Der Alte funkelte ihn gallig an. „Du verstehst wohl überhaupt keinen Spaß, du narbiger Seeigel, was? Das ist doch nur ein Traum! Man muß doch etwas haben, an dem man sich festhält.“
„Du kannst dich gleich an der Nagelbank festhalten, und das gilt auch für die anderen abgehangenen Stockfische, oder merkt ihr nicht, daß wir den Kurs ändern, was, wie, ihr verlausten Kanalratten? Sollen mir erst die Segel auf den Kopf fallen! Hoffentlich seid ihr gleich an Schoten und Brassen.“
„Heute dreht der gute Ed aber wieder mächtig auf“, sagte Blacky. „Dem muß der Anblick dieser Insel in den Kopf gestiegen sein.“
Der schwarze Mann aus Gambia, der Riese Batuti, nickte fröhlich.
„Profos immer fluchen. Sehen kaltes Land, fluchen, sehen warmes Land, auch immer fluchen. Was muß sein für Land, wenn Profos nicht fluchen?“
„Ha, der flucht noch im Magen eines Haies weiter, wenn ihn mal einer fressen sollte“, versicherte Blacky. „Und wenn er mal in der Hölle landet, näht ihm der Teufel persönlich das Maul zu mit vierzig Yards langen Trossen und zwanzig Rollen Kabelgarn.“
Zum Glück hörte der Profos die Übertreibungen nicht, und zur eigenen Sicherheit hatte Blacky auch ziemlich leise gesprochen.
Wieder wurde nachgetrimmt, und als die Nagelbänke klariert waren, gingen Big Old Shane und der Waffen- und Stückmeister Al Conroy daran, die Culverinen und Drehbassen zu kontrollieren, wie es üblich war, wenn sie eine fremde Insel anliefen, auf der man vor Überraschungen nicht sicher war.
„Deck!“ schrie der Ausguck plötzlich. „Ein Wrack in der Bucht! Am Strand stehen Hütten!“
„Kannst du Leute erkennen, Jeff?“ rief der Seewolf zurück.
„Keine Menschenseele, Sir! Alles still!“
Hasard und Ben Brighton sahen sich an.
„Ein Wrack in der Bucht?“ fragte Ben leise. „Das finde ich merkwürdig. Und dabei noch die Hütten der Insulaner! Was mag das wohl zu bedeuten haben?“
Hasard hob die Schultern. „Das wird sich gleich herausstellen. Wir laufen diese Bucht an und gehen vor Anker. Wir werden uns das ansehen.“
Etwas später hatte die „Isabella“ den langen Landvorsprung gerundet und lief in die Bucht ein.
Deutlich zeichnete sich ein riesiges Riff im Wasser ab. Nadelscharfe Korallen reckten sich knapp aus dem Wasser, das an dieser Stelle wilde, quirlende Wirbel bildete.
Das Riff zog sich auf fast der halben Strandlänge hin.
Weit hinter dem Riff, direkt auf dem weißen Sand, lag das Wrack.
„Eine spanische Galeone“, sagte Ferris Tucker. „Die hat es aber mächtig erwischt, da ist nicht mehr viel heil geblieben.“
„Glotzen könnt ihr nachher!“ schrie Carberry. „Jetzt geht’s wieder an die Arbeit, ihr verlausten Seesterne!“
Pete Ballie segelte die „Isabella“ in respektvoller Entfernung an dem langen Korallenriff vorbei.
Die restlichen Segel wurden aufgegeit und der Anker gesetzt.
Nach einer Weile lag die „Isabella“ fast ruhig im Wasser.
Die Seewölfe blickten zu den Hütten.
Niemand ließ sich blicken. Es sah so aus, als sei das Paradies fluchtartig verlassen worden.
Ohne daß es dazu eines Wortes bedurft hätte, wurde das Beiboot abgefiert.
Carberry konnte es anscheinend nicht mehr erwarten, endlich die Insel zu betreten.
Alles blieb geisterhaft still und verlassen. Immer noch zeigte sich keine Menschenseele.
Der Seewolf blickte immer wieder zum Land hinüber, das jetzt zum Greifen nahe vor ihnen lag. Diese eigentümliche Ruhe, die über allem lag, wunderte ihn immer mehr.
„Du vermutest einen Hinterhalt?“ fragte Ben Brighton.
„Anfangs schon, es ist ja auch reichlich merkwürdig. Aber jetzt glaube ich nicht unbedingt an einen Überfall. Laß trotzdem die Stückpforten hochziehen. Gefechtsbereitschaft beibehalten, ich bin mir meiner Sache nicht so sicher.“
„Die Eingeborenen könnten aus Angst vor uns geflüchtet sein, in die Berge wahrscheinlich oder in eine andere Bucht. Und das Schiff kann schon ewig hier liegen.“
„Gut, ich werde mir das aus der Nähe ansehen“, sagte der Seewolf. „Nur Dan und ich gehen vorerst an Land. Alle anderen bleiben auf ihrem Posten. Sollten wir angegriffen werden, dann weißt du, was du zu tun hast.“
„Aye, Sir“, sagte Ben, der damit automatisch das Kommando über die „Isabella“ erhalten hatte.
Carberry stand schon bereit. Aber diesmal rieb er sich vergeblich die Hände, und sein Gesicht wurde immer länger und enttäuschter, als Hasard den Kopf schüttelte.
„Nur Dan und ich, Ed“, sagte er. „Hier stimmt etwas nicht, das wirst du selbst merken. Also genügen vorerst zwei Mann. Ich habe das Gefühl, als hielten sich Spanier auf der Insel auf.“
„Weil das Wrack dort liegt, Sir?“ fragte Ed. „Die können längst mit einem anderen Don wieder weggesegelt sein. Das hat nicht viel zu bedeuten“, versuchte er den Seewolf umzustimmen.
Hasard und Dan stiegen über die Jakobsleiter. Sie trugen Pistolen im Gürtel, außerdem hatte der Seewolf noch seine doppelläufige Waffe dabei, die Radschloßpistole.
„Es bleibt dabei“, sagte Hasard knapp.
Siri-Ton, die beiden Zwillinge und Batuti, der schwergebaute Neger, waren schon vor längerer Zeit unter Deck gegangen und hatten sich in die achteren Kammern zurückgezogen.
Hasard wollte auf diese Art und Weise mißtrauischen Fragen vorbeugen, falls es zu einer Begegnung mit Spaniern kommen sollte.
Als sie die kurze Strecke zum Strand hinüberpullten, standen hinter dem Schanzkleid die Seewölfe und blickten ihnen nach. Auch sie waren bewaffent, und standen dicht neben den schußfertigen Culverinen. Die Lunten lagen schon neben den Messingbecken.
Falls jetzt ein Überfall erfolgte, konnte sich die „Isabella“ von einem Augenblick zum anderen in eine feuerspeiende Festung verwandeln.
Auch unterwegs blieb alles ruhig. Niemand zeigte sich, bis Dan unbehaglich die Schultern hob.
„Ein eigenartiges Gefühl“, sagte er. „Man weiß nicht, was los ist und ob nicht gleich eine wilde Horde auftaucht.“
„Spanier würden vermutlich nicht sofort auf uns feuern“, entgegnete Hasard. „Die meisten halten uns doch auf Anhieb für einen Landsmann, erst recht dann, wenn noch die spanische Flagge aufgezogen ist.“
Das Boot lief knirschend auf den Sand. Die beiden Männer sprangen heraus und zogen es ein Stückchen höher hinauf.
Dann sahen sie sich wieder nach allen Seiten um.
Über der Bucht kreiste ein Vogel von bunter, leuchtender Farbe. Er zog eintönige Kreise, immer in der gleichen Höhe, immer im gleichen Bogen, als wollte er etwas auskundschaften.
Hasard blickte in das Dickicht, aber dort gab es außer dichtem Gebüsch und rot leuchtenden Blumen nichts zu sehen. Es gelang ihm nicht, durch das dunkle Grün hindurchzublicken. Es hatte Dschungelcharakter und war unglaublich dicht.
Die Stille zerrte an den Nerven. Dort drüben lag das Wrack, etwas weiter standen zahlreiche, palmblättergedeckte Hütten, da waren die dichten Palmengruppen und dahinter die Berge. Und über allem rührte sich nichts, außer dem leisen Plätschern und Raunen der Brandung, die an den Strand lief.
„Sehen wir uns zuerst das Wrack an“, sagte Hasard. Seine Worte klangen seltsam hohl in dieser Stille, und wieder beschlich ihn das Gefühl, als würden sie von hundert Augen belauert.
Das Wrack lag wie hingeworfen und zerschlagen auf dem Sand. Als die beiden Männer davorstanden, sahen sie den Toten, der immer noch im Mast hing, wie festgeklebt sah er aus. Seine spanische Uniform war an etlichen Stellen zerrissen und zerfetzt.
„Sollte das die ‚Kap Hoorn‘ sein?“ fragte Dan.
„Sieht so aus, Dan. Der Tote hängt noch nicht lange da, sonst wäre er bei dieser Hitze längst verwest. Gehen wir mal zur anderen Seite, dort steht sicher der Name.“
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