Mißtrauisch beobachtete er die Männer. Es waren Uniformierte, die vor einer Schenke mit einem dicken Zivilisten sprachen.
Kein Zweifel, das waren polnische Soldaten, und denen wollte er nun nicht gerade begegnen. So blieb er in seinem Versteck und beobachtete die Männer, ganz besonders den Dicken, der sehr aufgeregt wirkte und gestenreich immer wieder nach Osten auf die See deutete.
Ihre Stimmen waren für Gary nur ein unverständliches fernes Gemurmel, von dem er absolut nichts verstand.
Geduldig wartete er. Dabei war es sehr interessant, was die Soldaten mit dem Dicken besprachen.
Der Dicke war niemand anders als Pjontek. Er hatte die Soldaten gerufen, nachdem der verrückte Stanislaus den Schnaps mit einer englischen Münze bezahlt hatte.
„Zeige uns mal die Münze“, sagte einer der Soldaten. Er nahm sie Pjontek aus der Hand und betrachtete sie.
„Ja, das ist eine englische Münze“, sagte der Soldat nickend. „Ich habe schon einmal eine solche gesehen.“
„Hier geht etwas Geheimnisvolles vor“, behauptete der Wirt kühn. „Den ganzen Vormittag bis zum frühen Nachmittag lagen zwei Galeonen vor der Küste vor Anker. Ich habe alles deutlich beobachtet. Sie haben drei Boote zu Wasser gelassen und sind pausenlos dicht unter der Küste gesegelt.“
„Und was suchten sie?“
„Das weiß ich nicht, keine Ahnung. Zwei Männer sind an den Strand gesegelt und dort entlanggegangen. Eine lange Strecke sogar, während ihnen das eine Boot ganz dicht folgte.“
Der Dicke schwitzte vor Aufregung, außerdem stand auch er jetzt einmal im Mittelpunkt und wußte allerlei zu berichten, denn die fünf Soldaten hörten interessiert und gespannt zu. Sie gaben ihm sogar die Münze wieder zurück.
„Haben sie Bernstein gesucht?“ fragte der Soldat.
„Das glaube ich nicht. Es muß wohl etwas anderes gewesen sein. Jedenfalls war das eine Schiff ziemlich groß, das andere etwas kleiner. Ich habe so ein Schiff auch noch nie gesehen, aber ich bin sicher, daß das größere das englische Piratenschiff war, das ihr so dringend sucht.“
„Wie sahen die Kerle denn aus?“
„Oh – wilde Gestalten, schwarzhaarig und groß. Einer trug einen Degen, die anderen lange Piratenmesser und Pistolen. Sie sahen so aus, als wollten sie die Dörfer plündern“, erzählte der dicke Pjontek übereifrig. „Und viele Kanonen waren auf den beiden Seglern zu erkennen.“
„Und wo sind sie jetzt?“
„Leider sind sie kurz nach Mittag weitergesegelt, in westlicher Richtung, und die Boote haben sie auch wieder mitgenommen. Aber ist es nicht merkwürdig, daß der verrückte Stanislaus ausgerechnet heute mit einer englischen Münze bezahlt hat? Das muß doch genau untersucht werden!“ ereiferte sich der Wirt.
„Das werden wir auch genau untersuchen, Pjontek. Hast du den schuckernen Stanis gefragt, woher er die Münze hat?“
„Klar, das habe ich sofort gefragt. Ich fragte: ‚Wo hast du die Münze denn her?‘“
„Und was sagte er dann?“
„‚Gefunden, unten am Strand‘, so sagte er wörtlich. Ich fragte ihn noch, ob die Münze vielleicht ein paar Brüderchen hätte, aber ihr kennt ihn ja: Wenn der nichts sagen will, dann lacht er nur immer dämlich und gibt keine Antwort.“
„Vielleicht hat sie einer der Piraten wirklich am Strand verloren“, meinte der eine Soldat nachdenklich.
Pjontek schüttelte schnell den Kopf.
„Verloren kann sie von den Piraten keiner haben“, sagte er schlau, „denn da waren die beiden Piratensegler mit ihren Booten ja noch gar nicht in unserer Nähe. Also muß er sie woanders herhaben.“
Das leuchtete den Soldaten ein. Alle nickten unisono.
„Wo ist der schuckerne Stanis jetzt?“
„In seiner Höhle. Ich habe ihm eine Kruke Schnaps verkauft, und da ist er gleich abgehauen. Wenn er Schnaps hat, dann hockt er sich in die Ecke und säuft so lange, bis die Kruke leer ist. Danach ist er dann total besoffen und pennt seinen Rausch aus.“
Die Soldaten sprachen miteinander, blickten auf das Meer hinaus und fanden alles sehr merkwürdig.
„Kannst du uns seine Behausung zeigen? Wir werden ihm mal einen kleinen Besuch abstatten.“
„Es wird mir eine Ehre sein, euch dort hinzuführen.“ Pjontek dienerte. „Schließlich muß das ja geklärt werden. Vielleicht steckt er mit den Brüdern unter einer Decke.“
„Alles ist möglich“, sagte der Anführer der Fünfmanngruppe. „Dann also los.“
„Ich gehe vor“, sagte Pjontek eifrig. „Hier müssen wir quer durch die Dünen, dann sind wir gleich da.“
Von alledem verstand Gary absolut nichts. Er sah nur, daß die Kerle alle sehr aufgeregt wirkten, daß der dicke Zivilist immer noch mit den Händen fuchtelte und auf die Kerle einredete.
Aber Gary Andrews schwante nichts Gutes. Weil er den Sinn der Gespräche nicht begriff, nahm er an, der verrückte Säufer hätte die Soldaten alarmiert.
Er kauerte sich in seinem Versteck zusammen und kroch fast in den Boden hinein, denn die fünf Soldaten und der Zivilist schlugen seine Richtung ein und hielten fast genau auf ihn zu.
Verdammt, dachte er, ich muß hier weg, ich muß so schnell wie möglich verschwinden, sonst geht es mir an den Kragen.
Sehr dicht gingen sie jetzt an seinem Versteck vorbei. Gary schwitzte Blut und Wasser, doch dann atmete er erleichtert auf, denn der Dicke wechselte den Kurs etwas nach rechts, und so marschierten sie in knapp fünf Yards an ihm vorbei, ohne ihn zu entdecken.
Auffallend eilig hatten sie es, um von dem verrückten Stanislaus zu erfahren, woher die Münze stammte. Aber der Kerl war für die nächste Zeit ganz sicher nicht ansprechbar. Bis der seinen Rausch ausgeschlafen hatte, würde sicher eine Ewigkeit vergehen.
Während er den Kerlen nachblickte, blieb er immer noch reglos in seiner Deckung liegen. Dann wandte er den Blick nach vorn und sah sich die Kneipe an.
Ein paar Leute verschwanden ins Innere der Schenke. An einem langen Holm sah Gary fünf angebundene Pferde, die den Soldaten gehörten. Neben den Gäulen stand ein Posten, den sie als Bewachung zurückgelassen hatten.
Gary Andrews grinste ein bißchen. Es sah verwegen aus, denn in seinem Schädel reifte ein Plan. Wenn er sich auf einen der Gäule schwingen könnte, dann waren seine Probleme der langen Wanderung gelöst, und er war vielleicht noch eher in Rügenwalde als die „Isabella“ und die „Wappen von Kolberg“.
Vorsichtig richtete er sich auf und marschierte zwischen die Dünen. Der Wirt und die Soldaten marschierten immer noch in Strandrichtung. Hin und wieder sah er durch die Dünen nur ihre Köpfe. Dann tauchten sie wieder weg.
Ein Posten, dachte er, ein Mann. Das war für einen Kerl wie ihn zu schaffen, vorausgesetzt, er konnte sich nahe genug an den Mann heranpirschen, damit der nicht ganz Rixhöft alarmierte.
Er sah sich den Kerl genauer an und stellte fest, daß er fast im Stehen schlief und vor sich hin döste. Er hatte sich an den Holm zurückgelehnt und starrte zu Boden, die Augen dabei halb geschlossen.
Die Soldaten konnten ihn jetzt nicht mehr sehen, selbst wenn er sich zu voller Größe erhob.
Neben der Schenke befand sich ein Stall mit offener Tür. Von der Seite her mußte er den Posten umgehen, dann hatte er die besten Aussichten nicht vorzeitig entdeckt zu werden.
Wie eine Schlange bewegte er sich durch den Sand, bis er ein paar Schlehenbüsche erreichte, die ihm weiter Deckung boten.
In diesem Augenblick blickte der Posten hoch und starrte genau in seine Richtung.
Gary blieb stocksteif stehen, als sei er erstarrt. Wahrscheinlich hatte er ein wenig die Äste bewegt. Aber dieser Kerl war mißtrauisch, dem entging so schnell nichts. Erst nach einer Ewigkeit wandte er endlich den Blick ab.
Gary schlich weiter und umging die Schenke in einem riesigen Bogen, bis er sie von der anderen Seite im Blickfeld hatte. Auch dort gab es direkt neben der Schenke eine angelehnte Stalltür.
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