„Das werden Sie noch bereuen!“ kreischte der dicke Burton über die Schulter, bevor O’Leary ihn und Bromley durch das Schott schubste.
Im Moment bereute Sir John gar nichts. Da er alles, was er selbst tat, für ausgezeichnet hielt, fand er auch diese Sache zur Zeit bestens geregelt. Falls diese beiden Burschen weiterhin obstinat blieben, gab es auch noch andere Wege, um sich aus der Affäre zu ziehen. Ein sehr todsicherer Weg war, sich der Mitwisser zu entledigen. Wer als Leiche im Atlantik schwamm, konnte nicht mehr reden. Oder?
Sir John gestattete sich ein glucksendes Kichern.
Er war doch eine rechte Frohnatur, dieser Sir John. Und stets machte er die Rechnung ohne den Wirt.
Der Nebel war sein Verbündeter gewesen. Insofern stimmte seine Kalkulation, daß niemand seine Karavelle bei den Überfällen erkannt hatte. Wen man nicht erkannt hat, den kann man auch nicht anklagen, nicht wahr? Und nach Plymouth war er nie gesegelt – bewahre! Was sollte er denn dort!
Sir John war ein bewährter Lügenbold, und seine Mannschaft würde auch erklären, daß der Himmel lila sei, wenn Sir John das so anordnete. Von daher war also nichts zu befürchten.
Das Drama in Sir Johns räuberischem Dasein war die Tatsache, daß er stets Schiffbruch erlitten hatte, wenn er mit dem „Bastard“ und seinen Männern aneinandergeraten war. Er hätte aufgrund dieser Erfahrungen eigentlich wissen müssen, daß mit diesen Kerlen nicht gut Kirschen essen war. Er hätte auch einkalkulieren müssen, daß ja bereits Burton und Bromley tätig gewesen waren, um es dem Bastard und seinen Kerlen heimzuzahlen.
Dieser Sir John hätte schon gewarnt sein müssen, als ihm nach der Breitseite auf die Werft prompt eine Antwort erteilt worden war. Und wären die Nebelschwaden nicht gewesen, dann hätte diese Antwort verdammt höllisch werden können, wie der eine gezielte Schuß bewies.
Aber solche Gedanken lagen Sir John recht fern, und darum war er eben eine Frohnatur. Er bildete sich ein, husch-husch ins Körbchen, in Falmouth verschwinden zu können.
Im Morgengrauen des neuen Tages geschah es, daß sich die Nebelschwaden etwas lichteten.
Aber die Illusionen Sir Johns lichteten sich keineswegs.
Da hing ihnen nämlich ein Schiff im Kielwasser, das schlank und schmal war und einen spitz hochgezogenen Steven hatte.
Sir John stierte durch das Spektiv und brauchte nicht sehr lange, um zu kapieren, was für ein Schiffchen da hinter ihm herpirschte – jenes Schiffchen, das nach seiner felsenfesten Überzeugung etwas sehr Schönes im Laderaum hatte, etwas Glitzerndes, Funkelndes, Silbriges, Goldenes – ei-ei!
Zuerst war er sehr erschrocken gewesen. Aber das verwischte sich, als er an den Laderaum dachte – an die Truhen und Kisten und so.
Er spitzte die Lippen. Oh-oh, da mußte man sehr vorsichtig zu Werke gehen, um das Kostbare nicht zu versenken. Und schau mal an, dieses hübsche Schiffchen hatte nicht eine einzige Kanone an Bord, nicht eine einzige! Na, so was!
Sir John flötete entzückt und rieb sich die Hände. Und dann rief er seinen Bootsmann zu sich.
„O’Leary“, sagte er, sehr heiter gestimmt, „heute ist der Tag des Herrn. Wir werden dieses feine Schiffchen dort entern, was nicht weiter schwerfallen wird. Keine Affäre. Dazu ist es notwendig, ihm ein bißchen die Segelchen zu zerschießen – auf keinen Fall darf das Rümpfchen getroffen werden, auf gar keinen Fall. Wer das Rümpfchen trifft, dem schneide ich eigenhändig die Öhrchen ab. Hast du das verstanden, mein Guter?“
„Aye, Sir, verstanden. Wir halten am besten mit den Drehbassen ins Rigg und laden Kettenkugeln.“
„Ein feines Ideechen!“ Sir John klopfte seinem Bootsmann auf die Schulter. „Was meinst du, wie wir ihn packen?“
„Auf Gegenkurs gehen, damit wir ihn von der Seite kriegen. Von vorn ist seine Silhouette zu schmal. Überhaupt ein merkwürdiges Schiff. Das lag doch zusammen mit der Galeone vor der Werft.“
„Richtig. Dort lag es, und jetzt ist es frech und verfolgt uns. Ein kleiner Frechling ist das.“ Sir John kicherte.
O’Leary schaute ihn leicht irritiert an. Er fand, daß sich der Alte ein bißchen merkwürdig benahm.
Sir John fuhr mit seinen Verniedlichungen fort. „Ein kleines Späßchen werden wir mit dem Schiffchen haben. Es hat nicht mal Kanönchen an Bord. Was sagst du jetzt, mein Guter?“
O’Leary runzelte die Stirn. „Das begreife ich nicht so ganz, Sir. Es scheint uns zu verfolgen. Aber ohne Kanonen? Sind die Kerle verrückt?“
„Das sind so die Trickchen von dem kleinen Bastard“, erklärte der Alte.
„Welchem Bastard, Sir?“
Da wurde Sir John wütend. „Der Kerl läßt sich Seewolf nennen. Schon mal von dem was gehört, O’Leary?“
Der Klotz zuckte leicht zusammen. „Etwa Ihr Pflegesohn, Sir?“
„Pflegesohn?“ brüllte Sir John. „Ein Hurensohn ist das, verstanden? Ich habe keinen Pflegesohn! Genug geschwätzt. Jetzt wird zum Tänzchen aufgespielt. Laß die Drehbassen laden, Bootsmann. Mit Kettenkugeln. Zum Entern Handwaffen verteilen, keine Schußwaffen. Ich will die Kerle lebend. Und weißt du, warum ich sie lebend haben will?“
„Nein, Sir“, sagte O’Leary unbehaglich. Keine Schußwaffen? Verdammt, von diesen Seewölfen und ihrem Kapitän gingen die wüstesten Geschichten um. Das sollten ganz verwegene Burschen sein.
„Die haben Schätze verborgen“, erklärte Sir John. „Wahrscheinlich ist dieses Schiff da hinter uns ebenfalls bis unter die Luken vollgestopft. Aber sie haben noch mehr. Und ich muß erfahren, wo sie das Zeug versteckt haben. Wenn wir uns diese Burschen geschnappt haben“, Sir John kicherte hämisch, „wird einer bestimmt plaudern, wenn wir ihn ein bißchen gekitzelt haben. So, jetzt weißt du Bescheid.“
Fünf Minuten später war die Karavelle, was die Drehbassen und die Bewaffnung der Kerle betraf, gefechtsbereit. O’Leary regelte das. Dieser rüde Klotz von Kerl mit seiner Holzhackervisage und den mächtigen Fäusten ging keinem Kampf aus dem Wege. Aber seit er wußte, daß ihre Gegner die Seewölfe waren, schwante ihm wenig Gutes, mochte dieses merkwürdige Schiff da hinter ihnen nun Kanonen an Bord haben oder nicht.
So ging der Bootsmann mit schweren Gedanken schwanger, während sich Sir John schon wieder die Hände rieb, befangen in seinen Illusionen oder Wunschvorstellungen. Denn die Schatztruhen, die Ben Brighton und seine Gruppe aus dem Wrack der „San Marco“ geborgen und nach Plymouth gebracht hatten, befanden sich nicht mehr auf seiner Sambuke, sondern auf der „Pride of Galway“, wo sie sicherer und besser aufgehoben waren.
Als O’Leary die Karavelle gefechtsbereit gemeldet hatte, ließ Sir John blitzschnell wenden und auf Gegenkurs gehen.
Sie hatten die Karavelle schon lange vor Morgengrauen entdeckt und dabei Glück gehabt, denn der Wind wehte immer noch aus Westen, was bedeutete, daß sie nach Westen aufkreuzen mußten, einmal über Backbordbug, einmal über Steuerbordbug. Auf diesen Kreuzschlägen hätte es ihnen durchaus passieren können, an der Karavelle vorbeizulaufen, wenn die zu diesem Zeitpunkt auf dem anderen Kreuzkurs lag, was bedeutet hätte, daß sie sich voneinander entfernt hätten – und die Sambuke war schneller als die Karavelle.
Dann hatten ihnen die immer wieder auftretenden Nebelfelder Schwierigkeiten bereitet, aber sie waren zäh an der Karavelle drangeblieben, ohne von dieser bemerkt zu werden.
Immer wieder auch hatten die Segel aufgefiert werden müssen, um nicht zu dicht an die Karavelle zu geraten.
Weit hinter ihnen war dann die Galeone aufgetaucht – Hasard mit seinen Männern, wobei allerdings wohl Ferris Tucker und vielleicht zwei, drei Mann bei der Werft geblieben waren, um sie abzusichern und mit Tagesbeginn wieder an der neuen „Isabella“ mitzuarbeiten.
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