„Nun, ich brauche mich vor ihm nicht zu verkriechen“, sagte Hasard gedehnt. „Aber Drake ist kein Mann, der mit offenen Methoden kämpft. Er ist ein Meister der Intrige, und dagegen ist manchmal kein Kraut gewachsen.“
„Ich weiß“, erwiderte Cummings, „auch deshalb habe ich Sie noch einmal aufgesucht. Nach dem, was ich gestern abend gehört habe und was mir ohnehin bekannt ist, möchte ich Ihnen noch einmal versichern, daß ich voll und ganz auf Ihrer Seite stehe, Sir Hasard. Ich kann in diesem Zusammenhang leider nicht für den gesamten Stadtrat sprechen, denn es gibt Männer, die lieber übervorsichtig sind, als daß sie Partei ergreifen. Wenn Sie aber jemals hier an Land einen Verbündeten brauchen sollten, dann können Sie auf mich zählen. Das ist es, was ich Ihnen ausdrücklich gesagt haben wollte.“
„Ich danke Ihnen, Lord Mayor“, antwortete der Seewolf. Mehr nicht. Große Worte waren überflüssig, und Cummings war ohnehin kein Mann, der etwas von geschwollenen Reden hielt. Das hatte Hasard schon während des mißglückten Festbanketts gespürt.
Er wußte es zu schätzen, daß der Bürgermeister der Stadt Plymouth ihm symbolisch die Hand reichte. Vielleicht würde er eines Tages wirklich auf sein Angebot zurückgreifen müssen. Denn es war noch längst nicht abzusehen, wozu Francis Drake, in seiner ohnmächtigen Wut fähig war.
Hasard konnte noch nicht ahnen, wie nachhaltig sich diese Vermutung schon bald bestätigen sollte.
Ein unregelmäßiges Wechselspiel von Licht und Schatten begleitete die Kutsche auf ihrem Weg durch die engen Gassen von Plymouth. Das Geräusch der Pferdehufe und der Räder klang hell auf dem Steinpflaster und hallte zwischen den gedrängt gebauten Giebeln der Häuser lange nach.
Der Kutscher nahm den kürzesten Weg durch die Stadt, denn er wußte, daß der Admiral in höchster Eile war.
Doch trotz dieser Eile genoß Drake es, die Menschen zu sehen, wie sie stehenblieben, wie sie sich aus den Fenstern beugten und ihm zuwinkten. Jedesmal hob er gönnerhaft die rechte Hand und bewegte sie bedächtig vor und zurück. Seine Müdigkeit war verflogen. Er fühlte sich in jeder Beziehung bestätigt. Sein Ruhm als sieggewohnter Seeheld war ungebrochen. Die Menschen feierten ihn nach wie vor – vielleicht gerade deshalb, weil sie inzwischen wußten, welche Gemeinheiten sich der hirnrissige Bastard Killigrew ihm gegenüber geleistet hatte.
Aber diese begeisterten Menschen sahen auch, daß er die beiden Jungen bei sich in der Kutsche hatte. Ihre Freundlichkeit konnte folglich nur bedeuten, daß sie tatsächlich glaubten, er brächte Killigrew die Brut zurück.
Nun, alles würde also in der Weise aufgehen, wie er es geplant hatte. Die Zwillinge würde er zunächst auf die „Revenge“ bringen und dort in der Vorpiek einsperren. Dann konnte man einen Boten zur „Isabella“ schicken und Killigrew herbeizitieren. Welche Forderungen er im einzelnen dem Seewolf gegenüber erheben würde, nun, das wollte der sehr ehrenwerte Admiral erst dann festlegen, wenn er mit Robert Parsons gesprochen hatte. Denn zunächst mußte er einmal wissen, was sich während seiner Abwesenheit in Plymouth zugetragen hatte. Davon würde es abhängen, welche Daumenschrauben er dem Bastard Killigrew anlegte.
Die Zwillinge waren nach wie vor ruhig und friedlich. Sie schienen begriffen zu haben, daß sie hübsch brav sein mußten, wenn sie nicht den Zorn des Admirals erwecken wollten.
Er erwiderte die freundlichen Grüße der Bürger, ohne wirklich hinzusehen. Die Ovationen begannen ihm lästig zu werden. Das ewige Zurückwinken wurde ermüdend.
Der Geruch von Salzwasser und Tang, den eine leichte Brise durch die Gassen fächerte, verstärkte sich.
Drake fühlte, wie er aufzuleben begann. Das war immer noch seine Welt, der er sich näherte. Die Welt, in der er sich immer noch am besten zurechtfand und in der er nach wie vor der Größte war. Er mußte es nur von Zeit zu Zeit wieder unter Beweis stellen – so wie jetzt. Er fieberte der Ankunft entgegen wie ein Kind. Seine Überlegungen hatten sich auf verschrobene Weise einen Weg zurechtgebastelt, den er selbst für völlig plausibel und gerechtfertigt hielt. Jeden, der ihn richtigerweise als Schnapphahn und gemeinen Kindesentführer bezeichnet hätte, hätte er ohne Umschweife in der Luft zerrissen.
Die Kutsche erreichte die letzte Gasse, die unmittelbar auf das Kaigelände an der Mill Bay mündete.
Drake beugte sich vor und spähte am breiten Oberkörper des Kutschers vorbei. Er achtete jetzt nicht mehr auf die Leute, die ihm auch hier zuwinkten. Am Ende der Gasse war bereits der Mastenwald des Hafens zu erkennen.
Philip und Hasard wechselten einen verstohlenen Blick. Hasard Junior nickte kaum merklich, beruhigend. Er ahnte, daß sein Bruder womöglich schon wieder Befürchtungen hatte, er könnte seine Sache nicht allein bewältigen. Aber für einen diesbezüglichen Wortwechsel war jetzt zum Glück keine Zeit.
Drake ließ sich zufrieden zurücksinken, als die Kutsche den Kai erreichte und nach links abbog.
Philip wandte den Kopf halb zur Seite. Er hatte ein besseres Blickfeld als sein Bruder.
Zur Linken glitten die Häuserfassaden der Schiffsausrüster, der Segelmacher und der Hafenschenken vorbei. Auf der anderen Seite gab es Wagen und Karren vor den zu löschenden oder zu beladenden Schiffen. Kleinere Kauffahrer überwiegend, aber auch Fischerboote, die weiter draußen an den Piers lagen. Und überall Menschen, die ihre Arbeit unterbrachen, sich umdrehten und dem Admiral zuwinkten.
Sir Francis Drake sah nicht, daß es unter den vielen Gesichtern etliche gab, die bei seinem Erscheinen einen spöttischen Zug annahmen. Denn er kannte noch nicht die Geschichte von der Schlacht auf der Mill Bay, die die meisten Leute hier miterlebt oder von anderen gehört hatten.
Philip Junior hatte das Gefühl, sein Herz vollführte einen Freudenhüpfer, als er am Rand seines Blickfelds plötzlich die schlanken Umrisse eines Schiffes sah, das er fast genauso gut kannte wie die „Isabella“.
Die „Le Vengeur“!
Wo das Schiff Jean Ribaults lag, konnte auch die „Isabella“ nicht weit sein. Der kleine Philip spürte, wie die Aufregung in ihm mit Macht anwuchs. Er mußte sich mit aller Kraft beherrschen, um nicht zappelig zu werden.
Dann, Sekunden, später, tauchte auch die ranke Galeone auf, die niemand anders als dem Seewolf und seinen Männern gehörte.
Philip versetzte seinem Bruder einen kaum merklichen Stoß in die Seite.
Hasard nickte ebenso unmerklich. Er hatte begriffen, und er musterte den Admiral jetzt sehr aufmerksam.
Sir Francis Drake war mit seinen Gedanken bereits weit voraus. Wieder spähte er angestrengt nach vorn und versuchte offenbar, die „Revenge“ im Dock zu erkennen.
„Kutscher!“ sagte Drake energisch. „Fahren Sie auf direktem Weg zu meinem Schiff. Egal, was auch passiert. Lassen Sie sich durch nichts und niemanden aufhalten.“
„Aye, aye, Sir“, antwortete der Mann auf dem Bock.
Hasard Junior spannte seine Muskeln bis in die letzte Faser, als er unvermittelt die „Le Vengeur“ aus den Augenwinkeln heraus erkannte. Jeden Augenblick mußte es soweit sein. Dann mußten sie den kürzesten Weg zur Galeone ihres Vaters nutzen.
Jetzt!
Der Bugspriet war unverwechselbar. Dann der Bug selbst, das Vordeck. Jede Planke war den Zwillingen so vertraut, als hätten sie ihr Leben nirgendwo anders verbracht als auf der „Isabella“.
Im nächsten Moment war Hasard Junior versucht, einen Triumphschrei auszustoßen.
Er sah die Männer, die Kisten und Fässer von Frachtwagen abluden. Luke Morgan, Sam Roskill, Bob Grey, Blacky und all die anderen …
Mit einer beinahe nebensächlich wirkenden Bewegung zog Hasard Junior die Pistole unter dem Hemd hervor und richtete den Lauf auf Sir Francis Drake.
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