„Verdammt, was hab’ ich denn verbrochen, daß mir dauernd was auf die Rübe fällt?“ zeterte er los. „Die ist sowieso schon matschig geworden von den vielen Treffern.“
Vor sich hin schimpfend, legte er wieder die weißlichen Trümmer aus. Das alles strengte doch sehr an. Da mußte er die Fackel halten, da mußte er Zapfen abschlagen und sorgfältig auslegen, dann Späne schnitzen und schließlich höllisch aufpassen. Dazu hüpfte er meist einbeinig herum oder kroch auf dem Boden. Schweißtreibend war das, eine höllische Sache, die übermenschliche Anstrengung erforderte.
Sein Durst wurde stärker, und auch den Hunger spürte er als unangenehmen Begleiter. Das ließ ihn grantig und fuchtig werden, und weil er immer noch keinen Ausgang fand, wurde er langsam wild.
Als ihn unvermittelt wieder ein Männchen mit einem Wasserkopf und einer langen Triefnase angrinste, nahm er voller Wut sein Holzbein und drosch ihm was auf die lange Nase.
Der Riechkolben des häßlichen Männchens flog davon, und weil es immer noch hämisch grinste, zog ihm Old O’Flynn auch noch eins über den dicken Wasserkopf.
Das Männchen gab ein knirschendes Geräusch von sich. Sein Schädel zersplitterte und zersprang, und Old O’Flynn glaubte, ein leises Jaulen zu hören. Ob das vielleicht auch ein versteinerter Kerl aus der sündigen Stadt Sodom war? Na egal, er hätte ihn ja auch nicht erschrecken und vor allem nicht so dämlich angrinsen sollen. Das hatte er jetzt davon.
Einmal entdeckte er eine Formation, die aus grellroten Stalagmiten bestand. Sie standen dicht an dicht wie die Orgelpfeifen aufgereiht und strebten nach oben. Als er den Kopf in den Nacken legte und die Fackel höher hob, sah er, daß eine Unmasse grüner Zapfen von der Decke den roten entgegenwuchsen. Zwei hatten sich schon so weit genähert, daß kaum noch ein Finger zwischen sie paßte. Drei oder vier andere waren bereits zusammengewachsen.
Er bestaunte sie ausgiebig und sah auch weiter unten einen muldenförmigen Trog, in den ständig von der Decke Wasser tropfte.
Da grinste er zum ersten Male seit langer Zeit wieder.
„Dann muß hier auch der Hexenmeister stehen“, folgerte er, „und das ist die Badewanne, in der ich gelegen habe. Dem heiligen Elmo sei Dank! Er hat mich wieder zurückgeführt.“
Aber da war keine Rutsche, wie er entsetzt feststellte. Zwar stand da ein ähnlicher Kerl wie der in der roten Robe, aber doch war alles ganz anders. Verzweifelt sah er sich nach einem Ausgang um, untersuchte die Wände, klopfte überall herum, leuchtete – nichts!
Das war ein harter Schlag unter die Gürtellinie. Er nahm auch sofort erbittert fluchend seinen voreiligen Dank an St. Elmo zurück und bezeichnete ihn schimpfend als den größten Affenarsch aller Meere, und er solle sich, verflucht und zugenäht, nie wieder auf der „Empress“ blicken lassen, wenn er keine Prügel beziehen wolle.
So war Old O’Flynns Stimmung heute: himmelhoch jauchzend, dann wieder zu Tode betrübt und verbiestert.
Dieser Sankt Elmo scheint ohnehin eine heimtückischer Geselle zu sein, überlegte Old O’Flynn etwas abstrus. Erst ließ der Kerl sich nicht blicken, wenn man dringend seiner Hilfe bedurfte, und wenn er dann doch erschien, versteckte er die „Rutsche“ und ließ sie unsichtbar werden, damit er nicht mehr hinausfand.
Beim nächsten Gewitter würde er wieder auf der Gaffelrute hocken und sein blaues Wunder erleben. Mit der Muskete würde er diesen Bastard abknallen, jawohl!
Jetzt hatte er schon zentnerweise Markierungen ausgelegt und war trotzdem nicht weiter oder schlauer als zuvor. Die Höhle schien tatsächlich keinen Anfang und kein Ende zu haben.
Dennoch stapfte er wütend weiter und fluchte in Gedanken allen Heiligen die Knochen ab. Nichtsnutziges Pack war das, das sich teure Kerzen stiften ließ und dafür keinen Finger rührte.
„Schmarotzer, Parasiten!“ wetterte er laut.
Immer weiter ging es, mitunter recht mühsam, dann wieder über eine ziemlich glatte Fläche. Die Höhle nahm und nahm kein Ende, es war zum Verzweifeln.
Jetzt mußte mindestens nach seiner Schätzung eine weitere Stunde vergangen sein, eine qualvolle Stunde voller Angst und Schrecken.
Die Angst trieb ihn dennoch immer weiter, denn wenn er nicht bald einen Ausgang fand, war er verloren. Es wußte ja auch niemand, wohin er gegangen war. Hals über Kopf war er losmarschiert und hatte die Jolle am Strand einfach liegenlassen. Das ging ihm jetzt durch den Kopf, und er bereute, daß er so voreilig gehandelt hatte.
Zu ändern war das jedoch nicht mehr, er mußte sich damit abfinden. Da half alles Bedauern nichts.
Ob es draußen schon dunkel war? Oder war es noch heller Tag? Auch diese Frage, die er sich immer wieder stellte, ließ sich nicht beantworten, weil jeder Orientierungspunkt fehlte.
Sicher war es schon dunkel da draußen in der warmen, gemütlichen Welt. Und sicher würden sie jetzt um ein Feuerchen hocken, Wein trinken und zu Abend essen. Langusten vielleicht, wie er so nebenbei mitgekriegt hatte.
Das Wasser lief ihm im Mund zusammen, wenn er nur daran dachte. Und er hockte in dieser lausigen Höhle, kämpfte ums nackte Überleben und hatte nichts zu beißen, ganz zu schweigen von einem erfrischenden Getränk.
Das verbitterte ihn, und er preßte wütend die Lippen zusammen, bis sie nur noch schmale Striche waren. Kein Mensch kümmerte sich um ihn, sie vermißten ihn vielleicht nicht einmal, was ihn wiederum mit heillosem Zorn erfüllte.
Wer war er denn, daß man ihn einfach so überging!
Nach einer weiteren Ewigkeit ahnte er, daß er doch wohl den falschen Weg eingeschlagen hatte und sich immer tiefer in das Höhlensystem verirrte.
Erbittert verhielt er und sah sich zum hundertsten Male um. Nein, das war der falsche Weg, da war er sich ganz sicher. Hier ging es nur noch tiefer in das endlos scheinende Labyrinth hinein. Wenn er sich in diese Richtung weiterbewegte, fand er nie mehr heraus.
Er schlug einen letzten dünnen Stalaktiten ab und bildete ein Kreuz mit den Zapfen. Verdammt, sein Holzbein nahm auch ganz rapide ab, da war nicht mehr viel übrig. Den größten Teil der Späne hatte er bereits verbrannt.
„So, Schluß jetzt“, knurrte er. „Hier ist die Fahnenstange zu Ende. Jetzt geht’s achteraus.“
Anhand der Bruchstücke orientierte er sich jetzt und begab sich auf den Rückweg. Er beglückwünschte sich insgeheim zu der Idee mit den Stalaktiten, die für ihn einfach „Zapfen“ waren. Wenn er sich hier umsah, hätte er den Rückweg nie gefunden, denn immer wieder gab es Nischen, Kammern und Irrgärten in verwirrender Zahl.
So kroch er zurück, stundenlang, wie ihm schien, bis er das Ende oder den Anfang seiner Markierungen erreicht hatte. Da blieb er und zerschlug einen weiteren Stalaktiten. Aus den Bruchstücken und Splittern baute er ein Zapfenhäufchen, sozusagen als das Zentrum seiner Erkundungsgänge.
Er merkte sich alles gut, nickte wie zur Bestätigung und unternahm den nächsten Vorstoß in eine andere Richtung.
Old O’Flynn gab nicht auf, hartnäckig und zäh suchte er weiter nach dem Ausgang. Wieder kam er an Gestalten aus Alpträumen vorbei, die ihn angrinsten oder zu verschlingen drohten. Aber den vertrackten Hexenmeister fand er nicht mehr, oder der hatte sich heimlich in Luft aufgelöst, um ihn an der Nase herumzuführen. Auch der orgelspielende Riese mit dem versteinerten Chor war nirgendwo zu entdecken, sosehr er auch suchte.
Einmal, es mußte jetzt schon sehr spät sein, landete er in einer weiteren Kathedrale. Da konnte er auch hoch über sich an einer unerreichbar fernen Decke die seltsamsten Gebilde sehen. Wie Eiszapfen hingen sie da zu Hunderten von der Decke.
Er zog vorsichtshalber das Genick ein, denn dieser Bau war ihm nicht geheuer. Wenn ein paar der „Zapfen“ dort herabfielen, konnten sie ihn glattweg erschlagen.
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