Die ganze Nacht über suchten sie nach ihrem Flaggschiff, fanden es aber nicht. Erst in den späten Morgenstunden des neuen Tages stießen die „Santa Angela“ und die „Sao Joao“ auf die beiden Beiboote der „Candia“, die weit nach Westen abgetrieben waren.
Die vier Dutzend Männer auf den Duchten schienen tot zu sein. Sie regten sich nicht mehr. Als Galardes, Monforte und der Kapitän der „Santa Angela“ sie jedoch an Bord der Schiffe geholt hatten, stellten sie zu ihrer Überraschung fest, daß die Herzen dieser Männer noch schlugen und die komplette Besatzung der „Candia“ überdies auffallend nach Wein roch.
Alvaro Monforte beugte sich über den Kommandanten Lucio do Velho, als dieser am Nachmittag in einer Koje der Kapitänskammer der „Sao Joao“ in die Wirklichkeit zurückkehrte.
„Sie“, hauchte do Velho. „Woher kommen Sie denn, Monforte?“
„Aus dem Jenseits. Die Opfer des Untergangs der ‚Sao Sirio‘ lassen grüßen, Comandante.“
„Allmächtiger …“
„Gott, wie Sie nach Wein stinken, Comandante. Das ist der Gipfel Ihrer Verantwortungslosigkeit.“
„Was reden Sie denn da?“ flüsterte do Velho verwirrt.
„Wir kehren zur Küste zurück, Comandante“, sagte Monforte, ohne auf die Frage einzugehen. „Dort warten in einer Stadt, deren Name jetzt nichts zur Sache tut, mein erster Offizier, mein Decksältester sowie zwei andere Männer der ‚Sao Sirio‘ auf uns. Sie haben eine vierköpfige Bande dem Richter ausgeliefert, und sie werden sich freuen, mit mir zusammen einen weiteren Halunken anzuprangern und dafür zu sorgen, daß er degradiert wird.“
„Aber der Seewolf …“
„Den kriegen wir nicht mehr, Senor. Keiner von uns. Der segelt geradewegs in seine Heimat England zurück. Und, unter uns gesagt, ich finde auch, er hat es verdient, dort wohlbehalten anzukommen …“
Schwarze Wolken trieben über den Himmel.
Von Westen her baute sich eine bedrohlich hohe Dünung auf, Gischtfahnen krönten die Wellen. Die „Isabella VIII.“ kletterte an den grauen, wogenden Bergen hinauf, verschwand in schwindelerregenden Tälern, kletterte von neuem aufwärts, bis ihr Bugspriet die dunklen Wolkenfetzen aufzuspießen schien. Manntaue waren über Deck gespannt, alle Segel bis auf Sturmfock und Besan geborgen. Wanten und Pardunen sangen im Wind wie straff gespannte Saiten, und die Galeone ächzte in ihren Verbänden, als spüre sie, daß sich die Elemente wieder einmal gegen sie verschworen hatten.
Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, starrte mit wilden blauen Augen in die Schwärze, die im Westen die Linie der Kimm verwischte.
Auch er spürte, was sich da zusammenbraute. Ihren Feinden hatten sie ein Schnippchen geschlagen und eine vernichtende Niederlage beigebracht, jetzt zeigte ihnen die See die Zähne. Der Nordwest-Sturm würde sie weit in den Golf von Biscaya verschlagen – jetzt, da sie England schon in greifbarer Nähe geglaubt hatten. Und im Golf von Biscaya trieben sich genug Spanier herum. Spanier, die nach der Schlappe von Cadiz sicher noch wütender waren, noch wilder entschlossen, endlich „El Lobo del Mar“ zu fangen.
Mit einem grimmigen Lächeln dachte Hasard an die Begegnung mit dem alten Drake, der sich in all den Jahren kaum verändert hatte. Immer noch so stur wie eh und je, immer noch ein Mann, der keinen Fingerbreit von seinen Prinzipien abwich. Aber im Augenblick hatte der Seewolf weiß der Himmel andere Sorgen.
Mit beiden Fäusten umklammerte er die Schmuckbalustrade des Achterkastells. Sein langes schwarzes Haar flatterte im Wind, der ständig an bösartiger Schärfe zunahm.
„Bill!“ schrie er zum Großmars hinauf. „Komm da runter, in drei Teufels Namen!“
„Sir, wenn ein Spanier …“
„Abentern!“ donnerte der Seewolf.
Gegen diesen Ton gab es kein Aufmucken. Der Schiffsjunge Bill zog den Kopf ein und beeilte sich. Hasards Blick prüfte das Rigg, wanderte zum Vormars – und dann zuckte er zusammen, als habe er ein Gespenst gesehen.
Zwei schwarzhaarige Köpfe lugten über die Segeltuchverkleidung der Plattform.
Nein, drei Köpfe – aber der dritte war braun und zottig und gehörte dem Schimpansen Arwenack. Der Affe kauerte zwischen seinen neuen Freunden Hasard und Philip, fühlte sich offenbar sicher in ihrem Schutz, und die Zwillinge genossen in ihrer luftigen Höhe mit funkelnden Augen das aufregende Naturschauspiel.
„Runter da!“ wollte der Seewolf schreien.
Im selben Moment holte die „Isabella“ schwer nach Steuerbord über. Mit jäher Wildheit heulte eine Bö durch das Rigg – und ein zweistimmiger Aufschrei mischte sich mit Arwenacks verängstigtem Keckem.
Von einer Sekunde zur anderen schüttelte der Sturm die Galeone mit Urgewalt.
Hasards Magen zog sich zusammen. Die Angst um die beiden Jungen da oben packte ihn wie eine brutale Faust, aber er handelte ohne Schrecksekunde.
„Festhalten!“ brüllte er mit einer Stimme, die mühelos das Orgeln und Tosen des Sturms übertönte.
Dabei flankte er bereits mit einem mächtigen Satz über die Schmuckbalustrade, sprang auf die Kuhl und erwischte eins der straff durchgeholten Manntaue. Irgendwo hörte er Edwin Carberry fluchen, der die Gefahr ebenfalls erkannt hatte. Längst war die Galeone abgefallen und lief unter Sturmfock und Besan eine Höllenfahrt, die dem Ritt auf einem ungezähmten Ungeheuer glich. Sturzseen überspülten das Backbordschanzkleid, Gischt sprühte in der Luft, gurgelnd und schmatzend lief das Wasser durch die Speigatten ab. Hasard scherte sich den Teufel um alle ehernen Gesetze der Seefahrt. Statt sich vorsichtig über die Kuhl zu hangeln, erreichte er mit langen Sprüngen das Vorkastell und schlug die Fäuste um die Webleinen der Luvwanten.
Wie ein Schemen tauchte vor ihm die Hünengestalt Ed Carberrys aus einer Gischtwolke. Der Profos knirschte mit den Zähnen, stolperte, schlingerte, hing sich ebenfalls ins Want. Er schwenkte einen zusammengerollten Tampen, und Hasard schnappte danach, während er bereits aufenterte.
Auf halber Höhe flitzte Arwenack an ihm vorbei und rettete sich kekkernd zu Dan O’Flynn, der sich ebenfalls aufs Vorkastell gekämpft hatte.
Die Zwillinge hatten sich mit Händen und Füßen in die Marswanten gekrallt. Kreidebleich waren sie, ja. Und doch lag in der Angst auf ihren Gesichtern ein ziemlich verbissener Zug. Wie zwei kleine Wildkatzen klammerten sie sich fest – und Hasard hätte vielleicht gegrinst, wenn da nicht plötzlich ein scharfes, peitschendes Geräusch an sein Ohr geschlagen wäre.
Brechendes Tauwerk!
Hölle, Teufel und …
Mit einem verzweifelten Sprung schwang sich der Seewolf über die Segeltuchverkleidung, pflückte seine Söhne aus dem Want und preßte sie mit seinem Körper gegen die Plattform, während er einen Arm als Sicherung um die Stenge schlug.
Krachend und berstend raste die Vormarsrah abwärts.
Carberry, durchzuckte es Hasard. Er spürte mehr, als daß er es sah, daß der Vormars plötzlich nur noch die halbe Segeltuchverkleidung hatte. Unter ihm krachte die Rah auf die Planken. Ein Klumpen ballte sich in seinem Magen zusammen. Er spähte über den Rand der Plattform, halb in der Erwartung, den eisernen Profos mit zerschmettertem Schädel an Deck zu sehen – doch statt dessen sah er eine zerschmetterte Rah und einen Edwin Carberry, der mit einer Hand an der Webleine hing, wie es sonst nur Arwenack fertigbrachte.
Die blitzartige Ausweichbewegung hatte dem Profos zweifellos das Leben gerettet.
Sein lästerlicher Fluch übertönte den Sturm. Verbissen schwang er sich wieder ins Want, enterte weiter auf, und unterdessen hatte der Seewolf bereits das Tau um den Leib des kleinen Hasard verknotet.
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