Was Juan Flores nicht einmal ahnte, was seine an den Haaren herbeigezogene Geschichte aber unverhofft zu bestätigen schien: Seit einiger Zeit hielt sich bei den Engländern in Irland hartnäckig das Gerücht, an Bord eines der spanischen Schiffe, die die Flucht um die Inseln herum angetreten hatten, segelte der Prinz von Ascoli mit.
Juan trug noch dicker auf: „Und der zweite hohe Herr ist Medina Sidonia – der Herzog! Der General-Kapitän der Armada! In der Nordsee ist er extra deswegen auf unsere ‚Gran Grin“ umgestiegen, weil er persönlich auf das Wohlergehen des Prinzen achten wollte, denn unser König, Senor, Seine Allerkatholischste Majestät Philipp II., hat dies dem Herzog besonders ans Herz gelegt.“
Bingham wurde es abwechselnd heiß und kalt. Das war ja geradezu ungeheuerlich. Die Kriegskasse, Ascoli, Medina Sidonia – einfach phänomenal! Er, Bingham, konnte nicht nur die Schatztruhe an sich reißen, er konnte auch die beiden Adligen gefangennehmen und für ihre Freilassung von den Spanieren ein dickes Lösegeld erpressen!
Nur war da als Gegenspieler dieser verdammte O’Malla. Man mußte ihm zuvorkommen.
Bingham wollte neue Fragen an Juan stellen, aber in diesem Moment wurde an die Tür des Raumes geklopft.
Auf Binghams unfreundliche Aufforderung hin trat der Lieutenant der Stadtgarde ein.
„Sir“, sagte er. „Wir haben einen neuen Erkundungsritt unternommen, wie Sie es uns befohlen haben. Wir haben dabei zwar kein spanisches Schiff gesichtet, aber wir haben …“
„Unwichtig. Ich weiß schon, wo das Schiff liegt“, fiel der Dicke ihm ins Wort.
„Sir, wir haben aber eine männliche Leiche geborgen, die Sie sich unbedingt einmal anschauen sollten“, fuhr der Lieutenant fort. „Ich bitte Sie darum. Es handelt sich um einen Spanier, dessen Kleidung erstaunlich schwer ist. Er muß wie ein Stein gesunken sein, und es ist schon ein kleines Wunder, daß er nicht auf dem Grund der Bucht liegengeblieben ist, sondern nördlich der Stadt angeschwemmt wurde.“
Bingham horchte auf. Er erhob sich schwerfällig, winkte seinen Gardisten zu und erteilte auch Harris und Juan Flores die Order, ihn zu begleiten.
Auf dem Hof war die Leiche behelfsmäig aufgebahrt worden. Juan Flores brauchte nicht zweimal hinzusehen, um sie zu identifizieren.
„Das ist Luis de Bobadilla, unser Zahlmeister“, erklärte er. „Er hat in der Nacht heimlich das Schiff verlassen und wollte sich wohl an Land retten, aber es ist ihm mißlungen.“
„Zahlmeister“, wiederholte Bingham murmelnd auf Harris’ Übersetzung hin. „Und er ist ihnen von der Fahne gegangen. Los, Lieutenant, rasch ein Messer her.“
Mit dem scharfen Messer des Lieutenants schlitzte Sir Richard Bingham die Kleidung des toten Mannes auf – und siehe da, Gold- und Silbermünzen fielen klirrend auf das Pflaster des Hofes.
Das war der Beweis – Juan Flores hatte nicht gelogen, es gab diese Kriegskasse, de Babadilla hatte selbst kräftig hineingelangt, um dann zu türmen. Auch der Rest der Erzählung dieses Burschen stimmt, folgerte Bingham daraus – und er taumelte fast, als er an die Pfründe dachte, die da winkten, an all den künftigen Reichtum.
„Die Münzen aufsammeln“, ordnete er an. „Daß mir ja keiner was in die eigenen Taschen steckt. Lieutenant, Sie sind mir für die Vollständigkeit dieses bescheidenen kleinen Schatzes verantwortlich.“
„Ja, Sir. Zu Befehl, Sir.“
„Senor“, sagte Juan Flores. „Ich kann Sie zu unserem Schiff führen, ich habe mir die Stelle, an der es liegt, genau gemerkt.“ Harris übersetzte es sofort, und Juan wartete gespannt auf die Reaktion des Dicken. Alles hing davon ab, denn Juan wollte, wenn er als Lotse im Schiff des Gouverneurs fungierte, mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, dafür sorgen, daß dieses Schiff in der Bucht sank, daß keiner der Insassen jemals die „Gran Grin“ erreichte.
Aber Bingham schüttelte den Kopf.
„Nicht nötig“, sagte er. „Ich weiß ja, daß die Dons vor der Insel Clare vor Anker gegangen sind, und sie werden wohl die Leeküste gewählt haben – bei dem Sturm, der in der Nacht aus Südwest heranfegte. Nein, wir brauchen keinen Führer. Ich halte es außerdem für ein Risiko, den Burschen mitzunehmen. Er könnte seine Kameraden doch noch warnen.“ Er winkte zwei Gardisten zu. „Führt ihn ab. Steckt ihn zu den anderen in den Kerker. Wir brauchen ihn nicht mehr. Ich überlege mir noch, was ich mit den sieben Hunden anfange. Jetzt habe ich weitaus Wichtigeres zu tun.“
Sir Richard Bingham suchte seine Amtsstube im vorderen Gebäudeteil auf, gefolgt vom Lieutenant, von Harris und vier Männern der Stadtgarde. Er wollte dem Lieutenant gerade die Anweisung geben, Killigrew und Ribault zu, sich zu rufen, da sah er durch die Bleiglasfenster, wie der Seewolf und der Franzose an der Spitze einer starken Delegation auf die Kommandantur zumarschierten.
„Was wollen die denn?“ fragte er sich verblüfft. „Na, ist ja egal. Es trifft sich sogar gut, daß sie schon da sind. Wir sparen Zeit.“
Er ließ sie eintreten und breitete, wie von einer wunderbaren Erscheinung überwältigt, die Arme aus, als Hasard und Jean dicht vor seinem abgewetzten Eichenpult standen.
„Meine lieben Freunde“, sagte der ehrenwerte Sir Richard. „Ihre Stunde ist gekommen. Ich wünsche, daß Sie sich jetzt an Ihren Part unserer Vereinbarungen halten, verstehen Sie?“
Hasard fixierte Bingham und fragte sich, ob nicht die Stunde gekommen war, der ganzen Farce ein Ende zu bereiten. Jean Ribault lächelte mal wieder, aber der Rest der Männer von der „Isabella“ und der „Vengeur“ zeigte eisige Mienen. Carberry, der sich gerade den zeternden Sir John in den Wamsausschnitt stopfte, hätte furchtbar gern drei lange Schritte bis zu Binghams Pult getan, um dem unausstehlichen Kerl die Haut in Streifen abzuziehen.
Hasard dachte an die sieben spanischen Gefangenen, aber auch an die Stadtgarde. Wenn er jetzt versuchte, bis zu den Spaniern vorzudringen, um sich ein Bild von ihrem Zustand zu verschaffen – oder gar, um sie herauszuhauen, dann hatte er die Garde gegen sich, und es würde zweifellos ein Blutbad geben.
Der Wind blies wieder heftiger über die Bucht und den Hafen. Er ließ die Bleiglasfenster in der Kommandantur leise klirren und warf die Tür zu, die Smoky, der als letzter eingetreten war, offengelassen hatte.
„Der Wind ist plötzlich auf West umgesprungen“, sagte Smoky.
„Mann, wie der in die Bucht pfeift“, meinte Karl von Hutten nach einem Blick durch eins der Fenster.
„Das gibt neuen Zunder“, murmelte Old O’Flynn. „Dicke Wolken ballen sich zusammen, es reißt nicht mehr auf – na, vielleicht ist das ja auch ganz gut so.“
Sir Richard Bingham kümmerte sich nicht um die Wetterverschlechterung. Er stützte die kurzen, dicken Finger auf das Pult.
„Ich habe erfahren, daß bei Clare Island eine große spanische Galeone liegt“, sagte er. Mit zwei Kriegsschiffen Ihrer Königlichen Majestät dürfte es ja wohl eine Kleinigkeit sein, dieses Schiff, die ‚Gran Grin‘, zu entern und nach Westport einzubringen.“
„Aber sicher doch“, entgegnete Hasard seelenruhig. „Bloß sollten Sie jetzt mal einen Blick nach draußen werfen, werter Freund.“ Er wies mit dem Daumen über die Schulter. „Bei diesem Wind ist es völlig ausgeschlossen, aus der Bucht zu kreuzen und die Insel anzusteuern, geschweige denn, die spanische Galeone zu entern. Tut mir leid. So gern ich mein Versprechen erfüllen würde – im Moment geht das wirklich nicht. Lieber Richard, das müssen Sie doch einsehen.“
Der „liebe Richard“ mußte ihm recht geben.
„So ein Pech“, sagte er zähneknirschend. „Na schön, dann warten wir eben. Aber sobald das Wetter besser wird, laufen Sie zum sofortigen Angriff aus, nicht wahr?“
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