Gato wollte eben zum Sprechen ansetzen und seinen Kumpanen einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten, da ertönte von oben ein Ruf.
„Gato!“ Es war die Stimme des Kerls, der als Wachtposten auf dem Hauptdeck zurückgeblieben war. „Schiffe in Sicht!“ rief er. „Im Nordwesten! Sie halten auf Pirates’ Cove zu! Gefahr!“
Gato fluchte, schleuderte den leeren Becher an Deck und stürmte nach oben.
Er trat neben den Posten, hob sein Spektiv und warf einen langen Blick hindurch. Im verblassenden Licht waren eben noch die Umrisse der Schiffe zu erkennen. Sieben Galeonen! Gato verschlug es fast die Sprache.
„Spanier“, sagte er und schluckte. „Das kann nicht sein.“
„Sie sehen mir verteufelt nach den Galeonen aus, die uns von St. Augustine gefolgt sind“, sagte der Kerl.
„Jene, die uns bei Daytona geschlagen haben?“ Gato stieß einen Fluch aus. „Ja, das könnte sein. Der Teufel mag wissen, wie sie hierhergeraten sind.“
„Sie haben einige unserer Leute an Bord. Vielleicht hat einer von ihnen ausgepackt.“
„Das wäre sein sicheres Ende“, zischte Gato.
Er beobachtete die Galeonen durch die Optik. Sie steuerten auf das Riff zu. Plötzlich grinste er. Wenn sie Pech hatten, wurden sie vom Wind genau auf die Barriere gedrückt, und dort konnte man sie mühelos zusammenschießen.
„Los“, sagte er zu dem Kerl. „Nimm ein Boot, setz über und lauf zum Lager. Alarmiere Mardengo.“
Der Mann verschwand. Gato ließ die Galeonen nicht aus den Augen. Nur kurz war die Freude über die Niederlage des Gegners, über das gekaperte Schiff und den wiedergefundenen Schatz gewesen – eine neue Gefahr drohte, die den Untergang von Pirates’ Cove bedeutete, wenn sich herausstellte, daß es wirklich der Verband aus St. Augustine war.
Die anderen Kerle hatten den Stauraum ebenfalls verlassen und traten zu Gato. Er erklärte ihnen, was er sah, und sie begannen ebenfalls zu fluchen.
„Kein Licht anzünden“, sagte er. „Noch scheinen sie uns nicht entdeckt zu haben. Vielleicht haben wir eine Chance. Sie laufen auf das Riff, und wir fallen über sie her. Los, das Schiff klar zum Gefecht!“
Rege Betriebsamkeit setzte ein, die Piraten eilten an die 25- und 17-Pfünder, und auch die Drehbassen wurden besetzt. Die meisten Geschütze waren noch geladen. Für die leeren Rohre standen Pulverfässer bereit und waren auch Kugeln in ausreichender Zahl vorhanden.
Aber aufpassen mußten die Kerle in der zunehmenden Dunkelheit. Hier und da klafften Löcher in den Planken der „Isabella“ – sie waren von den Pulvertöpfen gerissen worden, die Mardengo zum Feind hinübergeschleudert und zum Explodieren gebracht hatte. Wer nicht aufpaßte, fiel hinein und brach sich ein Deck tiefer womöglich die Knochen.
Aber die Kerle waren vorsichtig, und rasch machten sie sich mit der neuen Umgebung vertraut. Die „Isabella“ war bereit zum Gefecht. Auch auf der „San Carmelo“ und den beiden Einmastern waren alle erforderlichen Vorkehrungen getroffen worden.
Gato brauchte nur noch abzuwarten und zu verfolgen, was der Gegner, der sich offenbar sehr zielstrebig der Insel näherte, unternahm.
Die Schleier der Nacht fielen jetzt fast atemberaubend schnell, und an Bord der Galeonen wurden die Hecklaternen angezündet.
„Narren“, sagte Gato leise. „Ihr erleichtert uns den Überfall.“
Wie Perlen auf einer Schnur wirkten die Positionslaternen der spanischen Schiffe, die sich – von Gatos Standort aus betrachtet – in schräg achterlich versetzter Linie unaufhaltsam dem Riff näherten. Es dauerte nicht mehr lange, dann hatten sie die ersten Korallenbänke erreicht.
Don Augusto Medina Lorca, der nach wie vor an der Schmuckbalustrade auf dem Achterdeck der „Santa Veronica“ stand, hatte sich die Stelle, an der der Gefechtslärm erklungen war, genau gemerkt. Deshalb lief er Pirates’ Cove von Nordwesten an. Don Lope de Sanamonte, der nicht von der Seite des Piraten gewichen war, widersprach ihm dieses Mal nicht. Er war – was selten der Fall war – mit Don Augusto einer Meinung: Es war nur richtig, am Ort des Geschehens, an dem jetzt tiefes Schweigen herrschte, nach dem Rechten zu sehen.
Der Pirat hatte als Lotse einwandfreie Arbeit geleistet. Don Lopes anfängliche Bedenken hatten sich etwas gelegt. Der Pirat indes hütete sich, von dem Riff zu sprechen, das als Schiffsfalle vor der Insel auf sie lauerte.
Seine Rechnung war einfach, und sie ging auf: Wenn er die Schiffe auf die Korallenbänke lenkte, hatte er – falls er überlebte – später eine Chance, sich vor seinen Kumpanen und auch vor Mardengo zu rechtfertigen. Er war zum Schein auf die Wünsche der Spanier eingegangen, aber nur, um sie auf die Barriere locken zu können und sie somit Mardengo auszuliefern. So würde er das Mardengo und Oka Mama gegenüber darstellen, und wenn alles klappte, mußten sie ihm glauben.
Mit rauschender Bugwelle segelte die „Santa Veronica“ in ihr Verderben. Sie sollte die erste sein, die auf den Bänken zerschellte. Die Hände des Piraten verkrampften sich um den Handlauf der Balustrade, und er preßte seine Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Er wünschte seinen Gegnern, daß sie starben – alle.
Vielleicht würden auch die gefangenen Piraten in der Vorpiek der Galeone ihr Leben lassen, vielleicht waren sie sogar die ersten, die ein furchtbares Ende fanden. Aber das, so befand der Mann, war ein Opfer, das gebracht werden mußte.
Mardengo lief zwischen seinen Gefangenen auf und ab. Der zuckende Schein eines Lagerfeuers, das im Zentrum der Hüttenrunde errichtet worden war, erhellte seine Gestalt. Seine Züge waren verzerrt. Oka Mama hingegen verfolgte das Geschehen mit stoischer Ruhe.
Der Korse und seine Kumpane blickten sich untereinander an und fragten sich im stillen, was nun kam.
„Wo ist der Rothaarige?“ schrie Mardengo. „Der Hund soll sich melden!“
„Ihr wollt ein Opfer, oder?“ brüllte Carberry und trat zwei kurze Schritte auf Mardengo zu. „Hier, fang bei mir an, du Bastard! Deine Fragen wird trotzdem keiner beantworten!“
Mardengo packte Asiaga und riß sie zu sich heran. „Wollt ihr mich zum Narren halten? Wartet, das treibe ich euch aus! Wer ist das Mädchen?“
„Sie ist meine Squaw“, sagte Tamao. Er wollte sich auf Mardengo stürzen, aber der Kutscher hielt ihn zurück.
„Sie ist eine Timucua“, sagte Oka Mama. „Die Timucua sind feige Frösche, die keine Kraft in den Knochen haben.“
„Das ist nicht wahr!“ stieß Asiaga erbost aus.
„Sind die Seminolen vielleicht besser?“ schrie Little Ross.
Mardengo griff Asiaga mit einer Hand in die Haare und bewegte ihren Kopf hin und her.
„Ihr Drecksäcke“, sagte er wütend. „Ihr Großmäuler. Ihr habt wohl immer noch nicht begriffen, was die Stunde geschlagen hat, wie? Aber ich erkläre es euch. Ihr habt zu gehorchen, sonst nichts. Ich kann mit euch tun, was ich will.“
Hasard kauerte in seiner Deckung und hatte das Entermesser in der rechten, das Messer in der linken Hand. Er war bereit, aufzuspringen und Mardengo anzugreifen, wenn auch nur ein Tropfen Blut floß. Er war zum Handeln gezwungen, wenn der Pirat nicht von diesem Irrsinn abließ. Aus schmalen Augen verfolgte er, was weiter geschah.
„Schöne Haare“, sagte Mardengo. „Soll ich sie ihr abschneiden?“
„Nein!“ rief Ben Brighton und trat neben Carberry. „Das ist nicht erforderlich, Mardengo.“
„Woher weißt du meinen Namen?“
„Er ist in Florida bekannt. Wir haben ihn in St. Augustine erfahren.“
Mardengo stieß ein rauhes Lachen aus. „Auch dort hatte man mich also erkannt? Gut so. Wer bist du, Großmaul?“
„Ben Brighton, der Erste Offizier der ‚Isabella‘.“ Ben wandte sich zu den Kameraden um. „Ihr haltet jetzt gefälligst den Mund und befolgt die Anweisungen, die euch gegeben werden, verstanden? Das ist ein Befehl!“
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