„Du bist selbst eine Kanaille, Moravia“, sagte der Glatzkopf mit grollender Stimme. „Du hast uns alle reinlegen und verheizen wollen. Wir können froh sein, daß wir noch am Leben sind. Für dich arbeite ich nie wieder.“
Er sprach’s und verschwand. Die anderen Kerle folgten ihm. Sie mußten ihren Ärger erst mal richtig herunterspülen. Später trafen sie sich – naß, wie sie waren – in einem Keller, in dem Ingrao eine Art Kaschemme eingerichtet hatte. Hier einigten sie sich: Silvestro Moravia war für sie erledigt.
Und überhaupt, vielleicht war es besser, Masquat für einige Zeit den Rücken zu kehren. Wie es schien, hatten die Engländer die Portugiesen sowieso beim Sultan angeschwärzt. Das konnte früher oder später eine Säuberungsaktion bedeuten. Wenn man alles richtig betrachtete, schien der Boden in Masquat sehr heiß zu werden.
Plymmie hob den Kopf. Vom Hafen wehte ein Schrei herüber. Hasard hielt Ausschau, konnte aber nichts erkennen. Wurde an Bord der „Santa Barbara“ jetzt gekämpft? Möglich, dachte er. Insgeheim drückte er seinen Mannen die Daumen, daß alles gutging. Er wäre jetzt gern bei ihnen gewesen. Aber man konnte nicht gleichzeitig an zwei verschiedenen Stellen sein – ausgeschlossen.
Schüsse waren nicht zu vernehmen. Der Seewolf hatte einigen Grund zu der Annahme, daß sich seine Mannen gegen die Portugiesen zu behaupten verstanden. Immerhin hatten sie an Bord der Galeone den „Heimvorteil“. Und wenn es ganz dick wurde, mußten eben doch die Schußwaffen den Kampf entscheiden.
Nichts. Kein Schuß. Keine Höllenflaschenexplosion. Hatten die Portugiesen es gar geschafft, die „Santa Barbara“ zu kapern? Ausgeschlossen, dachte Hasard, mach dich nicht selbst verrückt.
Seine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf Plymmie. Die Hündin stellte die Ohren steil auf und blickte etwas weiter nach rechts – zwischen die Felsen. Hasard berührte ihren Kopf. Plymmie verstand. Sie durfte sich nicht regen und keinen Laut äußern. Erst, wenn der Seewolf ihr das Zeichen dazu gab, konnte sie aufspringen und losjagen.
Hasard kauerte hinter seiner Deckung, einem abgeflachten, buckligen Felsen, und rührte sich um keinen Deut. Was hatte Plymmie dieses Mal bemerkt? Wieder einen Vogel? Ein anderes Tier? Ihrer angespannten Körperhaltung nach zu urteilen, war es mehr. Der Unheimliche? War er in der Nähe?
Da – etwas bewegte sich auf sie zu. Eine Gestalt! Hasard hielt unwillkürlich den Atem an. Er erkannte den Vermummten wieder. Das schwarze Gewand flatterte ein wenig. Die Kapuze war kaum zu erkennen. Wie ein Schemen huschte der Mörder an ihnen vorbei und strebte auf den Höhleneingang zu.
Hasard hielt Plymmie immer noch zurück. Der Vermummte lief seinen Häschern genau in die Arme. Das Eingreifen der Hündin war vielleicht gar nicht erforderlich.
Doch der Zufall wollte, daß einer der Wächter, die im Eingang des Geheimganges hockten, genau in diesem Moment husten mußte. Er preßte zwar die Hand vor den Mund, doch das erstickte Geräusch war in der Stille deutlich genug zu hören.
Der Mörder blieb stehen und duckte sich wie ein in die Enge getriebenes Tier. Plötzlich fuhr er herum und eilte in die Richtung zurück, aus der erschienen war.
Hasard tickte Plymmie mit zwei Fingern an. „Los!“ Sie schoß aus ihrer Deckung und jagte auf den Fremden zu.
Der Mörder hörte das Hecheln des Tieres. Mit einem dumpfen Laut wandte er den Kopf und ließ sich fallen. Wie ein Spuk war er verschwunden.
Hasard hatte seine Doppelläufige gezückt und sprang über den buckligen Felsen.
„Stehenbleiben!“ rief er. „Du sitzt in der Falle!“ Wieder bediente er sich der spanischen Sprache – und wieder gab der Maskierte einen spöttischen Laut von sich, als habe er die Worte verstanden.
Plymmie raste auf den Kerl zu.
„Was ist los?“ rief Philip junior vom Eingang der Höhle – auf Englisch.
„Er hat euch gehört!“ erwiderte der Seewolf. „Er türmt! Los, kommt raus!“
Die Zwillinge, Mac, Mustafa und drei der Wächter ließen sich das nicht ein zweites Mal sagen. Sie stiegen in die Felsen und eilten zu der Stelle, an der sich der Seewolf befand. Zwei Wächter blieben in dem von Büschen verdeckten Loch zurück.
Plymmie hatte den Mörder fast erreicht. Er schleuderte einen Stein nach ihr. Der Stein traf Plymmies Schnauze. Sie wich nach rechts aus, geriet an eine Klippe und strauchelte. Jaulend fiel sie hin. Sie sprang wieder auf, aber der Mörder hatte etwas Vorsprung gewonnen. Er huschte gebückt zum Wasser.
„Da vorn ist er!“ rief Hasard. „Drauf!“
Die Verfolger – allen voran Mustafa – waren nicht weit von dem Unheimlichen entfernt. Zwei Wächter hoben die Musketen und legten auf den Kerl an. Aber es war keine einfache Aufgabe, einen dunklen Schatten in der Nacht zu treffen.
Der Mörder hatte das Wasser erreicht. Es gab einen klatschenden Laut, und wieder war er verschwunden.
Plymmie humpelte zu den Zwillingen.
„Was ist los mit dir?“ fragte Hasard junior besorgt.
Plymmie winselte ein wenig, aber dann konnte sie schon wieder richtig laufen. Sie trottete zum Wasser. Die Wächter standen mit ihren Musketen da und hielten nach dem Mörder Ausschau. Irgendwo mußte er wieder auftauchen. Aber er erschien nicht.
„Na, großartig“, meinte Mac. „Vielleicht ist er abgesoffen.“
„Der nicht“, entgegnete Philip junior. „Der ist zäh wie eine Ratte.“
Plymmie sprang ins Wasser und tauchte unter. Aber so sehr sie sich auch Mühe gab – sie fand den Maskierten nicht mehr. In diesem Augenblick schien sich zu bestätigen, was der Sultan über den Mörder gesagt hatte. Er konnte hexen.
Wo steckte er?
Einer der beiden Wächter im Eingang der Höhle watete in dem Wasser vorwärts. Er teilte die Zweige der Büsche mit den Händen und beugte sich vor, um etwas von den Vorgängen am Felsenufer verfolgen zu können. Er sah die Gestalten, die am Wasser standen und sich untereinander ratlos anblickten.
Was er nicht sah, war der Schemen, der sich urplötzlich aus dem Wasser schob. Der Wachtposten blickte nach links, und der Mörder tauchte rechts von ihm auf, also praktisch hinter seinem Rücken.
Blitzschnell stach der Unheimliche mit seinem Dolch zu. Der Wächter sank ins Wasser. Er gab keinen Laut mehr von sich, denn der Mörder preßte ihm eine Hand auf den Mund.
Der zweite Wächter sah, wie die Gestalt seines Kameraden unterging.
„Was machst du denn?“ fragte er und lachte leise. „Willst du schwimmen?“
Da der andere nichts erwiderte, watete der Wächter in dem hüfthohen Wasser voran. Er gelangte genau drei Schritte weit, da wuchs die Gestalt des Vermummten vor ihm hoch. Der Wächter griff noch nach seinem Säbel, doch bevor er sich wehren konnte, steckte der krumme Dolch in seinem Hals. Tot fiel er ins Wasser.
Der Mörder verschwand im Dunkel der Höhle. Er raffte die Schöße seines kraftanähnlichen Gewandes zusammen und rannte, so schnell er konnte. Daß er nicht viel Zeit hatte, wußte er.
Keuchend erreichte er die Stelle, an der der Stollen senkrecht nach oben abbog. Er stieg die Eisenstäbe hoch und verharrte unter der Luke. Stand auch oben ein Wächter? Aber die anderen saßen ihm bestimmt schon wieder im Nacken – er durfte nicht länger warten. Er mußte es riskieren und alles auf eine Karte setzen.
Die Luke hob sich vorsichtig unter dem Druck seiner Schulter. Er riskierte einen Blick und sah Stroh sowie die Hufe eines Pferdes, sonst nichts. Der Geruch des Stallmistes drang in seine Nase.
Der Mörder glitt ins Freie und lag nun auf dem Boden der Pferdebox. Das Tier schnaubte ein wenig, wurde aber nicht richtig unruhig. Es hatte sich an den Eindringling gewöhnt, der hin und wieder zwischen seinen Läufen auftauchte.
Vorsichtig richtete sich der Maskierte hinter dem Bauch des Pferdes auf. Die Luft war warm, die Ausdünstungen der Pferde erfüllten den Stall. Sonst hatte er immer Zeit gehabt, sein Gewand ein wenig zu trocknen. Dieses Mal durfte er nicht warten.
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