»Da du schon einmal hier bist, kannst du mir auch behilflich sein«, sprach sie.
Behilflich?
»Öffne doch bitte den weißen Schrank hinter dir.«
Er gehorchte dem auffallend freundlichen Befehl und fand einen Stapel ominöser Stoffbänder vor.
»Da sind aber nur Bandagen.«
Severine schmunzelte. »Dann gib sie mir.«
Er nahm den Stapel aus dem Schrank und registrierte, dass das Verbandszeug gelocht war. Jedes Loch besaß einen Metallrand. Völlig verblüfft hielt Anthony die vermeintlichen Bandagen in Händen. Es waren Fixiergurte! Ihm wich sämtliches Blut aus den Adern. Er presste die Fesseln gegen seinen Rumpf und weigerte sich, sie herauszurücken.
»Bitte tu das nicht! Ich wollte doch nur etwas finden, womit ich dich überreden könnte, in meinem Film mitzuspielen. Bitte sei meine Kleopatra, aber binde mich nicht fest. Ich habe heute schon genug Stress erlebt.«
Ihr Lächeln wurde breiter. »Du ahnst gar nicht, wie entspannend so eine Fixierung ans Bett sein kann.«
Er versuchte sich an einem flehenden Blick, der restlos in ihren flammenden Augen verpuffte. Diese glühten dadurch im Gegenteil nur noch heißer.
»Bitte nicht!«, hauchte er.
Wie zum Trost legte sie ihm ihre rechte Hand auf eine Wange, die über die zärtliche Berührung jubelte.
»Sieh mal«, entgegnete Severine butterweich, »ich bin doppelt verpflichtet, dich ans Bett zu fesseln. Erstens schreibt die Hausordnung vor, die Patienten vor Verletzungen zu schützen. Also muss für eine gesicherte Nachtruhe gesorgt werden. Zweitens habe ich dir gestern angekündigt, dass ich dich fixiere, wenn ich dich noch einmal unerlaubt außerhalb deines Betts vorfinde. Ich muss es tun. Mir sind die Hände gebunden.«
Sie kicherte. Erstmals erfuhr Anthony, wie schmerzhaft Sarkasmus sein kann.
»Bitte nicht!«, probierte er es erneut.
Sie strich mit der Handfläche über seine Wange, die sich wie von selbst in sie hineinschmiegte. Eine derart sinnliche Berührung hatte er in seinem gesamten Leben noch nicht verspürt. Gleichzeitig wusste er, dass ebendiese Hand ihn ans Bett fesseln wollte. Welch verstörendes Spiel mit seinen Gefühlen!
Severine schenkte ihm einen offen mitleidigen Blick. »Es tut gar nicht weh. Die Fesseln sind sehr weich, ich ziehe sie auch nicht zu fest zu. Angst ist völlig überflüssig.«
Sie trat ganz nah an ihn heran und raunte in sein Ohr:
»Fühl doch mal, wie weich sie sind.«
Sie griff nach seiner Hand, um sie über den Stoff gleiten zu lassen. Die Fixiergurte fühlten sich in der Tat nicht übel an, aber es waren und blieben Fesselwerkzeuge. Anthony stöhnte, sah indes ein, dass er Severine nicht von ihrem Vorhaben abbringen konnte. Hatte er vielleicht eine Chance zu fliehen? Abgesehen davon, dass sie genau zwischen ihm und der rettenden Türöffnung stand, war sie stärker als er. Sie brauchte ihn nur am Arm zu festzuhalten, und die Flucht wäre beendet, ehe sie begonnen hätte. Aber vielleicht war er schneller als sie? Doch auch in diesem Fall müsste er zunächst an ihr vorbei.
Severines Rechte wanderte quer über sein Gesicht bis zur Stirn. »Woran denkst du gerade?«
Der seidige Klang ihrer Stimme ließ gar nichts anderes als die Wahrheit zu:
»An Flucht.«
Wieder kicherte sie. »Wenn du wüsstest, wie viel interessanter du das Ganze damit für mich gestalten würdest …«
Genau das hatte er befürchtet.
»Aber es ist schon spät«, seufzte sie. »Du musst morgen frühzeitig aus den Federn. Also gehst du jetzt anstandslos mit mir auf dein Zimmer, legst dich wieder ins Bett, lässt dich von mir festbinden und schließt die Augen. Morgen ist ein neuer Tag.«
»Severine«, stotterte er, ohne jede Vorstellung, was er außer Jammern und Flehen gegen diese Wand von Entschlossenheit noch aufbieten konnte. Aber dazu rang er sich doch nicht durch.
»Letzte Chance, Anthony«, warnte sie ihn. »Entweder gehst du freiwillig ins Bett, oder ich werde dich dazu zwingen. Ich versichere dir, dass letzteres mit Unannehmlichkeiten zu tun hat, die du nicht möchtest.«
Er kapitulierte.
»Na schön, ich komme mit.«
»Dann gib mir die Gurte«, befahl sie.
Immer noch zögernd überließ er ihr seine Fesseln.
»Warum nicht gleich so? Dir nach.«
Ohne Anstalten eines Fluchtversuchs ging er voraus in den Flur und ließ sich in sein Zimmer zurückdirigieren. Dort fragte ihn Severine, ob er noch einmal ins Badezimmer müsse. Er schüttelte den Kopf. Er wollte sich vor Erschöpfung nur noch hinlegen.
»Warte, ich muss sie erst auslegen.«
In komplizierter Weise breitete sie die Gurte auf der Matratze aus. Sie tat das mit einem Geschick und einer Schnelligkeit, die ihm trotz seiner bizarren Situation Bewunderung abverlangten.
»Jetzt darfst du dich hinlegen«, verkündete sie.
Er trat vor das Bettgestell. Ein Schauer durchfuhr ihn. Das »Dürfen« konnte nur ein Witz sein. Andererseits wollte er nichts lieber als in die Waagerechte gehen. Doch dafür musste er die Fixierung in Kauf nehmen. Unschlüssig wandte er sich erneut nach Severine. Sie machte ihm mit einem Nicken Mut. Ergeben legte er sich nieder. Sofort beugte sie sich über ihn. Sie packte seine Arme, positionierte sie auf seinen Bauch und band sie mit zwei Gurten zusammen. Einen weiteren Gurt legte sie ihm über die Hüften. Auch ihn zurrte sie stramm. Sie führte zwei zusätzliche Bänder links und rechts über seine Schultern, dann zwischen den Beinen hindurch. Ferner verknüpfte sie die Gurte mit dem Kopf- sowie dem Seitengestänge. Schließlich befestigte sie seine Füße an der unteren Bettstange. Als Schlösser dienten ihr eine Art Bolzen. Er konnte sich keinen Millimeter mehr rühren.
»Wie fühlst du dich?«, erkundigte sie sich.
»Ein wenig eingeschränkt«, murrte er.
»Ein wenig?«, rief sie erstaunt. »Muss ich vielleicht noch weitere Bänder holen?«
»Nein, nein. Ist schon gut; ich kann mich nicht bewegen«, beeilte er sich zu erklären.
Honigsüß lächelte sie. Ihr Blick wurde satt und zeugte ganz offensichtlich von Glück. Der Kontrast zu der schluchzenden Severine in der Cafeteria konnte größer kaum sein.
»Alles andere hätte mich auch sehr gewundert.« Dann wurde ihr Ton etwas ernster: »Ist alles gut? Drückt nichts? Kann ich dich so alleine lassen?«
Wie sie versprochen hatte, lagen die Fesseln weich auf seiner Haut. Sie waren sogar ganz angenehm. Severine hatte sie ihm exakt so angelegt, dass die Fixierung den größtmöglichen Effekt bei größtmöglichem Komfort gewährleistete. Es war bei weitem nicht so schrecklich wie befürchtet. Offenbar verstand sie sich im Fesseln. Das gehörte gewiss zu ihrer Ärzteausbildung.
»Alles so weit prima, du kannst mich hier beruhigt zurücklassen«, antwortete Anthony mäßig begeistert, aber ehrlich.
Ganz kurz schien ihr Gesicht noch heller aufzuleuchten. Für den Bruchteil einer Sekunde vibrierte ihr Körper. Obwohl es ganz schnell ging, war er sich sicher, dass sie etwas freudig durchzuckt hatte. Aber was sollte das gewesen sein? Sie deckte ihn zu. Mit einem breiten Grinsen sagte sie:
»Ich wünsche dir einen festen Schlaf.«
»Besten Dank«, erwiderte Anthony kurz angebunden.
Sie wandte sich zum Gehen.
»Severine«, rief er ihr nach.
»Ja?«
»Spiel für mich die Kleopatra. BITTE!«
»Gute Nacht.«
Sie schaltete das Licht aus und überließ ihn für die nächsten Stunden seinem Schicksal.
Diesmal träumte Anthony nicht vom Nil-Land. Er war sofort in einen tiefen, seligen Schlaf gefallen. Das nächste, was er vernahm, war das Geräusch einer schwungvoll aufgerissenen Türe. Pflegerin Fields knipste die Deckenlampe an und polterte in sein Zimmer. Sofort erspähte sie die unter dem Bettlaken heraushängenden Gurte.
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