»Sie ist ein Naturtalent!«, murmelte ein Kameramann, »einfach erstaunlich!«, schwärmte ein Tontechniker, »phänomenal!«, meinte ein Beleuchtungsassistent.
Triumphierend wandte sich Anthony seinem Agenten Alex zu:
»Habe ich nicht geahnt, dass sie die beste Kleopatra ist!«
Dann wies er »Frau Folder« und den Antonius-Darsteller an weiterzuspielen.
»Bitte besudelt meinetwegen nicht Eure Schönheit mit bitteren Tränen, edle Kleopatra! Lasst uns lieber von meinen Feinden sprechen, von denen ich hoffe, dass es auch Eure Feinde sind«, sagte der falsche Antonius.
»Nein, nein!«, grätschte der Regisseur dazwischen, »mehr Emphase!«
Er zerrte den Schauspieler von Severine weg, um selbst dessen Platz einzunehmen. Anthony wiederholte die letzte Frage, freilich mit weit mehr Wehmut in der Stimme.
»Ich habe Euch doch schon berichtet, edler Marcus Antonius, dass ich stets auf Eurer Seite gewesen bin«, sprach daraufhin Severine-Kleopatra.
»Aber Eure Truppen, oh kühnste Königin, gierten nach römischem Besitz. Oder leugnet Ihr etwa, die Hand nach Zypern und Syrien ausgestreckt zu haben?«
»Wie könnte ich auch nur einen Moment daran denken, da doch jedem bekannt ist, dass der gesamte Osten Euch gehört, tapferer Antonius?«
Anthony ging demonstrativ ein paar Schritte umher, bevor er fortfuhr:
»Euer bisheriges Verhalten hat nicht gerade gezeigt, verehrte Kleopatra, dass Ihr zu mir hieltet. Was müsste ich tun, um Euch zu bewegen, mit mir in den Kampf gegen meine Feinde zu ziehen? Eure wohlwollende Neutralität, wenn sie mir denn tatsächlich gewährt sei, genügt nicht, um mich Eurer Loyalität zu vergewissern.«
»Ihr bringt mich abermals zum Weinen vor Gram, dem Wort einer Ptolemäerin nicht zu vertrauen«, ächzte Severine-Kleopatra und fiel – gemäß Drehbuch – in die Arme des ihr gegenüber weilenden Antonius.
Anthony fing Severine auf. Er wurde, ebenso wie damals der römische Feldherr, durch den Charme und den Liebreiz Kleopatras ganz verzaubert. Als er in dieser Weise dastand, mit Severine, die ihn noch am Vortag gefesselt hatte, in seinen Armen – wobei sein Filmpersonal vor Staunen über ihr Naturtalent in Regungslosigkeit verharrte – schien es ihm, als sei er selbst der antike Feldherr, der unmittelbar davor war, sich in seine Kleopatra zu verlieben. Er war auch ganz entzückt von der Tatsache, dass er stark genug war, sie zu stützen. Severine so zu sehen, scheinbar völlig hilflos und ohnmächtig, löste etwas in ihm aus. Er wusste beim besten Willen nicht, worum es sich handeln mochte. Er hatte ja bereits vor sich selbst zugegeben, in diese Frau verknallt zu sein, aber das hier war mehr. Anthony verspürte plötzlich den unbändigen Drang, sie zu beschützen, damit sie nie wieder weinen musste. Ehe seine Gedanken weiter ausufern konnten, besann er sich auf den Film, stellte Severine nach einem fassungslosen Schweigen behutsam wieder auf und lobte sie:
»Bravo! Genauso muss das aussehen. Miss Folder, Sie lernen jetzt bitte Ihre Sätze, während Sie in Kleopatra verwandelt werden. Dann fangen wir nochmal von vorne an.«
Severine ließ sich von einer Maskenbildnerin in ein Hinterzimmer führen. Nachdenklich schlurfte Alex auf Anthony zu.
»Sie braucht sich nicht zu verkleiden. Sie ist Kleopatra!«, sinnierte Alex. »Woher konntest du das wissen? Du hast sie doch erst vor ein paar Tagen in der Klinik kennengelernt.«
»Ich wusste es vom ersten Moment an, als ich sie mit meinen Augen sah«, versetzte Anthony zufrieden. »So etwas nennt man Spürsinn.«
»Oder einfach Glück«, grummelte Alex, ohne dass der Regisseur es hören konnte.
Während man am Set auf die vermeintliche Verwandlung der Severine Folder wartete, bleute Anthony dem Antonius-Darsteller ein, wie er seine Rolle zu spielen hatte. Nach einer ganzen Weile kehrte Severine zur Kulisse zurück – mit einigen äußerlichen Veränderungen: Sie trug ein edles, aber dezentes Diadem auf dem Haupt, ihr pechschwarzes Haar fiel in mehreren eng geflochtenen Zöpfen an ihren Schultern herunter. Ihre Augen zierte eine schwarze Umrandung. Um ihren Körper wand sich ein blau-gelbes Seidenkleid, um ihre Arme schmiegten sich goldene Spangen. An den Füßen trug sie aufwendig geschnürte Ledersandalen. In einer Hand hielt sie einen goldüberzogenen Stab mit langen, weiß-blauen Fransen.
»Severine, ich meine Miss Folder, Sie sehen einfach umwerfend aus!«, rief Anthony vor Bewunderung.
»Nur das da« – er zeigte auf das Symbol königlich-ägyptischer Macht in ihrer Hand, das ihn bitterlich an eine Peitsche erinnerte – »brauchen Sie für die heutige Szene nicht.«
Sie zuckte mit den Achseln, reichte den Stab einem Kabelträger, der ihn ehrfürchtig in Empfang nahm, und gesellte sich wieder zu dem falschen Antonius in der Schiffsattrappe. Sie wiederholten ihren eingeübten Text. Severine meisterte ihn ohne einen einzigen Blick ins Skript, das sie liegengelassen hatte.
Sie und der Profischauspieler gelangten erneut zu der Szene, bei der Kleopatra halb bewusstlos in den Armen des überrumpelten Römers lag.
»Edle Königin, keine Tränen, nicht wegen mir!«, stieß der falsche Antonius mit routiniert gespieltem Entsetzen aus. Sogleich baute sich Severine-Kleopatra aus eigener Kraft vor ihm auf, wandte ihm demonstrativ den Rücken zu und zürnte:
»Ihr gebt also zu, dass Ihr mir nichts vorzuwerfen habt. Das ist nur recht so. Daher wüsste ich nicht, was wir noch zu besprechen hätten. Geht!«
»Königin, meine Königin! Ich war gekommen, um von Euch Rechenschaft zu verlangen. Doch nun seht, was ich tue!«
Der falsche Antonius sank auf die Knie und griff nach einer Hand der Monarchin.
»Nie mehr werde ich Erklärungen von Euch einfordern, oh edle Kleopatra!«
Severine neigte sich dem vor ihr Knienden zu.
»Wie habt Ihr mich gerade genannt?«
»Meine Königin!«
»Wenn dem so ist, dann erhebt Euch, Marcus Antonius, tapferer Feldherr des verblichenen Cäsar!«
In diesem Moment lief ein Schauer über den Rücken des Regisseurs, dem ganz persönliche Szenen der vergangenen Tage durch den Kopf schossen.
»Meine Königin, wenn ich Euch nun frage, ob Ihr bereit seid, mit mir gegen meine Feinde zu streiten, so fasst das bitte nicht als Ermahnung auf. Erkennt es vielmehr als das Flehen Eures ergebenen Dieners, der Ägypten – nein, der Euch an seiner Seite wähnen muss, um zu obsiegen! Cäsar schenkte Euch den Cäsarion, damit Ihr auf seine Seite tretet. Was muss ich Euch schenken, damit Ihr Euch mir anschließt?«
Anthony kniff unweigerlich die Augen zu. Die historische Kleopatra hatte Marcus Antonius sogar Zwillinge geboren. Severine war dazu nicht in der Lage, was sie vor seinen eigenen Augen zutiefst betrübt hatte. Brach ihre nahezu perfekte Selbstbeherrschung jetzt ein?
Severine-Kleopatra zog ihre Hand aus derjenigen des falschen Antonius heraus. Sie antwortete mit ernster Miene:
»Ich helfe Euch, edelmütiger Antonius, aber dafür stelle ich Euch ein paar Bedingungen!«
Anscheinend hatte sich Severine noch immer vollends unter Kontrolle. Sie spielte weiterhin wie eine große Diva.
»Welche?«
»Zypern und Syrien, alte Nebenländer der ägyptischen Krone!«
Was eben noch Stein des Anstoßes gewesen war, wurde der Königin nun anstandslos gewährt:
»Beide sind hiermit Euer!«
»So sei nun der Bund zwischen uns besiegelt. Ihr dürft Euch entfernen.«
»Nein, bitte schickt mich nicht weg, meine Königin! Ich will Euch mehr geben als Land.«
»Was sollte das sein?«
»Mein Herz!«
» Mein Herz«, entgegnete Severine-Kleopatra, »wurde gemeinsam mit dem des Julius Cäsar erdolcht.«
Hier schritt Anthony ein. »Gut soweit«, sagte er. Dem Antonius-Darsteller erklärte er:
»Bedenken Sie, dass sich nun Ihr Schicksal entscheidet. Sie sind gerade dabei, Ihren Willen sowie Ihre Existenz der Kleopatra auszuliefern. Damit sind Sie und die von Ihnen Angebetete dem Untergang geweiht. Ich will, dass die Kamera diese Tragik einfängt. Überzeugen Sie mich, spielen Sie, als ginge es um Ihr eigenes Leben!«
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