Impressum
© 1976/2013 Pabel-Moewig Verlag GmbH,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-260-5
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Philip Hasard Killigrew spürte die Spannung fast körperlich, die bei den Männern seiner Crew herrschte. Die meisten zuckten zusammen, als der schwere Stockanker am Bug der Zweimast-Galeone ins Wasser klatschte. Der Laut hatte etwas Endgültiges an sich.
Dem Seewolf selbst war auch nicht recht wohl in seiner Haut, aber er versuchte, das Gefühl mit einem verwegenen Lächeln zu überspielen.
Sein Blick glitt über die weite Bucht, in der mehr als zwei Dutzend, Galeonen aller Größen vor Anker lagen. Die grelle Nachmittagssonne beschien die roten Dächer der großen, befestigten Stadt, die die Bucht beherrschte, und ließ sie glänzen wie pures Gold.
Panama.
Der Goldene Becher. So wurde diese Perle der Spanischen Krone genannt.
Dieser Becher nahm sie auf, die unermeßlichen Schätze Mexicos, Perus und Chiles. Das Silber der Azteken und Mayas, das Gold der Inkas und die Perlen von den Ufern Dariens.
Der Seewolf war sich darüber im klaren, welch gefährliches Spiel er trieb, indem er hier in der Bucht von Panama seinen Anker zu Wasser rauschen ließ. Der Anblick der tiefliegenden Galeonen schien ihm jedes Risiko wert, aber was nutzten ihnen alle Schätze dieser Welt, wenn er und seine Männer im Würgeeisen der Spanier starben?
Der Seewolf verdrängte die Gedanken an die Gefahr. Sie fuhren in diesen Gewässern, um dem Feind Schaden zuzufügen und gleichzeitig reiche Beute zu erkämpfen. Er wußte, daß das Risiko kleiner war, als die Männer der „Isabella“ annahmen.
Am verschnörkelten Heck der kleinen Galeone prangte in Goldbuchstaben der alte Name „Valparaiso“. Na also. Sie waren ein spanisches Schiff aus dem chilenischen Hafen Valparaiso. Mit dem Seewolf, Ben Brighton, Karl von Hutten und dem Franzosen Jean Ribault hatten sie vier Männer an Bord, die fließend Spanisch sprachen.
Wer sollte schon Verdacht schöpfen?
Sicher war die Nachricht, daß der gefürchtete El Draque plündernd an der Westküste der Neuen Welt nach Norden segelte, auch schon bis Panama gelangt, aber was konnte der verfluchte Engländer einer Stadt wie Panama schon antun?
Die Beherrscher Panamas waren nicht mehr die grausamen und gierigen Eroberer der ersten Jahre. Die fettleibigen Kaufleute, die sich ihre Taschen mit dem Gold der alten Völker vollstopften, schwangen jetzt das Zepter. Sie hatten die Stadt zu einer uneinnehmbaren Festung ausgebaut. Dabei hatte ihnen die geographische Lage Panamas geholfen. Auf der Ostseite lag ein riesiges Sumpfgebiet, das als undurchdringlich galt. Der einzige Pfad hinüber an die Karibische See führte über schmale Pässe, die von wenigen Soldaten gehalten werden konnten. Auf der Westseite schützte sie das Meer – und auf diesem Meer fuhren keine feindlichen Schiffe.
Der Seewolf hatte die Ahnungslosigkeit der Spanier mit einkalkuliert. Wer würde schon beim Anblick seiner kleinen Galeone, die den Namen „Valparaiso“ führte, auf den Gedanken verfallen, ein Feind hätte sich wie ein Wolf zwischen die Schafsherde geschlichen?
Die Männer in der Kuhl teilten Hasards Optimismus nicht. Nur wenige Männer befanden sich an Deck. Unter der Back saßen der Kutscher, Batuti und Smoky. Am Spillgang standen Blacky, Sam Roskill und Karl von Hutten, der sich seine Haare dunkel gefärbt hatte und die Befehle weitergeben sollte, falls Hasard oder Ben Brighton den Männern in der Kuhl Anweisungen geben mußten, während ein Spanier an Bord der „Isabella“ war.
Gardon Watts, der dürre, verschlagene Engländer, lehnte an der einen Steuerbordkanone und starrte zur Stadt hinüber.
Hasard beobachtete ihn schon eine ganze Weile. Er wußte nicht, woran es lag, aber er traute dem Mann nicht über den Weg. Wenn er eine Gefahr bei diesem gewaltigen Unternehmen sah, so nicht bei den Spaniern, sondern bei diesem undurchschaubaren kleinen Mann, dem Hasard ohne weiteres zutraute, daß er sie für ein paar Silberlinge an die Spanier verriet.
Hasard hätte Watts am liebsten zu den anderen unter Deck geschickt, aber er hatte nun mal befohlen, daß sich die Dunkelhaarigen an Deck zeigen sollten. Er konnte schlecht Watts davon ausschließen, ohne dessen und das Mißtrauen der anderen Männer zu erwecken.
Neben Hasard stand Ben Brighton. Er trug eine Perücke über seinem dunkelblonden Haar.
Der Franzose Jean Ribault stand ihnen gegenüber an der Backbordreling und starrte zur Stadt hinüber, wo sich eine Schaluppe von der Hafenmauer gelöst hatte und auf die „Valparaiso“ zugepullt wurde.
Ein leiser Pfiff schallte vom Großmars herunter. Das pfiffige Gesicht von Dan O’Flynn erschien über dem Rand des Mars.
Hasard blickte hoch.
„Was ist los, Arwenack?“ rief er. „Ach, du bist’s, Dan! Ich hab dich im ersten Moment gar nicht erkannt.“
Das Bürschchen fluchte unterdrückt. Er wagte nicht, laut zum Deck zu rufen. Er wies zur Stadt hinüber, und nun sah auch Hasard die Schaluppe.
Ben Brighton preßte die Lippen aufeinander und fuhr nervös mit dem Zeigefinger der rechten Hand unter die Perücke.
„Deine verdammten Einfälle“, murmelte er. „Kannst du nicht wie jeder vernünftige Korsar ein Schiff auf See überfallen? Immer muß es etwas Besonderes sein, sonst bist du nicht zufrieden.“
Der Seewolf grinste verwegen.
„Kannst du mir sagen, wie du draußen auf See so viele vollgestopfte Schiffe auf einem Haufen finden willst?“ erwiderte er. „Hier brauchen wir nicht lange zu suchen. Wir schnappen uns die dicksten Fische und segeln einfach davon, wenn wir genug haben.“
Ben Brighton stöhnte.
„Das hört sich an, als würdest du in Nachbars Garten Äpfel klauen wollen“ sagte er.
„Du kannst mir glauben, daß ich dabei damals mehr Angst hatte als heute.“ Hasard wandte sich von Ben ab und gab Karl von Hutten einen Wink, daß die Männer in der Kuhl sich auf den Besuch der Spanier vorbereiten sollten. Die Kanonen und Drehbassen der „Isabella“ waren geladen. Die Galeone des Seewolfs war praktisch gefechtsbereit. Man konnte schließlich nicht wissen, ob nicht gerade der Hafenkommandant von Panama ein außergewöhnlich schlauer Fuchs war.
Als der Bug der Schaluppe mit einem dumpfen Laut gegen den Rumpf der „Isabella“ stieß, wußte der Seewolf, daß sie von dem Hafenkommandanten nichts zu befürchten hatten. Er kannte diesen Typ zur Genüge. Ein pomadiger, fetter Kerl, der nach oben buckelte und nach unten trat.
Die grobporige Haut des Spaniers war von der Anstrengung gerötet, als er über das Schanzkleid an Deck stieg. Die Hängebacken und das Doppelkinn wabbelten im Gleichklang.
Ben Brightons Mundwinkel zogen sich nach oben. Er stand abwartend an der Quarterdeckgalerie und beobachtete, wie der Seewolf den Spanier begrüßte und mit einer Handbewegung zur Kapitänskammer geleitete.
Ben Brighton begrüßte den Begleiter des Hafenkommandanten, einen blaßgesichtigen, dürren Jungen, der als Schreiber fungierte, mit einem leichten Kopfnicken. Sie folgten dem Hafenkommandanten und dem Seewolf, der angeregt mit dem fetten Spanier plauderte. Hinter sich hörte Hasard Ben Brighton etwas zu dem dürren Jungen sagen. Bens Stimme zitterte etwas, aber das nahm nur Hasard wahr. Er lächelte. Er wußte, daß Ben Situationen wie diese haßte. Lieber hing er mit einem Entermesser quer im Mund an einer Brasse und ließ sich zu einem feindlichen Schiff hinüberschwingen.
„Wir haben keinerlei Botschaft erhalten, daß Sie mit Ihrem Schiff auf dem Weg nach Panama sind, Senor“, sagte der Hafenkommandant mit quengeliger Stimme. „Wer sind Sie, und welche Fracht bringt Ihr Schiff nach Panama?“
Hasard verbeugte sich leicht. Ben Brighton sah, wie es in Hasards Augen aufblitzte. Wahrscheinlich trieb das überhebliche Auftreten des Hafenkommandanten die Galle in Hasard hoch. Er ging um den Schreibtisch herum und setzte sich, ohne dem Spanier einen Stuhl anzubieten.
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