Schwerfällig legte sich die „San Carmelo“ mit Steuerbordhalsen an den Westwind und lief träge auf die Insel zu. Die Gefechte hatten ihr schwer zugesetzt, wieder hatte sich im Laderaum Leckwasser gesammelt, doch die Lenzpumpen wurden nicht mehr bedient.
Warum auch? Gato warf einen Blick zu der Galeone zurück, dann drehte er sich wieder zu seinen Leuten um und sagte: „Sobald wir den Kahn der Engländer durchsucht und festgestellt haben, daß sich keiner der Hunde mehr an Bord befindet, kann die ‚San Carmelo‘ die Insel runden und die Werft anlaufen. Bis dahin schafft sie es noch, ohne abzusaufen.“
„Aber auch nicht weiter“, sagte ein Pirat. „Wir werden sie aufslippen müssen, um sie gründlich überholen zu können.“
Gato nickte. „Aber wir können das in Ruhe erledigen, wir haben Zeit. Die Hauptsache ist, daß wir die englischen Hurensöhne endlich erledigt haben. Wie ich Mardengo und Oka Mama kenne, werden sie sie einen nach dem anderen hinrichten.“
„Auf welche Art?“ fragte ein anderer Pirat.
Gato grinste. „Das kannst du dir doch denken. Oka Mamas Erfindungsreichtum ist in der Beziehung unerschöpflich.“
Die Kerle lachten. Keiner von ihnen hatte auch nur das geringste Mitleid mit den Seewölfen. Sie gönnten ihnen, was sie nun erwartete, denn lange genug hatten sie Mardengos Bande zugesetzt und viele Männer getötet.
Die Einmaster gingen bei der „Isabella“ längsseits, die „San Carmelo“ drehte knappe zehn Yards von ihr entfernt bei und warf den Anker.
„He!“ rief Gato dem Kerl zu, den er auf dem Hauptdeck stehen sah. „Wo sind die anderen?“ Er enterte, während er sprach, an der Jakobsleiter auf.
„Sie durchsuchen das Schiff!“ entgegnete der Posten. „Ich bin hier oben allein.“
Gato lachte und kletterte über das Schanzkleid. „Das wird jetzt anders. Wir stellen eine Mannschaft zusammen, dann verholen wir mit dem Kahn in die Skull-Bucht und gehen dort vor Anker.“ Er blieb mitten auf dem Hauptdeck stehen, stemmte die Fäuste in die Seiten und ließ seinen Blick schweifen.
Ein prächtiges Schiff, das mußte man den englischen Bastarden lassen! Nach dem Gefecht in der Ponce-de-León-Bucht war alles wieder instand gesetzt und aufgeklart worden. Das Rigg war tadellos in Schuß, die Decks waren aufgeräumt, die Taue sauber aufgeschossen.
Gato konnte sich eines Gefühls des Neides nicht erwehren. Weder Mardengo noch er waren jemals auf einem so schönen Schiff auch nur für kurze Zeit gefahren.
Aber die Galeone gehörte jetzt ihnen. Sie würden sie zu ihrem Flaggschiff machen, mit ihr zu neuen Raids auslaufen und wahrscheinlich noch einmal Fort St. Augustine angreifen, wo die Spanier bereits eine Niederlage hatten einstecken müssen.
Gato konnte sich ausrechnen, daß Mardengo dieser Gedanke gefallen würde. Auch Oka Mama würde derselben Ansicht sein. Wenn auch das Schiff fertiggestellt war, das auf der Werft lag, und wenn die „San Carmelo“ überholt war, konnten sie mit einem ansehnlichen Verband Pirates’ Cove verlassen.
Er schritt langsam nach achtern und begutachtete die Kanonen. Hervorragende Stücke, dachte er, Zwanzigpfünder und Culverinen, alles bestens in Schuß.
Er enterte das Quarterdeck, dann das Achterdeck, inspizierte alles und warf auch einen interessierten Blick in das Ruderhaus, das gerade aufgebaut war. Er kehrte auf das Quarterdeck zurück, öffnete das Achterdecksschott und betrat das Kastell. Mit einem triumphierenden Grinsen ging er bis zum Ende des Mittelganges, öffnete die Tür und stand in der Kapitänskammer.
Seine Augen hatten sich auf das Dämmerlicht eingestellt, er konnte alle Einzelheiten erkennen. Seine besondere Aufmerksamkeit galt den Waffenschränken: kostbare Flinten und Pistolen besonderer Bauart, eine prachtvolle Sammlung von hohem Wert – sein Staunen war jetzt groß. Er dachte darüber nach, daß es sich lohnte, ein paar dieser Waffen auf die Seite zu schaffen, bevor sich Mardengo und Oka Mama das Schiff ansahen.
Seine Überlegungen wurden durch heranpolternde Schritte unterbrochen. Instinktiv griff er zur Pistole, ließ die Hand aber wieder sinken, als er einen seiner Kumpane erkannte, der hinter ihm durch den Gang auf ihn zusteuerte.
„Gib dich das nächstemal zu erkennen“, sagte Gato. „Um ein Haar hätte ich auf dich geschossen. Du hättest einer der Engländer sein können, die vielleicht hier an Bord noch versteckt sind.“
„Es ist keiner von ihnen an Bord zurückgeblieben“, sagte der Kerl. „Wir haben alles durchsucht.“
„Wirklich alles?“
„Die Männer nehmen sich eben die Stauräume vor.“
Gato war doch überrascht. Er hatte mit einem faulen Trick der Engländer gerechnet, mit dem Versuch, eine Falle zu stellen. Aber sie schienen derart besorgt um das Wohl ihrer drei Kameraden zu sein, die von Oka Mama festgenommen worden waren, daß sie eine derartige List nicht gewagt hatten.
In der Tat hatte Hasard anfangs mit dem Gedanken gespielt, ein paar Männer im Geheimgang der „Isabella“ zu verstecken, die im geeigneten Moment in Aktion traten. Doch es war zu befürchten, daß Oka Mama und Mardengo die Zahl der Gefangenen genau überprüften. Es war zu riskant, diese Art von List anzuwenden. Schon die Maskerade Ferris Tuckers war ein Wagnis, das einige Proben zu bestehen hatte.
Gato entfachte eine Öllampe, dann stieg er mit seinem Spießgesellen in den Schiffsbauch hinunter. Sie hörten jetzt das Geschrei ihrer Kumpane, offenbar waren die Kerle auf den Schatz von Fort St. Augustine gestoßen.
Alles hatten sie durchsucht, wirklich alles, auch den Krankenraum, die Kombüse, das Logis und die Schlaf räume im Achterdeck. Sie waren nicht auf die verborgenen Türen des Geheimganges gestoßen – dafür aber hatten sie den Schatz gefunden. Sie grölten und lachten, und zwei von ihnen stachen ein Weinfaß an, das sie aus dem Vorratsraum in den Stauraum gerollt hatten.
Gato und der andere Pirat trafen mit der Lampe bei ihnen ein. Gato grinste und beugte sich über die geöffneten Truhen und Kisten. Ein Gefühl der Glückseligkeit ergriff ihn. Er hatte diesen Schatz, der für Philipp II. von Spanien bestimmt gewesen war, schon einmal vor Augen gehabt: im Kellergewölbe von Fort St. Augustine. Durch einen Zufall hatte er ihn entdeckt, und er hatte alles darangesetzt, den Kampf im Inneren der Festung zu gewinnen und die Truhen zu bergen.
Dann aber waren die Männer der „Isabella“ erschienen und hatten alles vereitelt. Gato griff mit beiden Händen nach der größten Truhe und hielt sie fest, als könne sie von einer unsichtbaren Macht erneut entführt werden. Einmal hatte er sich den Schatz entreißen lassen – ein zweites Mal sollte das nicht gelingen.
Einer der Kerle reichte ihm einen Becher Wein, er nahm ihn an und leerte ihn mit einem Zug. Der Wein war schwer und süffig und steigerte die Euphorie.
Plötzlich durchzuckte Gato ein verwegener Gedanke: Wie nun, wenn er die Kerle dazu überredete, Mardengo und Oka Mama im Stich zu lassen? Die Zahl war ausreichend, eine Besatzung für die „Isabella“ ließ sich zusammenstellen. Sie konnten sofort auslaufen und verschwinden, ehe Mardengo auf die Idee verfiel, seine Beute selbst in Augenschein zu nehmen.
Viele der Kerle hatten die Nase voll, Mardengo hatte sie nach der Niederlage in der Ponce-de-León-Bucht mißhandelt. Sie haßten ihn und hatten an seinen überragenden Fähigkeiten als Bandenführer und Stratege zu zweifeln begonnen. Es war der richtige Augenblick, eine Meuterei anzuzetteln.
Das Risiko war gering, sie würden mit dem Schiff in der Dunkelheit untertauchen. Sie konnten die „San Carmelo“ und die Einmaster versenken, dann saßen Mardengo, Oka Mama und der Rest der Meute auf der Insel fest und konnten sie nicht verfolgen. Der Schatz von St. Augustine reichte aus, um alle Wünsche der Piraten zu erfüllen – was wollten sie mehr?
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