Der gellende Kampfruf ließ Francis Drake zusammenzucken. Sein Kopf fuhr herum, und sein Blick traf auf Kapitän Thomas Fenner, seinen Stabschef. Bei dem stand der Mund offen, als habe er die Absicht, einen ganzen Kloß in seine Futterluke zu schieben.
Sieht der dämlich aus, dachte Drake und knurrte: „Was war das, Fenner?“
Fenner stürzte vom Steuerbordschanzkleid auf dem Achterdeck der „Elizabeth Bonaventura“ hinüber zum Backbordschanzkleid.
Drake rührte sich nicht von der Stelle, seine Finger trommelten einen Marsch auf das Holz des Schanzkleides, sein Blick war wieder auf Cadiz gerichtet.
Kapitän Fenner, ziemlich blaß, tauchte wieder neben ihm auf.
„Die – die Seewölfe!“ stieß er hervor.
Der Admiral runzelte die Stirn. „Wer, bitte, Mister Fenner?“
„Äh, Kapitän Killigrews ‚Isabella‘, Sir.“
„Müssen die so brüllen?“
„Sie entern eine spanische Kriegsgaleere.“
„Wie bitte?“
Kapitän Fenner trampelte sich vor Aufregung auf die Füße. „Sie – sie entern eine spanische Kriegsgaleere, Sir“, wiederholte er. „Entschuldigung, Sir, ich vermute fast, Killigrew hat sie noch rechtzeitig geschnappt, bevor sie uns mit ihrem Rammsporn …“
Der Admiral hörte schon nicht mehr zu. Mit drei Sätzen war er am Backbordschanzkleid.
„… aufspießen konnte“, vollendete Kapitän Fenner und schüttelte den Kopf.
Der Admiral indessen stierte mit fassungslosen Augen auf das chaotische Geschehen, das sich etwa dreißig Yards von der „Elizabeth Bonaventura“ entfernt abspielte.
Und da wurde auch der sehr ehrenwerte und tapfere Admiral blaß um die Nasenspitze.
Er sah den zerschossenen Stummel von Rammsporn, er sah das zerfetzte und zertrümmerte Vorkastell, er sah die Brände an Bord der Galeere – und er sah die wilden Kämpfer der „Isabella“, pulvergeschwärzt im Gesicht, aus dem grell das Weiß der Augen und Zähne herausleuchtete, er sah ihre Fäuste fliegen, mit denen sie Schlag um Schlag die Galeere von Spaniern leerräumten, er sah die Spanier ins Wasser fliegen wie Putzlumpen, er sah den verrückten Alten, der an einem Tampen über der Galeere hin und her schwang und mit seinem Holzbein die Spanier gleich reihenweise von den Füßen holte.
Das alles sah der Admiral.
Und erschüttert murmelte er: „Mein Gott – und sie kämpfen alle nur mit den Fäusten, bis auf den Alten und den verdammten Carberry, der mit einer Kettenkugel zuschlägt.“
Und dann zuckte er wieder zusammen, weil die röhrende Stimme von Ferris Tucker, dem so ausgezeichneten Schiffszimmermann der „Isabella“, auch zu ihm herüberdrang.
Und dieser Tucker brüllte: „He, Arwenacks! Der sehr ehrenwerte Admiral sieht euch jetzt zu! Zeigt’s ihm, wie wir Arwenacks zu kämpfen pflegen, wenn es gilt, ein Flaggschiff, auf dem alles pennt, davor zu bewahren, von einem Philipp gerammt und geentert zu werden. Zeigt’s ihm und den anderen Pennern, damit sie begreifen, daß wir sie wieder mal mitten aus der Scheiße holen!“
Francis Drake wurde käseweiß, Sekunden später lief sein Gesicht puterrot an.
Das war doch die Höhe der Dreistigkeit!
Und das Johlen und das Gelächter erst, das diese „Arwenacks“ von der Galeere zu ihm herüberschickten, während sie ihre Fäuste sogar auf die Helme der spanischen Seesoldaten droschen. Ja, wie kämpften die überhaupt! Erst jetzt fiel es dem Admiral auf. Das war ja völlig verrückt. Mit den Handkanten schlugen sie auch zu. Und plötzlich hebelten sie einen Spanier an, als sei der eine Feder – und schon flog der Kerl in hohem Bogen ins Wasser. Einfach so, als seien die spanischen Panzer aus Watte.
Natürlich konnte der sehr ehrenwerte Admiral nicht wissen, daß die Seewölfe diese Kampfesweise von den Mönchen auf Formosa gelernt hatten. Er schluckte und starrte, und dann schluckte er wieder.
Denn die Galeere war von Spaniern leergeräumt und Kapitän Killigrews scharfe Stimme ertönte.
„Löscht das Feuer! Zerbrecht die Ketten der Rudersklaven!“
Erst dann wandte sich der riesige, schwarzhaarige Mann langsam um und blickte zu dem Admiral am Backbordschanzkleid der „Elizabeth Bonaventura“ hinüber. Auf der Kuhl des Flaggschiffs und auf der Back tauchten immer Männer auf, traten ebenfalls ans Backbordschanzkleid und reckten die Hälse. Da war wohl keiner, der nicht begriff, was sich in Feuerlee des Flaggschiffs abgespielt haben mußte, ohne daß sie es bemerkt hätten.
Der Admiral sah es aus den Augenwinkeln und fluchte insgeheim.
Diese Blamage!
Die Kanonen waren verstummt. Die Pulverschwaden trieben im Südwest über die Reede dem Land zu.
„Sir!“ rief die helle Stimme Kapitän Killigrews, die wie klirrendes Eisen klang, zum Flaggschiff hinüber. „Es war uns eine Ehre, Sie, Ihre Männer und Ihr Schiff noch rechtzeitig vor dem Rammstoß dieser Kriegsgaleere und dem Kampf Mann gegen Mann bewahrt zu haben! Ich frage mich allerdings, ob es in der englischen Marine üblich geworden ist, während eines Gefechts auf den Rundum-Ausguck zu verzichten! Oder fahren die Schiffe Ihrer königlichen Majestät von England jetzt mit Schlafmützen zur See?“
Das saß! Oh, und wie das saß!
Und dazu das Grinsen dieser verdammten „Arwenacks“!
Der Admiral holte tief Luft, um diesen unverschämten Kapitän Killigrew mit der gehörigen Lautstärke zusammendonnern zu können.
„Ich verbitte mir …“ Weiter gelangte er nicht.
Wie ein Messer schnitt Hasards Stimme dazwischen. „Sie haben sich gar nichts zu verbitten, Sir, allenfalls dürfen Sie sich bei den Männern der ‚Isabella‘ dafür bedanken, daß sie unter Einsatz des eigenen Lebens Ihr verdammtes Flaggschiff vor einer Katastrophe bewahrten. Aber das ist wohl zuviel verlangt! Sie haben sich deshalb nichts zu verbitten, weil wir Männer der ‚Isabella‘ nicht unter Ihrer Befehlsgewalt stehen – und wir werden uns hüten, das je zu tun, solange Starrsinn, Selbstherrlichkeit, Holzhackermethoden, mangelnde Strategie und Taktik sowie Ignoranz zu Ihren Führungsprinzipien gehören! Lassen Sie es sich gesagt sein, Sir, Ihr Unternehmen auf Cadiz, wie es sich bisher präsentiert hat, ist eine Schande für England und für Ihre Majestät, die Königin!“
Ja, das war der Rebell Philip Hasard Killigrew, und er lachte nur, als der Admiral brüllte, er verlange Satisfaktion für diese unerhörten Beleidigungen.
Dieses Lachen brachte den sehr ehrenwerten Admiral vollends zur Raserei.
„Sie werden sich mir zum Duell stellen, Killigrew!“ schrie er mit überschnappender Stimme.
„Aber Sir!“ rief Hasard zurück. „Ich duelliere mich nur mit einem gleichwertigen Gegner – bei allem Respekt, ich will doch nicht zum Mörder werden!
„Sie …“ Der Admiral brach ab und ruckte den Kopf vor. Sein Blick war nicht mehr auf den verdammten Kapitän Killigrew gerichtet, sondern mehr nach links.
Hasard wandte den Kopf.
„Daß mich doch der Schlag trifft“, hörte er die Stimme Old Donegal Daniel O’Flynns, der am Besanmast der „Isabella“ gerade von Ferris Tucker von seinem Höhensitz abgefiert worden war. Und dann weiteten sich auch seine Augen.
Hände in den Hosentaschen, die kleinen, geraden Näschen in die Luft gereckt, so verließen Hasard Killigrew Junior und Philip Killigrew Junior das Schott zum Vordeck und stelzten steif wie Bohnenstangen zum Achterdecksschott. Sie würdigten niemanden eines Blickes und zeigten Mienen, die ihre ganze Verachtung für diese Welt ausdrückten. Sie marschierten hintereinander – Hasard Junior als der Erstgeborene voran. Er hatte sogar die Lippen gespitzt und flötete eine unbekannte Melodie in den Himmel. Im Gänsemarsch verschwanden sie im Achterdecksschott.
Ein paar Sekunden herrschte totales Schweigen auf beiden Seiten.
Es wurde von dem Räuspern des Admirals unterbrochen.
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