Harris tat seine Pflicht, aber die Spanier schwiegen.
Hinkle und sein Gehilfe wollten sich Vega de la Torre greifen, der mit unbewegtem Gesicht in der jetzt offenen Zellentür stand, da geschah etwas Unerwartetes.
Juan Flores klammerte sich an den Gitterstäben seines Verlieses fest und rief: „Nein, nicht, aufhören! Ich rede! Ich sage alles, was ich weiß!“
Harris übersetzte auch dies. Bingham stoppte seine Schergen durch eine herrische Gebärde, blickte zu Juan, überlegte kurz und befahl dann: „Den Kerl ’rauslassen. Wenn er schwindelt – was ich garantiert sehr schnell herausfinde –, lasse ich ihn standrechtlich erschießen.“
Francisco Sampedro, der in derselben Zelle untergebracht war wie Juan Flores, versuchte den Moses zurückzuhalten. „Bist du wahnsinnig geworden?“ zischte er.
„Ruhe!“ brüllte Bingham. „Schlagt diesen Hund zusammen, wenn er noch ein Wort sagt!“
Harris übersetzte auch dies, er war ein pedantischer, diensteifriger Untertan. Sampedro fuhr zurück, als zwei Stadtgardisten in drohender Haltung auf ihn zurückten. Er und die anderen mußten tatenlos zusehen, wie Juan Flores aus seiner kurzen Haft geholt und zu Bingham geführt wurde. Der hatte die Arme vor der fetten Brust verschränkt und sah den jungen Mann erwartungsvoll an.
Nein, Juan hatte nicht einmal mit Sampedro besprochen, was er plante. Er wußte, daß der Koch der „Gran Grin“ ihn daran gehindert hätte.
Aber Juan hatte sich in den Kopf gesetzt, seine Kameraden vor dem peinlichen Verhör zu bewahren – und nicht nur das. Er hatte auch eine List ersonnen, mit der er Bingham und dessen Schergen gründlich hereinlegen konnte. Er, Juan, würde wahrscheinlich dabei vor die Hunde gehen, aber das war ihm völlig egal, denn er dachte an seinen Schwur.
Juan sah den dicken Stadtgouverneur aus geröteten, brennenden Augen an. „Senor“, sagte er leise. „Wenn Sie mir und meinen Kameraden zu essen und zu trinken geben und uns verschonen, dann verrate ich wirklich alles – nicht nur, wo unser Schiff liegt, sondern noch viel mehr.“
Bingham lauschte Harris’ Übersetzung, dann erwiderte er: „Ich lasse mich von diesem ausgemergelten Kastanienfresser doch nicht erpressen. Er muß so oder so ausspucken, was er weiß. Sag ihm das, Harris.“
„Sir“, mischte sich Hinkle ein. „Ich an Ihrer Stelle würde ihm genehmigen, was er verlangt. Was kostet es Sie denn schon? Wir sparen eine Menge Arbeit und Zeit – wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.“
Bingham wollte Hinkle zunächst barsch zurechtweisen, dann aber gab er dem Foltermeister recht und ließ Juan Flores zurück ins Erdgeschoß führen, wo er ihm in einem karg ausgestatteten Raum Brot, Wurst, Käse und Wasser auftischen ließ.
Das gleiche ließ er auch de la Torre, Sampedro und den übrigen vier Gefangenen bringen. Die Spanier waren versucht, das Essen gegen die Kerkerwände zu schleudern und das Wasser zu verschütten, aber dann siegten doch Hunger und Durst, der Selbsterhaltungstrieb und die Gewißheit, daß sie gestärkt viel besser einen Ausbruchversuch unternehmen konnten, über die Wut, die sie wegen Juan Flores’ „Verrat“ empfanden.
In dem kahlen Raum des Erdgeschosses schlang Juan alles in sich hinein, was ein Bediensteter des Gouverneurs herzlos vor ihn hingeknallt hatte. Bingham saß auf einem Stuhl und verfolgte voll Abscheu, wie der junge Mann aß und trank.
„Ein Tier, dachte Harris, der ergeben neben ihm stand, das wärst auch du Fettsack, wenn du gehungert und gedurstet hättest wie der Junge dort.
Harris hütete sich aber, es offen auszusprechen. Er hing am Leben und wollte nicht, daß er es wegen einer unüberlegten Äußerung jäh verlor.
Juan Flores war am Ende seiner Mahlzeit angelangt. Seine Geschichte hatte er sich zurechtgelegt, und er blickte in gespielter Dankbarkeit zu Bingham hinüber, der ihm aufmunternd zunickte.
„So, und nun leg mal schön los“, forderte Bingham ihn auf. „Deine Freunde sind auch versorgt worden. Der Foltermeister und sein Knecht haben keine Hand an sie gelegt. Ich habe also mein Wort gehalten. Pack aus, Junge.“
Und Juan Flores legte los. Harris brauchte ihn nicht zweimal aufzufordern. Juan schluckte den letzten Bissen Brot gierig herunter und begann dann regelrecht zu schwadronieren.
„‚Gran Grin‘, so heißt unser Schiff, und es ist nicht gesunken, sondern liegt vor dem Ufer einer Insel, die dieser Bucht vorgelagert ist. Die ‚Gran Grin‘ ist das Vize-Flaggschiff des Biskaya-Geschwaders, Senor, jawohl, sie müßten mal sehen, was für ein schmuckes großes Schiff: 1160 Tonnen schwer. Sehr zugesetzt haben uns die Engländer bei Calais, dann sind wir auf unserer Reise rund um England und Irland in diesen Sturm geraten, der uns den Rest gegeben hat – und jetzt auch noch der Überfall der Inselbewohner – o Gott, es war das Allerschrecklichste, was ich je erlebt habe.“
Harris kam mit dem Übersetzen kaum nach. Als er an dem Punkt anlangte, der die halbwilden Inselbewohner betraf, hob Sir Richard Bingham unversehens die Hand.
„Moment mal“, sagte er. „Das kann nur Dubhdara O’Malla mit seiner Bande gewesen sein. Hölle, wenn der auch auf das Schiff scharf ist, müssen wir uns beeilen. Dieser irische Hurensohn darf uns den dicken Brocken nicht wegschnappen, auf gar keinen Fall. Hölle und Teufel, ich habe schon immer gesagt, man müßte mit genügend Schiffen und Männern auf die Insel Clare übersetzen und es diesen Strandräubern gründlich besorgen. Hol’s der Henker.“
„Sie sind sicher, daß es sich um die Insel Clare handelt, Sir?“ fragte Harris vorsichtig.
„Kein Zweifel. Es kann keine andere sein. Nur auf Clare haust ein so tückisches Gesindel wie das, das unser Freund hier soeben beschrieben hat.“ Er musterte Juan Flores prüfend. Bisher hatte er nicht den Eindruck gehabt, daß der Bursche log. Die Angst vor der Folter schien ihm, dem Jüngsten der sieben, ja tief genug in den Knochen zu stecken.
„Er soll jetzt schildern, was an möglichen Reichtümern auf der ‚Gran Grin‘ liegt“, sagte Bingham.
Auf Harris’ Übersetzung hin haspelte Juan das, was er sich beim Essen ausgedacht hatte, herunter. „Keine zweihundert Mann Besatzung haben wir mehr an Bord, und die meisten sind völlig entkräftet und krank. Oh, es sieht furchtbar aus auf unserem Schiff, aber wenigstens die Kriegskasse des Geschwaders hat unser Kapitän durch alle Kämpfe, Stürme und Entbehrungen retten können: die Kriegskasse mit fünfzigtausend Goldmünzen und fünfzigtausend Silbermünzen darin, Dublonen, Dukaten, Piaster, Reales und Escudos, so wahr ich hier sitze und Juan Flores heiße. In der Kammer des Zahlmeisters Luis de Bobadilla steht die wertvolle Truhe, ich habe es von unserem zweiten Offizier vernommen, der jetzt nicht mehr lebt. Viele sind gestorben, keiner hat gezählt, wie viele Leichen wir der See übergeben haben, aber die ‚hohen Herren‘ sind noch am Leben, wie es ja meistens so ist.“
Binghams Gesicht hatte einen verklärten Ausdruck angenommen, jetzt, da er von den insgesamt hunderttausend Münzen der Kriegskasse vernommen hatte. Er lauschte den Erläuterungen seines Dolmetschers hingebungsvoll, unterbrach dann aber wieder.
„Hohe Herren? Was für hohe Herren meint der Bursche?“
„Prinz Ascoli“, antwortete Juan auf Harris’ Frage hin wie aus der Pistole geschossen. „Das ist einer von ihnen. Ein Bastardsohn des spanischen Königs, ja, ja, ein Sproß von Philipp II. das können Sie mir glauben. Es wurde streng geheimgehalten, wer er ist, aber wir Decksleute haben es schließlich doch erfahren.“
Tatsächlich gab es einen Prinzen von Ascoli, und er war auch der „Bastardsohn“ Philipps II. – und dieser Mann hatte die Armada auch wirklich bei der Überfahrt von Spanien nach England begleitet. Nur war er bereits nach dem englischen Branderangriff vor Calais mehr oder weniger zufällig zu dem Herzog von Parma gestoßen und hatte an dem weiteren Kampfgeschehen und der langen Fahrt um die Inseln herum keinen Anteil mehr.
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