"Ehrliche Arbeit schließt du in dem Fall von vorn herein aus?"
Milo zuckte die Achseln.
"Keine Ahnung..."
"Jedenfalls bist du hier so sicher wie in Abrahams Schoß."
"Für mich wäre das nichts!"
"Das sagst du nur, weil du dir die Miete hier von unseren Dienstbezügen als G-men gar nicht leisten könntest!"
Mit dem Aufzug fuhren wir hinauf. Einige Minuten später standen wir vor Sorellos Wohnungstür.
Milo wollte gerade die Klingel betätigen, da öffnete sich die Tür.
Ein schmächtiger junger Mann stand vor uns. Er hatte uns offenbar erwartet. Er trug eine übergroße Jeanshose und ein T-Shirt, das die Aufschrift I'M AN ASSHOLE trug.
Ich hielt meine ID-Card hin.
"Special Agent Jesse Trevellian, FBI. Dies ist mein Kollege Milo Tucker. Wir möchten Ihnen ein paar Fragen stellen..."
Sorello kaute auf einem Kaugummi herum. Er hatte rotstichiges, ungepflegtes Haar, das ihm in den Augen hing.
Mit einer ruckartigen Bewegung seines Kopfes fegte er es davon.
"Hey, G-men, bleibt cool!"
"Keine Sorge", sagte ich.
"Habt ihr Typen 'nen Durchsuchungsbefehl oder sowas?"
"Nein, haben wir nicht."
"Dann würde ich sagen, ihr macht wieder die Fliege. Ich lass' mich nicht von euch verscheißern. Und ohne meinen Anwalt sage ich keinen Ton."
"In dem Fall möchte ich Sie bitten, uns zur Federal Plaza zu begleiten", sagte ich. "Und was den Durchsuchungsbefehl angeht - den bekommen wir im Handumdrehen..."
Er vergrub die Hände in den Taschen. "Hey, G-man, warum so ungemütlich?"
"Ich schlage vor, wir unterhalten uns vernünftig. Ob Sie allerdings wollen, dass die Security Guards auf ihren Bildschirmen alles mitbekommen, liegt ganz bei Ihnen..."
Ich deutete auf eine der ganz offen platzierten Kamera-Augen.
Sorello zögerte.
"Kommt 'rein", forderte er uns dann auf.
Er führte uns in eine mindestens zweihundert Quadratmeter große Wohnung, die - abgesehen von Küche und Bad - nur aus einem einzigen Raum bestand. Wohnzimmer, Schlafzimmer und Computerzentrale in einem. In einer Ecke befand sich ein Futon. Auf einem niedrigen Tisch stapelten sich Reste einer Express-Pizza-Mahlzeit.
Mehrere Computer-Schirme flimmerten. Teile des Equipments lagen überall verstreut herum.
Ich trat an die Fensterfront heran, blickte zuerst auf die Strawberry Fields des Central Parks hinab, dann zu den Betonfassaden der anderen Skyscraper in unmittelbarer Nachbarschaft.
"Was kostet die Miete hier?", fragte ich.
"Das geht dich nichts an, G-man." Dann lachte er auf. "Ich verdiene gutes Geld. Als freier Unternehmer. Software Consulting und so etwas. Jedenfalls habe ich seit damals die Finger von euren Internet-Seiten gelassen!"
"Inzwischen gibt es Programme, die eine von unautorisierter Seite veränderte Internet-Seite innerhalb von zehn Minuten automatisch wieder herstellt", erwiderte Milo.
Sorello verschränkte die Arme.
"Inzwischen gibt es aber auch Tricks, wie man diese Software ausschalten kann", gab der Hacker zurück.
"Ich sehe, Sie kennen sich immer noch aus."
"Man bleibt auf dem Laufenden. Aber so ein dummes Zeug wie damals werde ich sicher nie wieder machen."
"Freut mich zu hören", meinte Milo.
Er zuckte die Schultern. "Ich würde so etwas nur dann noch einmal machen, wenn es sich wirklich lohnt. Der Fun, den wir dabei hatten, war den ganzen Ärger nicht wert!" Er grinste.
"Aber wie ihr seht, kann ich mein Wissen inzwischen produktiver einsetzen und richtig gut Geld damit verdienen."
Ich griff in die Innentasche meiner Jacke und hielt ihm ein Bild von Desmond Cole hin.
"Kennen Sie diesen Mann?"
"Nie gesehen."
"Vielleicht sehen Sie mal richtig hin!"
Sorello nahm sich zwei volle Sekunden Zeit, schüttelte dann aber energisch den Kopf. Schließlich reichte er mir das Bild zurück. "Tut mir leid, G-man! Was ist mit dem Kerl?"
"Er heißt Desmond E. Cole, ist aber auch unter ein paar anderen Namen bekannt", erwiderte ich. "Cole wurde heute bei einer Schießerei Ecke Bedford Street/Seventh Avenue umgebracht."
Sorello hob die Augenbrauen.
"Ich verstehe nur nicht, was das ganze mit mir zu tun haben soll! Hey, Mann, bleib cool, G-man! Ihr werdet doch nicht im Ernst auf den Gedanken gekommen sein, dass ich vielleicht mit einem Schießeisen herumgeballert habe!"
Sorello lachte heiser auf. "Ich würde mich mit einer Waffe eher selbst verletzen als meinen Gegner."
"Sie haben mit Cole telefoniert", stellte ich sachlich fest. "Etwa eine Stunde bevor er erschossen wurde. Vielleicht waren sie der letzte Mensch, mit dem er gesprochen hat. Am Abend zuvor haben Sie gegen zwanzig Uhr mit ihm gesprochen. Das sind Tatsachen, die Sie mit diesem Mann in Verbindung bringen."
Sorello sah mich überrascht an.
Einen Augenblick lang fiel die coole Maske von ihm ab, die er sich zugelegt hatte.
Seine schmächtige Gestalt stand da wie ein Fragezeichen.
"Hey, G-man, du redest Quatsch!"
"Ich rede keinen Quatsch", sagte ich. "Und ich möchte jetzt wissen, was Sie mit Mister Cole zu besprechen hatten!"
"Ihr blufft!", fauchte Sorello dann.
"Wir haben Ihre Nummer aus dem Menue von Coles Handy", erläuterte ich kühl. "Und dazu werden Sie schon irgendeine Erklärung abgeben müssen."
Sorello fuhr sich mit der Hand durch das ungepflegte Haar, strich es sich mit einer fahrigen Geste zurück. "Ich muss gar nichts!", meinte er. "Am besten ich rufe meinen Anwalt."
Er ging zum Telefon, nahm den Hörer ab.
"Das können Sie natürlich tun", sagte ich. "Aber vorher sollten Sie jedoch noch eines wissen. Desmond Cole war ein Profi-Killer. Und die Tatsache, dass Sie mit ihm telefonischen Kontakt hatten, kurz bevor er in eine Schießerei verwickelt war, kann Sie in alles Mögliche hineinziehen, Mister Sorello."
'BigByte' legte den Hörer wieder auf.
Er ballte die Hände zu Fäusten. Dann ließ er sich in einen der rollbaren Drehsessel fallen.
Nervös tickte er mit den Fingern auf der Armlehne herum.
"Vielleicht kannten Sie Cole unter dem Namen Peter Duncan", versuchte ich ihm eine Brücke zu bauen. Jedenfalls war unter dem Namen Peter Duncan sein Mobilfunkanschluss angemeldet.
Sorello atmete tief durch.
"Agent Trevellian, ich..."
Weiter kam er nicht.
In dieser Sekunde barst eine der Fensterscheiben.
Ein Ruck ging durch BigBytes Körper. Für Sekundenbruchteile sah ich den hauchdünnen roten Laserstrahl eines Laserpointers aufzucken.
Doch es war bereits zu spät.
Sorello rollte die Wucht des ersten Treffers ein paar Meter auf seinem Drehstuhl zurück.
Der erste Treffer durchschlug Sorellos Brustbein, ein zweiter erwischte ihn in der Herzgegend.
Ich duckte mich, riss die SIG aus dem Holster.
Der Schütze musste in einem der benachbarten Skyscraper in Stellung gegangen sein. Der nächste Schuss folgte. Einen der Computerschirme erwischte es. Milo kauerte hinter dem Schreibtisch. Per Handy verständigte er bereits die Kollegen.
Der Killer zog den Lauf des Spezialgewehrs aus dem kreisrunden Loch in der getönten Fensterscheibe. Er hatte es mit einem speziellen Glasschneider herausgeschnitten.
Der Killer grinste.
Die verschiedenen Schichten der Dreifachverglasung zu durchdringen war schon das Schwierigste an dem ganzen Job gewesen.
Aber selbst das hatte der Killer in aller Ruhe durchführen können. Er hatte sich dafür ein Fenster im Treppenhaus auf Höhe des 24. Stock ausgesucht. Von hier aus hatte er einen freien Blick auf das Penthouse seines Opfers gehabt. Außerdem befanden sich im Treppenhaus weder Überwachungskameras noch musste er damit rechnen, dass plötzlich jemand vorbeikam.
Selbst Fitness-Fanatiker gingen lieber im nahen Central Park joggen, anstatt den Lift mit der Treppe zu vertauschen.
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