»Machst du dich über mich lustig?«, wollte er nicht ohne mahnenden Unterton wissen.
»Ganz und gar nicht«, versicherte Anthony. »Ich will sie – sie oder keine.«
In beschränktem Maße konnte Alex seinen Vorgesetzten ja verstehen. Dieses Weibsbild, das eben an ihm vorbeigerauscht war, besaß in der Tat eine majestätische Ausstrahlung. Rein äußerlich wäre sie gewiss eine gelungene Besetzung. »Sie ist doch gar keine Schauspielerin«, gab er trotzdem zu bedenken.
»Na und? Dann soll sie Unterricht bekommen. Ich habe aber das Gefühl, dass sie keine Probleme mit dem Schauspielen haben wird. Sie ist so was von … undurchsichtig. Gekonnt verbirgt sie ihre Gefühlsregungen wie hinter einer Wand aus Stahl.«
»Gut, gut. Du bist der Chef«, seufzte Alex. »Hast du denn deiner Entdeckung bereits von ihrem Glück erzählt?«
»Habe ich«, antwortete Anthony melancholisch; »aber sie gibt sich unnahbar.«
»Das kann ich mir vorstellen«, argwöhnte Alex. »Was hat sie gesagt?«
»Sie hat … im Grunde noch gar nichts dazu gesagt. Ich vermute, sie hält mein Angebot für einen Scherz.« Anthony schüttelte sich. Nein, nicht in dieser wichtigen Frage – und schon gar nicht bei ihr. »Aber ich werde sie so lange bearbeiten, bis sie zustimmt. Deswegen muss ich noch eine Weile hierbleiben. Da werde ich sie oft genug sehen.«
»Bist du sicher? Sie wirkte eben ziemlich … äh … eigensinnig«, meinte Alex.
»Das ist sie. Aber ich werde nicht nachgeben. Wie du weißt, habe ich einen ausgesprochenen Dickschädel.« Mehr zu sich selbst als zu seinem Agenten fügte Anthony hinzu: »einen Dickschädel, den sie selbst operiert hat.«
Alex rieb sich nachdenklich das Kinn. »Du bleibst noch hier?«
»Ja«, bestätigte Anthony. Er rümpfte die Nase. »Sie meinen etwas festgestellt zu haben und wollen mich ein paar Tests unterziehen.«
Sein Agent zeigte sich verdutzt.
»Sie glauben, ich wäre ein Schwächling. Mit meinen Muskeln soll etwas nicht stimmen.«
Alex riss die Augen auf.
»Sollen sie glauben, was sie wollen. Hauptsache, ich kriege die tyrannische Folder dazu, in meinem Film mitzuspielen«, knurrte Anthony. »Ich erteile dir hiermit den Auftrag, sämtliche Aktivitäten am Set bis zu meiner Rückkehr und dem Eintreffen von Miss Folder einzufrieren. Stelle der bisherigen Kleopatra-Darstellerin einen Scheck aus. Lasse dich auf keine Diskussionen mit ihr ein. Verstanden?«
Alex nickte langsam.
»Gut, das wäre dann alles.«
Wortlos verließ sein Agent das Zimmer. Damit wäre diese Sache geklärt. Jetzt musste nur noch die widerspenstige Folder überzeugt werden, egal wie.
Wenig später brachte ihm die Pflegerin eine Plastikschale mit Essen. Zum ersten Mal seit seinem Unfall würde er feste Nahrung zu sich nehmen.
»Mit besten Empfehlungen von der Ärztin«, sagte Miss Fields, während sie die dampfende Schale auf einem Beistelltisch ablegte. Anthony wagte einen Blick in die Schale und wandte ihn sogleich ab.
»Was ist denn das?«, empörte er sich.
»Tofuwürfel mit gedünsteten Sprossen. Ferner soll ich Ihnen von der Ärztin ausrichten, dass das erst der Anfang ist.«
Er schauderte. Auf was für ein Duell hatte er sich da nur eingelassen? Die Pflegerin reichte ihm Einwegbesteck. Sie fragte, ob sie sonst noch etwas für ihn tun könne. Ja, sie konnte ihrer Vorgesetzten mitteilen, sie möge ihre Krallen einfahren. Aber das würde die Lage nur weiter verkomplizieren.
»Nein«, hauchte er resigniert.
Die Krankenschwester aber ließ ihn noch nicht in Ruhe. »Ich wechsel mal Ihre Bettpfanne.«
Anthony verdrehte die Augen. Wie entwürdigend! Er lag nun schon seit Tagen mit grüner Krankenhauskleidung und einem Katheter im Bett und hatte dasselbe seither nicht verlassen. Bei der Vorstellung, dass die Fields ihn nach dem Unfall umgezogen sowie ins Bett gehievt hatte, wurde ihm flau im Magen. Doch lieber sie als … Diese Eventualität verbannte er rasch aus seinen Gedankengängen. Miss Fields hatte eine strohblonde Frettchen-Frisur, wirkte quirlig und war von mittlerer Statur; kein Vergleich zu seiner undurchschaubaren, verwirrend sinnlichen, aber äußerst kratzbürstigen Stationsärztin.
»So, jetzt können Sie wieder Ihre Notdurft verrichten«, tat Miss Fields in ihrem hohen Stimmchen kund, während sie unter seinem Bett hervorkroch.
»Da bin ich aber wahrhaft erleichtert!«, giftete Anthony.
Die Pflegerin wünschte ihm einen »Guten Appetit!« und ließ ihn allein.
Zwar plagte Anthony ein ziemlicher Kohldampf, aber solchen Öko-Fraß würde er nicht schlucken. Die Folder wagte ein Spiel mit ihm? Gut, da machte er mit. Für ein Kräftemessen brachte er indes die bei weitem schlechteren Voraussetzungen mit. Doch davon ließ er sich dem gesunden Menschenverstand zum Trotz nicht einschüchtern. Die erste Bewährungsprobe blühte ihm bereits in Kürze. Denn die Ärztin hatte gesagt, sie würde bald wiederkehren. Zudem hatte er gerade gehört, dass sie mit ihm noch nicht fertig sei. Seine Antwort auf die zuletzt gestellte Frage war ziemlich ungeschickt gewesen. Sogar er sah das ein. Vielleicht würde sie ja Milde walten lassen, wenn er sich reumütig gab. Er starrte an die Zimmerdecke. Die Tofuwürfel auf seinem Nachttisch kühlten langsam aus. Er sähe gerne fern; er wollte sehen, was die Konkurrenz machte, aber das ging nicht. Die Fernbedienung lag auf dem unter der Decke festgeschraubten Apparat. Miss Folder ließ immer noch auf sich warten. Dabei hätte sie längst hier sein müssen. Als Ärztin hatte sie gewiss genug anderes zu tun, als ihn wegen seinem ungebührlichen Betragen zu bestrafen. Wenn er die nächste Begegnung mit ihr nur schon hinter sich wähnen könnte! Er wurde das Gefühl nicht los, dass sie ihn absichtlich schmoren ließ. Seine Erwägung, den Reumütigen vorzutäuschen, verwandelte sich bereits in Kampfeslust. Das Hinauszögern der großen Abrechnung quälte ihn förmlich, wodurch seine Wut heraufbeschworen wurde.
Er wollte sich durch die Warterei nicht entmutigen lassen. Also kam er auf die Idee, einfach aufzustehen und nach der Fernbedienung zu greifen. Hoffentlich war der verdammte Katheter lang genug. Er zog das Bettlaken beiseite und hob ganz vorsichtig die Beine. Er setzte sich aufrecht. Mit nackten Zehen berührte er den Boden. Ihm wurde schwindelig. Aber es war auszuhalten. Seine Kopfschmerzen waren zerstoben. Er drückte die Arme in die Matratze und stemmte sich hoch. Zum ersten Mal seit dem Unfall stand er auf eigenen Füßen. Schwankend tat er die ersten Schritte. Nur wenige Meter trennten ihn von dem Fernseher. Ganz langsam kam er ihm näher. Sein Arm streckte bereits die Hand nach der Fernbedienung aus. Da verlor er das Gleichgewicht, ihm entglitten die Füße – er flog direkt in die Arme von Severine Folder.
Plötzlich weilte sie mitten in seinem Zimmer und schützte ihn vor dem Fall. Die Berührung mit ihr war erneut außergewöhnlich. Ihre Arme hatten sich unter die seinen geklemmt; sie presste ihren gesamten Oberkörper gegen ihn. Wieder hatten sich ihre Finger um seine Handgelenke geschlossen: um beide gleichzeitig. Jetzt war der Kontakt so intensiv, dass es ihm schien, als würde ihre merkwürdige Wärme nicht nur pulsieren, sondern geradezu brodeln. Er hätte Stunden lang so dastehen können. Dabei war ihm durchaus klar, dass sie ihn nicht einfach stützte, sondern ihn regelrecht festhielt – und dass sie nach wie vor sauer auf ihn war. Verwirrender konnte diese verführerische Mischung verschiedenster Impressionen gar nicht sein. Zu allem Überfluss war er abermals der unmittelbaren Nähe ihrer Augen ausgesetzt, die ihn gefährlich lodernd anfunkelten. Weiter vermochte er ihren Ausdruck nicht zu interpretieren. Vielleicht verriet ihre – ebenfalls verwirrend nahe – Mundpartie etwas von ihrem Gemütszustand. Sie hatte die Lippen zu einem waagerechten Strich geformt. Verhieß das Gutes oder Schlechtes?
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