannschaft der „Isabella“ sollte sich darin nicht getäuscht haben. Die beiden Indianer legten mit aller Selbstverständlichkeit die Paddel binnenbords und erhoben sich in ihrem Boot. Jedoch nicht, ohne vorher nach ihren langen Blasrohren gegriffen zu haben.
Einer der beiden vollführte eine unmißverständliche Geste.
„Wir auf Schiff steigen!“ rief er in einem schauderhaften Spanisch, das er wohl in irgendeiner Hafenkneipe zwischen dem dritten und vierten Schnaps gelernt hatte. Er sah dabei die Männer, die sich über das Schanzkleid gebeugt hatten, herausfordernd an.
„Was wollt ihr, und woher seid ihr?“ rief Hasard zurück.
„Wir Icoraci“, sagte der Wortführer der beiden und deutete in die Richtung, aus der sie herangepaddelt waren.
„Icoraci?“ fragte der Seewolf zurück.
„Si, Señor“, erwiderte der Indianer und nickte. „Icoraci“.
„Hm“, sagte der Seewolf und zuckte mit den Schultern. „Entweder meint er mit ‚Icoraci‘ seinen Stamm oder aber irgendein kleines Nest, in dem sich Weiße angesiedelt haben.“
Zu den Indianern gewandt, wiederholte er seine Frage: „Und was wollt ihr?“
„Auf Schiff“, lautete die Antwort. „Mit Capitán sprechen.“
„Die gehen aber ran an den Speck“, sagte der Profos. „Außerdem sind die kleinen Kerle ziemlich leichtsinnig. Wir könnten ja auch Schnapphähne sein und sie …“
„Klettert an Bord!“ rief Hasard und unterbrach damit die Überlegungen Ed Carberrys.
Gleich darauf wurde die Jakobsleiter hinuntergelassen, und die beiden braunen Kerle turnten flink daran hoch. Wenig später standen sie auf der Kuhl und sahen auch jetzt nicht im entferntesten scheu oder ängstlich aus. Ganz im Gegenteil. Sie schienen sich als diejenigen zu betrachten, die hier Forderungen zu stellen hatten. Und mit diesen Forderungen rückten sie auch ohne Umschweife heraus.
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