1 ...7 8 9 11 12 13 ...26 Denjenigen, die früher gegen diesen Missbrauch hätten vorgehen müssen, hat es oft an Mut gefehlt, und manchmal fehlt es auch dort an Mut, wo das Pendel die Richtung ändert und ins andere Extrem ausschlägt.
Das Truth, Justice and Healing Council 1hat fünf Jahre lang die Hauptlast der kirchlichen Mitarbeit in der Royal Commission 2getragen, aber sie hätten auf dem Recht bestehen müssen, die Kläger ins Kreuzverhör zu nehmen, selbst wenn sie nur selten davon Gebrauch gemacht hätten. Das hätte der Sachlichkeit gedient.
Sie haben es auch versäumt, den Erfolg von Towards Healing und der Melbourne Response angemessen zu würdigen, so partiell und defizitär er auch gewesen sein mag. 3Sogar Gail Furness, die Beraterin von [Richter Peter] McClellan, hat eingeräumt, dass die Zahl der Übergriffe seit Anfang der 1990er-Jahre signifikant abgenommen hat. Was das Eindämmen oder Beenden der Missbrauchswelle angeht, hatten wir das Problem spätestens seit 1996/97 im Griff. Es wird der Wahrheit nicht gerecht, wenn man den Eindruck entstehen lässt, dass die Amtskirche vor Einrichtung des Truth, Justice and Healing Council nichts unternommen hätte. Und es wird der Wahrheit auch nicht gerecht, wenn man den Eindruck entstehen lässt, dass die Kirche bis zu irgendeinem nicht näher genannten Datum keine »guten« Bischöfe gehabt hätte, dass alle eine große »Seilschaft« gewesen seien, für die die Kirche wichtiger gewesen sei als die Opfer. Das ist unfaire Effekthascherei, ein Zugeständnis an eine feindselige Masse.
Die Pädophilie-Krise ist und bleibt der heftigste Schlag, dem die Kirche in Australien ausgesetzt war. So viele furchtbare und so viele wirklich abscheuliche Verbrechen. Wenn Mitte der 1990er-Jahre irgendjemand das Ausmaß des Problems kannte, dann hat er sich darüber nicht geäußert, weder öffentlich noch bei mir persönlich. Wir dachten, die Melbourne Response würde ihre Arbeit innerhalb weniger Jahre zum Abschluss bringen können.
Im Brevier führt Ijob sein Wortgefecht weiter und macht zwei Punkte geltend: Er macht Gott für seine Leiden verantwortlich und er beharrt darauf, dass Gott die Macht hat, etwas dagegen zu tun. Gott hat alles in der Hand. Der Mensch kann nur sehr, sehr wenig erreichen. »Sieh, die Furcht des Herrn, das ist Weisheit«, spricht Gott, »das Meiden des Bösen ist Einsicht« (Ijob 28,20–28).
Es war eine Erleichterung, zum Responsorium aus dem ersten Korintherbrief überzugehen (2,6–8); Gottes geheime Weisheit für uns ist Christus.
Die zweite Lesung ist wieder ein schöner und berühmter Abschnitt aus Augustinus’ Bekenntnissen . Gott zu preisen ist unsere Freude, »denn auf dich hin hast du uns geschaffen; und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir«.
Wie geschieht es, dass die Seele ihren ersten Schritt auf Gott zugeht? Augustinus ist ein glänzender Psychologe, der sehr wortgewandt und klug über sich selbst zu schreiben vermag. Aber noch besser kann er über unseren Gott der Liebe schreiben. »Ist das nicht allein schon große Pein, dich nicht zu lieben?«
Die folgenden Worte von Augustinus sollen heute Abend mein Gebet sein:
Herr, mein Gott, […] sprich zu meiner Seele: »Dein Heil bin ich.« Nacheilen will ich diesem Wort und so dich erfassen. Verhülle nicht vor mir dein Angesicht. Sterben will ich, um nicht zu sterben, sondern es zu schauen.
Montag, 11. März 2019
Das Ereignis des Tages war natürlich der Besuch von Chris Meney, direkt gefolgt von der Tatsache – die nur durch den Besuch überhaupt möglich war –, dass wir uns im Garten treffen konnten. Dass Nick und Rebecca 4nicht gekommen sind, war eine Enttäuschung. Der Himmel weiß, was sie aufgehalten haben mag, denn Nick hat noch heute Morgen am Telefon zu Chris gesagt, sein Termin sei um 12.30 Uhr. Ich hatte diese Zeit nie erwähnt und dachte, alle drei würden zur vollen Stunde kommen.
Die Gefängnisleitung hat sich bemüht, die äußere Besuchszone ansprechend zu gestalten – sie ist hübsch gepflastert, mit runden Tischen und fest installierten Bänken versehen, in der Mitte ein überdachter Bereich mit Farnen und einem pagodenartigen Dach und einem Aborigine-Garten in der Ecke. Weiterhin gibt es ein Gefallenendenkmal, eine Tafel, auf der steht, dass der Bereich unter Pauline Toner 5eröffnet worden ist, und über dem Eingang ein Bild mit einer Ansicht von Venedig, so etwas wie die Seufzerbrücke über dem Kanal. In einer Ecke, fast ganz versteckt, blühten einige bescheidene Rosen, rot und weiß (wenn ich mich richtig erinnere). Die Hälfte der Zeit haben wir gesessen und ein bisschen sind wir auch umhergegangen. Das Wetter am heutigen Feiertag, dem »Tag der Arbeit«, war beinahe mild. Ein schöner Tag. Heute Morgen habe ich 10 oder 15 Minuten lang die Moomba-Parade 6im Fernsehen angesehen, nichts Besonderes meiner Meinung nach, aber die Kinder, die mitgingen, hatten ihren Spaß und die Jugendlichen, die angeblich die Umzugswagen entworfen hatten, ebenfalls.
Nach der üblichen Leibesvisitation habe ich mich vor dem Besuch wieder in einen Overall gezwängt, diesmal richtig herum, nicht mit der Rückseite nach vorn. Ich hatte einen in 3XL, obwohl ich eigentlich die größte Größe brauche, wahrscheinlich 5XL.
Chris wirkte ein bisschen unsicher – vielleicht hatte er Angst, wie ich reagieren würde, als er erklärte, dass meine Probleme und meine Haft Teil der göttlichen Vorsehung seien, auch wenn er nicht wirklich wisse, was da im Gang sei und was vielleicht an Gutem dabei herauskommen werde. Wahrscheinlich war er erleichtert, als ich ihm begeistert beipflichtete, indem ich sagte, dass Gott, der Geist, immer am Werk ist. Chris meinte, vielleicht sei es für die Gläubigen ein Hinweis darauf, dass die allgemeine Lage wahrscheinlich nicht leichter werden wird. Ich hoffe allerdings, dass nicht allzu bald allzu viele dieselbe Erfahrung machen müssen wie ich.
Chris ist mir ein guter Freund und eine unschätzbare Hilfe. Mary Clare und Jess 7sind in Medjugorje und ich hoffe, sie beten für mich, neben ihren anderen Anliegen.
Außer meiner Bewegung im Garten anlässlich des Besuchs hatte ich noch zweimal eine halbe Stunde Hofgang in unserem etwas heruntergekommenen Hof. Ein scharfer Kontrast, aber heute Morgen hat von dem kleinen Fleckchen Himmel, das man von dort aus sehen kann, die Sonne auf mich heruntergelacht.
Chris hat mir den nächsten Brevierband mitgebracht, und ich bin gespannt, wann er bei mir ankommen wird. Die Wärter haben gesagt, dass ich ihn automatisch bekommen werde und nichts unterschreiben müsse.
Ijob ist heute viel besser in Form, äußerst wortgewandt, aber er hält an seiner harten Linie fest und rechtet weiterhin mit Gott. Er erinnert sich an die guten Zeiten, als Gottes Leuchte über seinem Haupt erstrahlte (Ijob 29,3). Einst sind ihm die Jungen und die Fürsten respektvoll begegnet, doch jetzt ist er zum Gespött geworden. Schrecken haben ihn erfüllt und unaufhörlich nagt der Schmerz an ihm. Er macht Gott harsche Vorwürfe: »[…] du achtest nicht auf mich. Du wandelst dich zum grausamen Feind gegen mich« (Ijob 30,20–21).
Ijob war in seiner heftigen Empörung und deutlichen Sprache denkbar schlecht für diese furchtbare Situation gerüstet. Ich erinnere mich noch an Kardinal Lustiger 8aus Paris, einen konvertierten Juden, dessen Verwandte aus demselben Dorf in Polen stammten wie die Familie von Jim Spiegelman 9, und an die Erbitterung, mit der er sich fragte, wie Gott das zulassen konnte, als vier oder fünf französische Bischöfe, die er als mögliche Erzbischöfe ausgewählt hatte, vor der Zeit starben. Lustigers Umgang mit der Moderne war so, wie er sein sollte: ein bedingungslos christlicher Aufruf zu Glauben und Buße. Einmal hatte er mehr junge Priester und Seminaristen als der Rest von Frankreich zusammen. Ich bin bei der Reform des Seminars in Melbourne ein Stück weit seinem Vorbild gefolgt. Die jüdische Tradition, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, ist langlebig.
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