Mal richtete er sich zu voller Größe auf, drückte das Kreuz durch und entspannte seine verkrampften Muskeln.
Langusten gibt es jetzt, Wein oder Bier, dachte er sehnsüchtig, und er konnte sich die Langusten in seiner Phantasie ausmalen. Da gab es ja wahrhaftig ein paar Dinger, die so ähnlich aussahen und auch so lange Fühler hatten. Auch farblich stimmten sie überein.
Aber das alles nutzte ihm nichts, denn die Höhle gab nichts zu beißen her, und Trinkwasser fand er auch nicht. Er hatte es noch einmal an einem winzigen Becken versucht, aber das Zeug war wirklich nicht zu genießen und brannte ihm höchstens ein paar Löcher in den hungrigen Magen.
Dann begann sein Herz plötzlich wie wild zu schlagen, denn jetzt sah er im schwachen Licht, daß der Boden in der Höhle sanft anstieg.
Noch schneller bewegte er sich vorwärts und wollte schon seinen Triumph wild hinausbrüllen. Der Boden stieg noch mehr an.
Ha, das war der Ausgang – die Rutsche! Es kann gar nicht anders sein, dachte er freudig.
Als er übergangslos vor einer bizarr gemusterten Wand stand, blickte er verwirrt hoch. Es war tatsächlich eine Wand, und die versperrte ihm den weiteren Weg. Er sah nach rechts und nach links. Auch dort ragten die Wände steil in die Höhe.
Aus! Es ging nicht mehr weiter. Die Höhle war zu Ende. Da war auch keine Rutsche, da war nur der Fels mit den Zapfen, Nischen und Spalten.
Der Alte nahm die Überreste seines Holzbeines und kriegte fast einen Tobsuchtsanfall. Wütend Warf er den ganzen Krempel auf den Boden und fluchte wie ein Rohrspatz.
„Himmel, Arsch und Zapfenscheiß!“ tobte er. „Jetzt langt es aber endgültig!“
Als er sich ein wenig beruhigt hatte, kehrte er wutgeladen zu seinem „Zapfenzentrum“ zurück und starrte mißmutig auf den Boden.
Eine feine Höhle war das! Die hatte zwar einen Eingang, aber der verschloß sich auf sehr mysteriöse Weise, sobald man wieder hinauswollte. Jetzt hielt ihn die Höhle gefangen, wahrscheinlich für den Rest seines Lebens. Vielleicht existierte er auch gar nicht mehr und war verwunschen. Bis hier wieder jemand in die Höhle fiel, konnten tausend Jahre oder mehr vergehen, überlegte er grimmig.
Was jetzt? Er war hungrig, durstig und spürte auch eine bleierne Müdigkeit in den Knochen. Sollte er hier herumhocken und womöglich noch Wurzeln schlagen wie jene geheimnisvollen Gestalten mit ihren langen steinernen Bärten?
No, Sir, er würde sich hinlegen und ein paar Runden schlafen. Wenn er dann erwachte, konnte es noch einmal losgehen. Er hatte nur das lausige Gefühl, daß er nie mehr aufwachen würde, sobald er erst einmal schlief. Ganz sicher eilte dann der verdammte Hexenmeister lautlos herbei und ließ ihn ebenfalls zu Stein erstarren.
Wenn ihn dann jemand fand, konnten sie ihn mitnehmen und im fernen England im Garten aufstellen. Dann würden die lieben Kleinen ihren Vater gebührend bestaunen können. Und auch seine Enkelchen konnten später mal stolz verkünden, daß sie einen Opa aus Stein hätten. Aber für die Ewigkeit würde er erhalten bleiben, Jahrtausende, wenn nicht noch länger.
Mit diesen krausen Gedanken schlief er ein. Neben ihm verlosch der Span mit einem letzten Glimmen.
Aber offenbar versteinerte Old O’Flynn nicht, sonst hätte sein fürchterliches Schnarchen mit Sicherheit aufgehört.
Hoch über ihm ging es weitaus lustiger zu. Es war auch noch nicht so spät, wie Old O’Flynn geschätzt hatte. Aber hier oben gab es auch keine Wurzelmänner und Kalbsköpfe.
Alles war bis zum späten Nachmittag fertig geworden. Die Männer hatten Enormes an Arbeit geleistet, und jetzt sollte das auch gebührend gefeiert werden.
Gunnhild, Gotlinde und Mary O’Flynn hatten auf der Südseite der Bucht ein großes Feuer entzündet und die Langusten zubereitet.
Jetzt wurde „getafelt“, als sich alle um das Feuerchen versammelt hatten.
Sie hatten auch frisches Brot gebacken, dazu gab es Wein, der noch aus den requirierten Fässern der spanischen Galeonen stammte, die sie aufgebracht hatten.
Jean Ribault war zufrieden, daß unter der fachmännischen Beratung des alten Hesekiel alles so prächtig geklappt hatte. Morgen konnte die „Golden Hen“ aufgeslippt und ihr das neue Ruder verpaßt werden. Dann war die Welt auch wieder in Ordnung.
In der Bucht plätscherten kleine Wellen an den Strand. Der Abend war lau und samtig, und es herrschte Stille bis auf die Unterhaltungen der Männer.
Bisher hatte noch niemand Old O’Flynn vermißt, denn bei der ganzen Hektik war sein Verschwinden nicht weiter aufgefallen.
Jetzt, da man um das flackernde Feuer saß, fiel es immer noch nicht auf, selbst Mary nicht. Sie nahm an, daß das „alte Ekel“ irgendwo zwischen den anderen Männern hockte und schmollte.
„Nun langt mal kräftig zu“, forderte sie die Männer auf. „Es sind genügend Langusten für alle da, und wer keinen Wein mag, für den haben wir dort drüben unter der Palme ein Faß kaltes Bier stehen.“
„Sieht ja unheimlich appetitlich aus“, lobte Jean Ribault. „Ganz phantastisch, wie ihr das Essen hingezaubert habt.“
Mary O’Flynn fühlte sich geschmeichelt. Gotlinde lächelte ein wenig, und Gunnhild errötete hold ob des Lobes, das mit einem charmanten Lächeln des Franzosen serviert wurde.
Er hielt schon die erste Languste in der Hand und griff nach dem aufgeschnittenen Brot.
Auch die anderen langten kräftig zu und aßen. Die meisten tranken spanischen Rotwein dazu, ein paar bedienten sich an dem Bierfaß unter der Palme.
Hesekiel Ramsgate fiel als erstem auf, daß der Alte nicht dabei war. Ein paarmal schon hatte er sich umgedreht und ihn unter den Männern gesucht. Manche Gesichter befanden sich im Schatten und waren daher nicht zu erkennen.
Hesekiel Ramsgate stieß den neben ihm sitzenden Martin Correa an und fragte: „Wo ist denn Donegal geblieben? Ich habe ihn heute nur einmal gesehen, und das war am Vormittag. Ist er etwa krank?“
Der Bootsmann der „Empress“ beschäftigte sich gerade mit seiner Languste und hatte den Humpen mit Bier neben sich in den immer noch warmen Sand gestellt. Jetzt verschluckte er sich fast.
Himmel, der Kapitän! Wo war er denn? Der war doch heute gegen Mittag mit der Jolle an Land gepullt, und höllisch in Braßfahrt war er auch gewesen.
„Keine Ahnung“, sagte er kopfschüttelnd und besorgt. „Aber krank ist er nicht.“
Er grinste dabei ein bißchen, wenn er an die vormittägliche Szene dachte. Das hatte ganz schön gerumst, als Mary ihm die Pfanne auf den alten Querkopf gehauen hatte.
„Seltsam ist das“, meinte Hesekiel, der von dem Vorfall nicht die geringste Ahnung hatte. „Sonst ist er doch immer gleich dabei, wenn es etwas zu feiern gibt.“
Martin räusperte sich beziehungsreich und tippte lächelnd die rothaarige Mary an.
„Hesekiel fragt nach dem Kapitän“, sagte er. „Wo ist er denn? Ich habe ihn seit Stunden nicht mehr gesehen.“
Diesmal verschluckte sich fast auch die Snugglemouse. Ihre Augenbrauen schoben sich ein wenig zusammen. Ihre Augen wurden sekundenlang starr.
„Ja, wo ist er eigentlich?“ fragte sie zurück. „Ich war so beschäftigt, daß ich mich nicht mehr um ihn gekümmert habe. Laß gefälligst das Grinsen, Martin“, sagte sie leiser.
Tatsächlich hatte sie Donegal kurz vor Mittag das letztemal gesehen.
Als er stocksauer abgehauen war, hatte sie sich in der Pantry eingeschlossen und ein bißchen geheult, weil der sture Bock so biestig gewesen war und sogar seine Vaterschaft abgestritten oder angezweifelt hatte. Dann hatte Martin gesagt, Donegal wäre an Land gepullt.
Na ja, sein Zorn würde mittlerweile verraucht sein. Vielleicht hatte er es sich doch überlegt und war einsichtig geworden. Aber sie hatte wirklich mit dem Suchen und Zubereiten der Langusten so viel zu tun gehabt, daß sie den alten Brummbär glatt vergessen hatte.
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