Killigrews und Ribaults Zögern, bei dem nachlassenden Sturm auszulaufen, dieses fortwährende Hinhalten – es war Bingham mittlerweile verdächtig geworden. War ihnen am Ende gar nicht daran gelegen, die „Gran Grin“ zu entern?
Nun, wenn das der Fall war, dann würde er, Bingham, sich den Proviant schon irgendwie wiederholen, den er ihnen in seiner „grenzenlosen Großzügigkeit“ geschenkt hatte.
„Sir“, sagte der Lieutenant. „Eine Reiterpatrouille hat zwischen den Klippen vor der Küste eine Galeone gesichtet. Zweifellos handelt es sich um einen Spanier.“
„Etwa gar um die ‚Gran Grin‘?“
„Sir, das wissen wir nicht. Es gibt keine Flagge, keine Schriftzeichen auf dem Rumpf, denen man auf die Distanz von zweihundert Yards entnehmen könnte, wie der Name des Schiffes sein könnte.“
„Egal. Die Hauptsache ist, daß der Kahn nicht vom Fleck fortkommt, Lieutenant, und daß wir die Gewißheit haben, an Bord keine gut bewaffneten, schlagkräftigen Philipps anzutreffen.“
Der Lieutenant lachte auf. „Das ist ausgeschlossen, Sir – so, wie das Schiff aussieht. Es sitzt hoffnungslos fest, ich schwöre es Ihnen.“
In Bingham war für einen Moment der Verdacht aufgekeimt, bei der Galeone könnte es sich um ein intaktes Schiff der Armada handeln, dessen Besatzung eine Fahrrinne zwischen den Klippen hindurch entdeckt hatte. Es war eine Art fixe Idee der englischen Besatzer in Irland, spanische Truppen könnten von den Schiffen der Armada irgendwann gelandet werden, dort einen Brükkenkopf bilden und dann damit beginnen, die Insel „aufzurollen“.
Die alte Furcht, Irland könne spanisch und damit eine ständige Bedrohung Englands werden – Sir William Fitzwilliam hatte sie Bingham wie allen anderen Gouverneuren und sonstigen Untergebenen ausreichend eingetrichtert. Immer wieder tauchte auch vor Binghams geistigem Auge das Gespenst apokalyptischer spanischer Reiter auf, die über Irlands Boden jagten.
Er verscheuchte dieses Bild aus seinen Gedanken. Viel lieber konzentrierte er sich auf das, was der Lieutenant ihm soeben gemeldet hatte.
„Unsere Leute sagen, sie hätten an Land Leichen gefunden“, fuhr der Lieutenant jetzt in seinem Bericht fort. „Außerdem Trümmer von Planken, Spieren, Rahen, Segelfetzen – das sagt doch genug aus, nicht wahr, Sir?“
Bingham rieb sich die Hände. „Allerdings. Wir brauchen nicht einmal mehr die ‚Isabella‘ und die ‚Vengeur‘, um uns diesen spanischen Segler einzuverleiben, Lieutenant. Wissen Sie schon, auf was ich hinauswill?“
„Ja, Sir. Wir bemannen unsere zwei Schaluppen und die kleinen Einmaster, die uns zur Verfügung stehen, segeln durch die Bucht und entern die Galeone.“ Seine Miene wurde plötzlich ernst. „Aber es befinden sich immer noch einige Dons an Bord des Schiffes, Sir, das dürfen wir nicht vergessen.“
„Himmel, Lieutenant, wir haben fünfzig gut bewaffnete Gardisten – die dürften doch wohl ausreichen, um diese elenden schiffbrüchigen Hidalgos über die Klinge springen zu lassen.“
„Gewiß, Sir. Soll ich auch den Hauptmann verständigen?“
Bingham hatte sich erhoben. „Sicher sollen Sie das, Sie Armleuchter. Liebe Güte, haben Sie etwa Angst vor dem bevorstehenden Einsatz, Mann? Ich will Ihnen was sagen: Wir werden einen strategischen Plan entwickeln – der Hauptmann und ich. Wir werden kämpfen, ohne Verluste zu haben. Was sagen Sie dazu?“
„Großartig“, entgegnete der Lieutenant ohne rechte Überzeugung.
„Fein. Und nun schieben Sie erst mal ab und holen mir diesen spanischen Jüngling aus der Kerkerzelle – diesen Juan Flores. Ich nehme von Land aus eine Ortsbesichtigung vor und will den Burschen dabeihaben, um ’rauszukriegen, ob das wirklich die ‚Gran Grin‘ ist.“
Juan Flores’ Hoffnungen wurden zerstört. Er saß mit gebundenen Händen auf dem Sattel eines Pferdes und war in die Mitte eines zwanzigköpfigen Trupps genommen worden, an deren Spitze Bingham und der Hauptmann ritten.
Der grobknochige Wallach, den man für Sir Richard Bingham gesattelt und gezäumt hatte, drohte unter der Last des Dicken fast zusammenzubrechen. Angesichts der grandiosen Reitkünste ihres Gouverneurs konnten sich die Soldaten das Lachen kaum verkneifen.
Aber es war eine Illusion zu glauben, daß ihre Aufmerksamkeit deswegen nachließ. Die Gardisten behielten Juan scharf im Auge. Er hatte keine Chance, etwas zu unternehmen. Er konnte weder fliehen noch irgendeine Kriegslist durchführen, die dem Reiterpulk Schaden zufügte.
Ganz anders wäre es gewesen, wenn sie schon jetzt mit den Schaluppen und Einmastern zu den Klippen im Norden der Bucht aufgebrochen wären – da hätte Juan Flores gewußt, wie er Verwirrung hätte stiften können.
Der Sturm lag in seinen letzten heftigen Zügen. Schon riß der Wolkenverhang auf, und hier und da drang streifiges Sonnenlicht durch.
Am Strand vor den Klippen verhielt der Pulk, und Bingham ließ Juan Flores zu sich herüberdirigieren. Harris, der Dolmetscher, war auch wieder zugegen, er übersetzte Wort für Wort, was zwischen den beiden gesprochen wurde.
„Das Wrack dort zwischen den Klippen – ist das die einst so stolze ‚Gran Grin‘?“ erkundigte sich der Gouverneur.
Juan wußte, daß es keinen Zweck hatte, jetzt, da er schon so viel preisgegeben hatte, noch etwas zu leugnen.
„Ja, das ist sie“, erwiderte er.
„Ein paar Gestalten winken herüber“, sagte Bingham. „Sieh sie dir an. Ist der Herzog dabei? Der Prinz? Kannst du sie sehen?“
Juan Flores zerriß es fast das Herz vor Kummer, als er durch ein Spektiv blicken mußte, das ihm der Lieutenant vors Auge hielt. Er sah den Kapitän Pedro de Mendoza und den Feldscher und schätzungsweise zwei Dutzend völlig ausgemergelte Gestalten am Schanzkleid der Galeone stehen und schwach gestikulieren. Sie hatten die Reiter gesichtet und hofften auf Hilfe.
„Ich kann weder den Herzog noch den Prinzen entdecken“, sagte er wahrheitsgemäß.
Bingham kaute ein wenig auf der Unterlippe herum, dann meinte er: „Egal. Vielleicht halten sie sich ja unter Deck auf. Für Medina Sidonia und den Prinzen Ascoli kriegen wir natürlich ein riesiges Lösegeld vom spanischen König. Aber für den Fall, daß sie tot sein sollten, bleibt uns immer noch die Kriegskasse des Biskaya-Geschwaders mit den hunderttausend Gold- und Silbermünzen.“
„Was machen wir mit den Philipps?“ wollte der Hauptmann wissen – obwohl er die Antwort schon kannte.
„Die servieren wir ab, außer Medina Sidonia und dem Prinzen Ascoli natürlich.“
„Und die sieben Gefangenen in der Stadtkommandantur?“
„Da fragen Sie noch?“
„Sie werden standrechtlich erschossen?“
„Standrechtlich, jawohl“, erwiderte der dicke Bingham grinsend. „Und jetzt lassen Sie uns zurück in den Hafen reiten. Dort setze ich Ihnen meinen strategisch perfekten Plan auseinander, und wir bemannen die Schaluppen und die Einmaster.“
Er fühlte sich ganz als Feldherr.
Wieder im Hafen von Westport angelangt, hievte Bingham seine schwere, ungefüge Gestalt zunächst aus dem Sattel des Wallachs, dann gab er seine Befehle. Juan Flores wurde in den Kerker zurückgebracht. Plötzlich begann sich der junge Mann zu sträuben, aber das nutzte ihm auch nichts mehr. Brutal zerrten zwei Gardisten ihn fort.
Bingham stolzierte auf dem Kai auf und ab, ließ die Schaluppen und die Einmaster bemannen und mit genügend Munition und Waffen versehen. Dabei schwafelte er von seinem großen Einsatz.
„Schneid und ein unbeugsamer Wille, Umsicht und Tatkraft stehen am Beginn eines jeden großen Gefechts“, teilte er dem Hauptmann mit, der jetzt schon langsam am Verstand seines Gouverneurs zu zweifeln begann.
„Die Umzingelung des Feindes, das Einkesseln, das rasche Zupacken mit eiserner Hand verwandeln den rauhen Krieg in Kunst“, fuhr Sir Richard Bingham fort. „Eine Kunst, die nicht jeder versteht. Man muß dazu geboren sein. Habe ich recht, Hauptmann?“
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