Er hatte allen Grund, mit sich zufrieden zu sein.
Es war ein warmer Morgen, und es würde ein heißer Tag werden. Das Gras, auf dem die Alten die Tai-Chi-Formen der Vorturnerin imitierten, färbte sich bereits gelb. Wenn es so weiterging und nicht bald Regen fiel, würde es ganz und gar verbrennen. Im Fernsehen hatte es geheißen, die Sonnenstrahlung sei dieses Jahr besonders stark und in den Mittagsstunden unbedingt zu meiden. Nun, im Schatten des Gingkobaums scherte ihn das nicht. Er hatte den Stammplatz von Onkel Wu ganz selbstverständlich eingenommen, denn schließlich hatte er ihn sich verdient. Im Nachhinein wunderte er sich, weshalb er den alten Konterrevolutionär so lange hatte gewähren lassen. Das war schließlich ein öffentlicher Park, beziehungsweise ein Park für die Bewohner der Glücklichen Familie , und Privilegien, zumal solche, die jemand sich grundlos selbst zusprach, hatten hier nichts verloren.
Die berechtigten Ansprüche eines alten Dieners der Partei waren natürlich etwas ganz anderes.
Tschoulao lachte glucksend, schraubte die Thermosflasche auf und trank einen Schluck heißen grünen Tee. Er stellte die Flasche ab, dann stand er auf, ging zu einem tiefhängenden Ast und nahm den Haken ab, an dem ein kleiner Holzkäfig baumelte. Der schwere Drachenreif aus Onkel Wus Wohnung rutschte an seinem erhobenen Arm herum, was sich angenehm anfühlte, fast so, als gehörte er schon lange zu ihm. Er setzte sich wieder, stellte den Käfig auf sein Knie und beobachtete die eingesperrte Zikade. Das Tier hatte einen blauschwarzen Körper mit kräftig wirkenden Beinen, fast durchsichtige Flügel und rote Knopfaugen. Es war überraschend groß und hässlich. Nach einer Weile erzitterten die Flügel, und es ertönte ein rhythmisches, durchdringendes Schnarren.
Tschoulao schaute sich um. Auch andere Parkbesucher hatten ihre Zikade dabei. Manche Käfige hingen im Gebüsch, andere standen auf den Bänken, auf denen die Männer rauchten und die Frauen sich unterhielten. Überall zirpte und schnarrte es. Er hatte keine Ahnung, was die Leute daran fanden, aber er würde es herausfinden. Vielleicht war es ja gar nicht so falsch, ein bisschen so zu sein wie die anderen. Vielleicht gehörte das zu seinem neuen Leben, das heute beginnen sollte.
Tschoulao war so sehr mit seiner Zikade beschäftigt, dass er das große Fluginsekt nicht bemerkte, das von der Straße in den Park schwenkte. Es schwirrte heran, umkreiste einmal die Bank, dann ließ es sich auf seinem Nacken nieder, der entblößt war, weil er sich auf den Holzkäfig vorgebeugt hatte. Er nahm ein Kitzeln wahr, doch ehe er das lästige Insekt verscheuchen konnte, stach es zu. Verblüfft rieb er über die Stelle, an der eben noch die Motte gesessen hatte. Der Einstich brannte, und das Brennen breitete sich rasch aus. Es strömte in seinen Kopf und löschte den Park aus, den Tag und die Erinnerung an gestern und die Tage davor.
Tschoulao vergaß und starb.
Teil 2
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