Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-561-3
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Es war, als hätte der Teufel selbst seine Hand im Spiel. Im selben Augenblick, als Dan O’Flynns Ruf aus dem Fockmars schallte, daß sich das Schiff, dessen Masten er vor einer Stunde über der Kimm hatte auftauchen sehen, schnurstracks der Mündung des breiten Flusses näherte, in dem sie vor Anker gegangen waren, drehte der Wind schlagartig und begann, das ablaufende Wasser zu peitschen.
Ben Brighton trat unruhig von einem Bein aufs andere. Er sah, daß Pete Ballie im Ruderhaus auf seine Anweisungen wartete, genau wie die anderen unten in der Kuhl, die voller Spannung zum Achterdeck hinaufstarrten. Bens Blick glitt zwischen dem Ufer der breiten Flußmündung und Hasard hin und her.
Der Seewolf stand am Backbordschanzkleid des Achterdecks neben der Drehbasse. Er ließ die Bresche des Trockenwaldes, in dem seine Männer vor mehr als eineinhalb Stunden verschwunden waren, um den Frischfleischvorrat der „Isabella VIII.“ aufzufüllen, nicht aus den Augen.
Verdammt, warum ließen sich die Kerle so lange Zeit? Hasard drehte den Kopf und hob das Spektiv. Er kniff das linke Auge zusammen. Das Schiff, das sich der Insel näherte, war schon deutlich zu erkennen. Es war eine Karacke, die vor dem Wind mit Steuerbordhalsen segelte. Die Fock war teilweise abgedeckt. Es stand außer Zweifel, daß es sich um Piraten handelte, und Hasard wußte, was das bedeutete.
Er fluchte leise auf den Wind, der sich so plötzlich gedreht hatte. Er war es, der die Piraten so schnell heranführte. Vom Kutscher, Matt Davies, Batuti, Blacky und Stenmark war immer noch nichts zu sehen. Ebensowenig wie von den Zwillingen, die ihn, Hasard, so lange gelöchert hatten, bis er ihnen die Erlaubnis gegeben hatte, mit den fünf Männern an Land zu gehen.
Hasard nahm das Spektiv vom Auge und drehte sich ruckartig zu Ben Brighton herum. Seine Stimme war leise, aber fest, als er sagte: „Los, Ben, raus hier! Wenn wir länger warten, schießen sie uns in aller Ruhe zusammen und setzen uns auf Grund.“
Ben Brighton reagierte sofort. Seine laute Stimme hallte über Deck und brachte die Männer in Bewegung. Der Anker wurde gelichtet, Carberry scheuchte die Männer in die Wanten, und nur wenig später waren beide Marssegel gesetzt, die sich knatternd mit Wind füllten.
Die „Isabella“ drehte sich in der Strömung des ablaufenden Wassers, und mit Fahrt voraus trieb sie die Flußmündung hinunter.
„Braßt die Großmarsrah back!“ brüllte Carberry, nachdem er Ben Brightons Zeichen gesehen hatte.
Die Großmarsrah schwang herum, das Großmarssegel wurde vom immer mehr auffrischenden Wind gegen den Mast gedrückt, und die „Isabella“ trieb dwars weiter stromab. Ben Brighton ließ eine Minute später auch die Vormarsrah backbrassen, und mit Fahrt achteraus nahm die „Isabella“ den Bogen der Flußmündung, quer zwischen den Ufern stehend.
Hasard wußte, daß er sich nicht um seine Mannschaft zu kümmern brauchte. Ben Brighton würde die „Isabella“ heil aus der Flußmündung manövrieren. Aus den Augenwinkeln sah er, daß Al Conroy und Ferris Tucker schon dabei waren, das Schiff gefechtsbereit zu machen.
Hasards Blick klebte an der Bresche, die in den dichten Wald führte. Noch immer war niemand zu sehen. Er hoffte inständig, daß dieses kleine Eiland von den Jungferninseln unbewohnt war, so daß die Männer und die Zwillinge nichts von kriegerischen Eingeborenen zu befürchten hatten. Wenn sie den Piraten aus dem Weg gegangen waren oder sie im Kampf bezwungen hatten, würden sie in die Flußmündung zurückkehren, um die Männer und die Zwillinge wieder an Bord zu nehmen.
Er schaute nach oben, als das Knattern der Segel in seinen Ohren dröhnte. Ben Brighton hatte die Rahen lebendbrassen lassen. Die „Isabella“ verlor an Fahrt und trieb mit dem Strom.
„Braßt die Vormarsrah!“ brüllte Carberry.
Das Vormarssegel füllte sich und zog die „Isabella“ voraus. Nach dem Brassen der Großmarsrah vermehrte sich die Fahrt. Nachdem Ben Brighton das Schiff hatte abfallen lassen, weitere Segel gesetzt hatte und die Rahen am Wind getrimmt wurden, waren sie klar von der Flußmündung und liefen mit Steuerbordhalsen unter Vollzeug seewärts.
Ben Brighton trat neben Hasard ans Schanzkleid und blickte der Karacke entgegen, die keinen Zweifel daran ließ, welche Absichten ihr Kapitän hatte. Eine schwarze Flagge mit einem hellen Punkt in der Mitte flatterte am Topp. Sowohl Hasard als auch Ben Brighton konnten schon bald mit bloßem Auge erkennen, daß der weiße Fleck nichts anderes als ein Totenkopf war.
Hasard sah an Ben Brightons bedenklichem Gesichtsausdruck, daß er die Situation für genauso kritisch hielt wie er selbst. Die Piraten hatten alle Vorteile auf ihrer Hand. Sie hatten die Luvseite, und wenn ihr Kapitän nicht ein ausgemachter Trottel war, sah es schlecht aus um die „Isabella“.
Hasard preßte die Lippen aufeinander. Er war sich bewußt, daß es sein Fehler war, wenn sie hier von Piraten zusammengeschossen wurden. Er hatte mit seiner Entscheidung, aus der Flußmündung auszulaufen, zu lange gezögert.
Die „Isabella“ nahm langsam mehr Fahrt auf, aber es war fraglich, ob sie weit genug vom Land klarkam, um weiträumig manövrieren zu können.
Der Pirat ging härter an den Wind. Wie ein Pfeil schoß die Karacke auf die „Isabella“ zu und schob eine weiße, gischtende Bugwelle vor sich her.
„Schiff ist klar zum Gefecht!“ Ferris Tuckers dröhnende Stimme brachte Hasard in die Wirklichkeit zurück. Auf einmal dachte er nicht mehr an die Zwillinge, die er auf der kleinen Jungferninsel hatte zurücklassen müssen. Der alte Kampfgeist erwachte in ihm. Waren es nicht diese aussichtslos erscheinenden Situationen, die ein Mann brauchte, um sich immer wieder beweisen zu können?
Seine Stimme war klar und fest, als er seine Befehle gab. Sie alle wußten, was ihnen bevorstand. Sie hatten schon immer unter der geringen Anzahl der Mannschaft gelitten, und nun fehlten ihnen obendrein noch fünf Männer, die sonst das Schiff fast allein manövrieren konnten.
„Ferris und Al“, rief er hinunter zur Kuhl, „konzentriert euch auf je zwei Culverinen an Steuerbord und Backbord! Smoky und Sam unterstützen euch! Alle anderen braucht Ben!“
Er warf einen kurzen Blick zur Karacke hinüber, aber die hatte, wie nicht anders erwartet, den Kurs auf die „Isabella“ beibehalten.
„Wir werden im letzten Augenblick halsen“, sagte er zu Ben Brighton, der den Mund zu einer Erwiderung öffnete. Hasard ließ ihn gar nicht erst reden. „Fahr sie, so eng es geht.“
„Aye, aye“, erwiderte Ben trocken, „aber sie werden uns in den Grund bohren, bevor Ferris auch nur eine Culverine abgefeuert hat.“
„Das ist Ferris’ Sache“, sagte Hasard kalt.
Sie konnten schon einzelne Männer an Bord der Karacke erkennen. Hasard sah, wie sie sich schon darauf vorbereiteten, die „Isabella“ zu entern. Entermesser und Säbelklingen blitzten in den Strahlen der Sonne, die sich noch einmal einen Weg zwischen zwei dunklen Wolkengebilden gesucht hatte.
Hasard gab Ben Brighton ein Zeichen, dann lief er zur Balustrade des Achterdecks und schwang sich mit einem Satz zur Kuhl hinunter. Federnd landete er auf den Planken und war mit wenigen Schritten bei Ferris Tucker, der die beiden Culverinen auf der Backbordseite mit Sam Roskill bedienen sollte. Hasard schickte Roskill zur Steuerbordseite.
„Lade vier Culverinen, Al!“ rief er hinüber. „Feuere aber nur zwei ab, wenn es Ben gelingen sollte, die Luvposition zu gewinnen!“
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