Jetzt begriff er die Welt nicht mehr und starrte die anderen aus rötlichen Augen total verdattert an.
„Aber ich war doch …“, stammelte er entnervt. „Ich begreife das alles nicht.“
Mary grinste, die anderen Kerle neben der „Empress“ brachen in wildes Gelächter aus, und der Alte kapierte jetzt überhaupt nichts mehr. Bin ich nicht mehr ganz richtig im Kopf? fragte er sich ängstlich.
„Ein Hirsch bist du“, sagte Jean, „ein Riesenhirsch von der sturen Sorte. Aber ich will dir erklären, wie es war. Du bist bestußt und wütend an Land getobt und in eine Höhle eingebrochen, in eine Höhle voller Tropfsteine, du Esel. Und du bist davongelaufen, weil Mary dir gesagt hat, daß du Vater wirst. Eine Sauerei ist das, so einfach davonzurennen. Und dann hast du auch noch daran gezweifelt, daß du der künftige Vater bist, Mister O’Flynn. Mary hätte dir die Bratpfanne besser gleich zehnmal auf deinen verdammten Holzkopf schlagen sollen.“
Old O’Flynn schrumpfte sichtlich zusammen.
„Ihr wißt alles?“ fragte er kläglich.
„Ja, wir wissen alles. Du hältst es offenbar auch nicht für nötig, dich abzumelden, wenn du einsame Alleingänge unternimmst. Natürlich haben wir dich dann gesucht und auch in der Höhle gefunden und abgeborgen. Dein Holzbein war in Trümmer, und wir haben dir ein neues angezogen. Jetzt weißt du alles, du Riesenelch.“
Old O’Flynn sackte noch mehr in sich zusammen.
„Tut mir leid“, sagte er kleinlaut, „dann habe ich das alles wohl verschlafen. Äh, und ich glaube, ich muß mich wohl auch bei allen entschuldigen.“
„Das glaube ich auch“, sagte Mary mit blitzenden Augen. „Du kannst es aber auch bleibenlassen, aber dann knall’ ich dir noch einmal die Bratpfanne auf den Schädel. Sie ist gerade so schön heiß.“
„Nein, nein!“ rief Old O’Flynn hastig. „Ich entschuldige mich bei allen und ganz besonders bei dir, liebste Mary. Und laß bloß die heiße Pfanne auf dem Herd stehen. Ich war ganz durch den Wind, denn schließlich wird man ja nicht jeden Tag Vater, besonders nicht in meinem Alter.“
„Dann nehmen wir ihn wieder in den Bund der Korsaren auf“, sagte Jean Ribault grinsend. „Aber er muß uns noch genau erzählen, was er bei den Kalbsköpfen erlebt hat.“
Das tat Old Donegal dann auch so ausgiebig und voller Phantasie, daß die anderen sich kaum noch trauten, jemals diese unheimliche Höhle zu besichtigen …
ENDE
In den etwas späteren Morgenstunden des 20. April 1595 schlug Old Donegal Daniel O’Flynns Stimmung um. Nach dem „Schreckenserlebnis“ in der Tropfsteinhöhle war er an Bord der „Empress of Sea II.“ wieder „ins Reich der Lebenden“ zurückgekehrt, sprich, er hatte das Bewußtsein wiedererlangt.
Wenn die Freunde nicht mit Fackeln nach ihm gesucht hätten, hätte er noch jetzt in der „Geisterhöhle“ gelegen. Statt sich aber für die Rettung zu bedanken, hatte er sich knurrig und verbiestert gezeigt. Er war eben total „durch den Wind“ gewesen – wegen der Tatsache, daß Mary O’Flynn, geborene Snugglemouse, ihm am Vortag die freudige Nachricht mitgeteilt hatte, daß sie ein Kind von ihm erwarte.
Da mußte erst ein Jean Ribault an Bord der „Empress“ entern und dem alten Knurrhahn „was zwischen die Hörner“ geben – von wegen, was das für eine Art sei, einfach wegzulaufen, wenn man Vater werde, und daß auch ein Old O’Flynn sich gefälligst abzumelden habe, wenn er seine Alleingänge unternähme.
Das saß. Old O’Flynn war jetzt einigermaßen geläutert – und zerknirscht. Er übte gewissermaßen Selbstkritik und überlegte sich, wie er die Sache wieder ausbügeln oder geradebiegen konnte. Bei Mary um gut Wetter anhalten? Sicher, das war der beste und direkteste Weg. Warum, zur Hölle, war er aber auch so brummig und verbiestert gewesen? Hätte er nicht anders reagieren können?
Hätte, wenn und aber – es nutzte nicht viel, sich selbst Vorwürfe zu machen. Er mußte die Sache anders anpacken. Wieder marschierte er auf die Pantry der „Empress“ zu, verharrte im offenen Schott und blickte zu Mary, die nach dem Frühstück mit dem Aufklaren beschäftigt war.
Die „Empress of Sea II.“, die „Golden Hen“, die „Wappen von Kolberg“ und die „Pommern“ ankerten in der Cherokee-Bucht an der südlichen Ostseite der Insel Great Abaco. Bei der Ankunft der Schiffe hatte es einigen Wirbel mit den Piraten des Mubarak gegeben, doch bei einem Nachtangriff der „Alis“ hatten die Männer des Bundes der Korsaren sich erfolgreich zu verteidigen gewußt. Inzwischen war keiner der algerischen Freibeuter mehr am Leben.
Jetzt warteten die Männer auf das Eintreffen der „Isabella IX.“, der „Caribian Queen“ und des Schwarzen Seglers. Der Seewolf, die Rote Korsarin und der Wikinger waren hierher unterwegs. Es konnte nicht mehr lange dauern, und auch sie hatten den gemeinsamen Treffpunkt erreicht.
Probleme gab es derweil – außer mit dem alten O’Flynn – mit der Dreimastkaravelle „Golden Hen“. Ihr Ruder war auf der Fahrt nach Great Abaco von einem Hai gerammt worden und zu Bruch gegangen.
Jean Ribault hatte einen der Langriemen, mit denen das Schiff ausgerüstet war, als Notruder benutzt, doch natürlich war dies keine Dauerlösung. Damit man das Ruder reparieren konnte, mußte die „Golden Hen“ jedoch gekielholt werden. Das war eine langwierige, schweißtreibende Arbeit.
Old O’Flynn schaute seine Mary an, und der Wunsch nach Versöhnung wurde in ihm übermächtig. Was für ein Prachtweib war sie doch! Jetzt würde sie sogar Nachwuchs auf die Welt bringen, was erstens ein Beweis für ihre Gesundheit und Fruchtbarkeit und zweitens für seine Mannes- und Zeugungskraft war. Das mußte man sich mal vor Augen halten! Der Alte tat’s und war jetzt versessen darauf, sich mit der werdenden Mutter auszusöhnen.
Er räusperte sich, aber Mary schien es nicht zu hören. Sie war mit den Töpfen und Pfannen beschäftigt und hantierte ziemlich laut herum.
„Na, Mary“, sagte der Alte. „Wie geht’s uns denn heute morgen so?“
Sie antwortete nicht. Eigentlich nahm sie ihn überhaupt nicht zur Kenntnis. Beim Wassermann, dachte der Alte, das geschieht mir wohl ganz recht.
Was war der richtige Weg, erfolgreich Abbitte zu leisten? Old O’Flynn scharrte ein bißchen mit dem Holzbein herum und sann angestrengt darüber nach. Er kam sich idiotisch vor, wußte aber gleichzeitig auch, daß er die Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen konnte.
„Ja“, sagte er, „wenn ich mir das recht überlege, ist heute doch ein feiner Tag, nicht? Wäre das nicht ein Grund zum Feiern?“
Mary sah ihn plötzlich an. Sie hielt mit ihrer derzeitigen Tätigkeit, dem Scheuern der Pfannen, inne. „Sag mal, bist du immer noch in deiner verdammten Geisterhöhle, Mister O’Flynn?“
„Ich? Nein, wieso?“
„Weil du Selbstgespräche führst.“
„Ich bin doch hier an Bord der ‚Empress‘“, sagte er und versuchte es mit einem Grinsen, das ihm allerdings mißlang und zu einer Grimasse geriet.
„Und du hast nichts zu tun?“
„Doch, ja, jede Menge.“
„Dann tu deine Pflicht“, sagte sie frostig. „Und halte hier keine dummen Reden.“
Am liebsten wäre er gleich wieder „aus der Haut gefahren“, wie er das nannte – aber nein, er hatte ja beschlossen, sich mit Mary wieder zu versöhnen. Doch, sie hatte allen Grund, gekränkt zu sein. Das mußte wieder ins rechte Lot gebracht werden. Und so fuhr der Alte fort, um seine „Miß Snugglemouse“, sein trautes Weib, herumzuscharwenzeln. Er war hartnäckig, aber sie ließ ihn zappeln.
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