Dem Profos kamen vor Rührung fast die Tränen. Er schluckte andächtig und verstand die Welt nicht mehr.
Sir John, sein Sir John, hatte Eier gelegt! Ein Unding, seit die Welt bestand!
Er zog sich vorsichtig zurück. Seine ganze Welt stand kopf.
Als er endlich fassungslos und mit knallrotem Schädel vor den anderen stand, verging denen ihr Grinsen. Sie sahen ihren Profos entgeistert an.
„Fehlt dir was, Ed?“ fragte Smoky besorgt.
Carberry starrte fast verzückt in unbekannte Fernen, und auf seinem Narbengesicht lag ein andächtiges Leuchten, als er sagte: „Ich glaube, mich knutscht eine Seekuh!“
„Hä?“ fragte Matt Davies. „Sollen wir den Kutscher holen, Ed? Vielleicht hast du auch das Dingsbums, das Smoky damals hatte, diesen, äh – na ja, dies Dings im Kopf!“
Carberry hörte gar nicht zu. Er stand da, schüttelte den Kopf und merkte gar nicht, daß die anderen sich fragten, weshalb den guten Ed ausgerechnet eine Seekuh geknutscht hatte.
Endlich brach es aus ihm hervor.
„Sir John hat drei Eier gelegt“, sagte er, und jeder war sich absolut sicher, daß es verdammt feierlich klang.
Ed sah in entgeisterte Gesichter, Augen starrten ihn so ungläubig an, als zweifle jeder an seinem Verstand.
„Spinnst du etwa?“ fragte Smoky grob. „Oder willst du uns nur verschaukeln?“
„Mann, Profos“, sagte Matt Davies eindringlich. „Überlege dir doch mal, was du da eben verkündet hast! Sir John ist schließlich ein ausgewachsener Mann, äh – männlicher Vogel, meine ich, und die legen bekanntlich nur krumme Eier.“
„Dann ist es jetzt eben eine Sir Johnin“, sagte Ed. „Und wenn ihr grünen Stinte das nicht glaubt, dann glotzt euch das Gehege doch selbst an. Aber wehe, einer berührt auch nur ein Ei! Dem ziehe ich persönlich die Ärsche von seinen Streifen – äh, verdammt, ich bin ganz aufgeregt. Seht selbst nach, aber ganz vorsichtig!“
Smoky kroch als erster hinein, und als er das Gelege erblickte und wieder zurückkroch, da glänzten auch seine Augen, und er schüttelte fassungslos den Kopf.
„Das – das ist ja ein – ein Unding“, sagte er krächzend.
Einer nach dem anderen kroch hinein und kehrte ebenso verdattert wieder zurück.
Sie alle blickten zur Großrah, wo Sir John sich aufplusterte und krächzende Laute von sich gab.
„Mann, wie war das nur möglich?“ stammelte Matt Davies, der es immer noch nicht glauben konnte, aber er hatte die Eier selbst gesehen, das war keine Täuschung gewesen.
„Ich entsinne mich jetzt, daß Sir John ein paarmal an Land flog“, sagte Gary Andrews nachdenklich. „Da gab es ja immerhin genügend Papageien. Und die werden schon gemerkt haben, daß er kein Männchen, sondern ein Weibchen ist.“
„Richtig, da waren auch weiße Papageien mit gelben Hauben dabei“, sagte Smoky. „Das gibt bestimmt so eine Mischung wie zwischen Negern und Weißen. Na, auf die Jungen bin ich gespannt.“
„Geht weg, er will in sein Nest!“ rief der Profos. „Mich wundert, daß er die Eier nicht ständig bebrütet.“
„Vielleicht will er sich nur den Hintern kühlen“, meinte Blacky.
„Sie – meinst du wohl“, korrigierte Carberry.
„Ja, da muß man total umdenken“, murmelte Blacky verstört.
Sir John stürzte sich aufs Vordeck, landete auf den Planken und stolzierte zu „seinem“ Käfig. Wie eine bunte Ente watschelte er hinein und verschwand in dem dämmerigen Kasten.
Draußen erhitzten sich unterdessen die Gemüter. Die Seewölfe liefen zusammen, staunten und konnten es nicht fassen.
Und der alte O’Flynn sagte: „Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir nicht kapieren. Mir kam das Vieh schon immer so seltsam vor. Er, sie, meine ich, benahm sich nämlich direkt weiblich.“
„Du hast natürlich wieder den totalen Durchblick“, sagte Ed. „Hinterher weißt du immer alles besser als die anderen, du Seegurke!“
Auch die Zwillinge erschienen mit großen erstaunten Augen, aber der Profos scheuchte sie weg.
„Laßt euch ja nicht in seiner Nähe blicken“, warnte er. „In ihrer Nähe, meine ich. Und stellt mir nichts mit den Eiern an, habt ihr das verstanden?“
„Stimmt das denn wirklich?“ fragte Hasard junior skeptisch.
„Klar stimmt das, wir alle haben es gesehen. Später, wenn sie wieder auf der Rah hockt, um sich den Achtersteven zu kühlen, dürft ihr mal einen Blick in das Nest werfen.“
Mit hochroten Köpfen blieben die Zwillinge erwartungsvoll stehen. Aber Sir John blieb noch eine ganze Weile in dem Käfig. Erst nach einer halben Stunde flatterte er wieder heraus und schwang sich auf die Rah.
Das seltsame Gebaren des Vogels kapierte zwar niemand so richtig, denn von einem Vogel wußte man allgemein, daß er tagelang ohne Pause auf seinen Eiern hockte. Aber Papageien bildeten da vielleicht eine Ausnahme. Schließlich mußte Sir John das ja besser wissen als die Seewölfe, und sie konnten ihm da keine Vorschriften machen.
Schließlich erfuhren auch der Seewolf und Ben Brighton davon.
Sie ließen es sich von Carberry berichten, und der Profos sprach dabei in rührenden Tönen von einer liebevoll besorgten Mutter und daß es nicht mehr lange dauern würde, dann hätten sie drei weitere Papageien an Bord.
Selbst der Seewolf war fassungslos.
Carberry ordnete an, daß für die brütende Mutter ab sofort Trinkwasser in einer Muck dicht beim Käfig aufgestellt wurde. Dann befahl er den Zwillingen, sich immer rechtzeitig um Früchte und Leckerbissen bei dem Kutscher zu bemühen, damit es Sir John ja auch an nichts fehle.
Hasard und Philip versprachen das, und später durften sie auch einen Blick auf das kunstvoll gebaute Nest werfen.
„Donnerwetter“, sagten beide wie aus einem Mund. „Das hätte ich niemals gedacht.“
Der eierlegende Sir John war und blieb die Hauptattraktion, und an Bord wurden lange Debatten darüber geführt, ob man den Namen nicht ändern solle, denn einen brütenden Sir gab es nicht, daher schlug der Moses Bill vor, man solle den Vogel doch von nun an einfach Lady John nennen.
„Du spinnst wohl“, sagte Carberry. „Lady John war doch die Stiefmutter des Seewolfs. Das geht nicht.“
„Vielleicht Ladybird“, schlug Matt Davies vor, aber auch da winkte der Profos ab.
„Daran kann ich mich nicht gewöhnen“, erklärte er.
Die Gemüter erhitzten sich weiter, denn die Sache mit Sir John war tatsächlich die größte und einzige Abwechslung auf dieser Reise gen Norden.
Immer wieder schlich der Profos zu seinem Liebling, hockte auf allen vieren auf den Planken, kontrollierte, ob der Vogel auch genug zu fressen hatte und seine Leckerbissen regelmäßig erhielt, und fand alles in bester Ordnung.
Bis auf eine Kleinigkeit allerdings, und die berührte den stumm dasitzenden Carberry fast peinlich.
Sir John nämlich fraß sich dick und voll, zernagte die Leckerbissen und schielte nur ab und zu mal neugierig nach den Eiern. Meist rollte er sie mit dem großen Schnabel im Nest herum, beglotzte sie andächtig und widmete sich dann seinen Körnern, dem Mais und den Sonnenblumenkernen.
„Wie du das schaffst, ist mir egal“, knurrte Ed. „Aber wenn du die Eier nicht richtig ausbrütest, drehe ich dir den Kragen rum! Ich kann nur für dich hoffen, daß du eine gute Mutter bist!“
Daraufhin stieß der Aracanga wieder einen seiner lästerlichen Flüche aus, spazierte O-beinig aus dem Käfig und schwang sich auf die Großrah, verfolgt von Carberrys äußerst besorgten und auch leicht mißtrauischen Blicken.
Der Profos, besorgt über seinen Liebling, ging zum Kutscher, dem Feldscher an Bord, der lange Jahre bei Sir Freemont gedient hatte und sich selbst nur der Kutscher nannte. Angeblich hatte er keinen anderen Namen.
„Hör mal, Kutscher“, sagte Ed und lehnte sich ans Kombüsenschott. „Wie lange brütet ein Papagei eigentlich? Du bist doch ein gelehrter Mann, oder du tust jedenfalls immer so!“
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