In einer danach erfolgten erneuten Beschuldigtenvernehmung – die Legende des verdeckten Ermittlers war zuvor gegenüber der Beschuldigten offengelegt worden – räumte sie sämtliche Taten ein und erklärte in der nachfolgenden richterlichen Vorführung, dass der Inhalt des Haftbefehls, der auf ihren Angaben in der polizeilichen Vernehmung beruhte, zutreffend sei. Sie wiederholte später bei der Exploration durch eine psychiatrische Sachverständige diese Angaben und bestätigte dies im Rahmen der Hauptverhandlung; im Übrigen machte sie dort von ihrem Einlassungsverweigerungsrecht Gebrauch .
225 Der 4. Strafsenat des BGH 42führt die vorangegangenen Entscheidungen des 3. Senates des BGH 43und des EGMR 44zum verdeckten Ermittler unter Geltung des „nemo-tenetur-Grundsatzes“ fort. Wörtlich: „Die Vorgehensweise des Verdeckten Ermittlers war verfahrensrechtlich unzulässig, weil er der Angeklagten unter Ausnutzung des im Verlauf seines fast anderthalb Jahre dauernden, in der Intensität zunehmenden Einsatzes geschaffenen Vertrauens selbstbelastende Angaben entlockt hat, obwohl sie sich bei ihrer polizeilichen Vernehmung … für das Schweigen zu den gegen sie erhobenen Tatvorwürfe entschieden hatte …. Das Gespräch mit dem Verdeckten Ermittler …, in dem die Angeklagte die Tötung ihres Sohnes … einräumte, stellt sich wegen der vorausgegangenen Einwirkungen auf die Entscheidungsfreiheit der Angeklagten ‚als funktionales Äquivalent einer staatlichen Vernehmung‘ dar.“
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Praxistipp: |
226 |
Hat sich der Beschuldigte bereits auf sein Einlassungsverweigerungsrecht berufen, darf der verdeckte Ermittler ihn nicht unter Ausnutzung eines geschaffenen Vertrauensverhältnisses zu einer Aussage drängen und ihm in einer vernehmungsähnlichen BefragungErklärungen zum Tatgeschehen entlocken. 45 |
227 Zum anderen sind nicht nur die Angaben des Beschuldigten gegenüber dem verdeckten Ermittler unverwertbar, sondern grundsätzlich auch unmittelbar nachfolgende Vernehmungen, sofern „bei der Vernehmung die rechtsstaatswidrige Beweisgewinnung durch den Verdeckten Ermittler“ fortwirkt. 46
228 Offen bleibt dabei, ob hier nicht der Vernehmende durch eine qualifizierte Belehrung– Hinweis auf die Unverwertbarkeit der gegenüber dem verdeckten Ermittler gemachten Angaben vor erneuter Beschuldigtenvernehmung – diese Fortwirkung unterbrechen kann. Der 3. Senat hat diese Möglichkeit angedeutet, aber nicht weiter verfolgt, da in dem damals zu entscheidenden Sachverhalt – quasi entgegengesetzt – der vernehmende Polizeibeamte gegenüber der Beschuldigten der objektiven Rechtslage zuwider behauptet hatte, die Angaben gegenüber dem verdeckten Ermittler seien gerichtsverwertbar.
2.12Heimliches Aufzeichnen von Gesprächen mit Besuchern während der Untersuchungshaft
229 Teilweise versuchen die Ermittlungsbehörden, Informationen von dem inhaftierten Beschuldigten dadurch zu erhalten, dass sie seine Besuchskontakte überwachen. Regelmäßig (aber nicht immer) geschieht dies offen, indem ein Beamter an dem Besuchsgespräch teilnimmt.
Beispiel:
230Gespräche des in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten mit seiner Ehefrau wurden entsprechend einem Beschluss des Gs-Richters in einem separaten Besuchsraum ohne erkennbare optische und akustische Besuchsüberwachung ermöglicht. Allerdings hatte das Amtsgericht zugleich antragsgemäß die verdeckte Abhörung und Aufzeichnung dieser Gespräche angeordnet .
231 Die Maßnahmen beinhalten keine Verstöße gegen die §§ 100f, c StPO: Haft- und Besuchsräume unterfallen nicht dem Schutz des § 100c StPO, da sie keine Wohnung darstellen und das Abhören daher keinen „großen Lauschangriff“ darstellt. 47
232 Rein formell und auch materiell lagen darüber hinaus die Voraussetzungen des § 100f StPO, der die akustische Überwachung außerhalb von Wohnungen ermöglicht, vor. Trotzdem gelangte der 1. Strafsenat zu einem Verwertungsverbot. Gemäß § 119 Abs. 3 StPO a. F. in Verbindung mit Nr. 27 UVollzO waren Besuche während der Untersuchungshaft regelmäßig erkennbar zu überwachen; in der Praxis waren Vollzugs- oder Polizeibeamte und Dolmetscher anwesend.
233 Die Besonderheit des Falles besteht darin, dass bewusst ein separater Besuchsraum verwendet wurde, der bei dem Beschuldigten den Eindruck erwecken musste und sollte, hier ungestört und unüberwacht mit seiner Ehefrau sprechen zu können.
234 Die nach strafprozessualen Vorgaben zulässige Maßnahme tangiert daher einerseits den Grundsatz des nemo tenetur se ipsum accusare; sie dürfte – da aktives Tun durch die Zuweisung des separierten Raumes vorliegt – die Grenzen der kriminalistischen List in Richtung einer Täuschung im Sinne des § 136a StPO überschreiten. Zu Recht stellte der BGH klar, dass jedenfalls die Gesamtumstände zu einer staatlichen Totalüberwachungdes Beschuldigten – ohne jegliche Rückzugsmöglichkeit in eine Privatsphäre – führen, die mit einem fairen Verfahren nicht zu vereinbaren sind. Genau betrachtet wird aber eine derartige Rückzugsmöglichkeit durch die durch die Strafverfolgungsbehörden geschaffene Situation vorgespiegelt.
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Praxistipp: |
235 |
Täuschen die Ermittlungsbehörden im Hinblick auf die Überwachung von Besuchen während der Untersuchungshaft, so liegt darin ein Verstoß gegen den Grundsatz des „fair trial“. |
236 Angaben des Beschuldigten, die er gegenüber Privaten getätigt hat, sind selbst dann verwertbar, wenn diese Privatpersonen ohne amtlichen Auftrag mit Mitteln, die staatlichen Organen nach § 136a StPO verboten sind, Beweismittel erlangt haben. 48
Beispiele:
237„Was ein Beschuldigter einem Mitgefangenen erzählt hat, der auf Veranlassung der Polizei auf seine Zelle gelegt wurde, um ihn über das Tatgeschehen auszuhorchen, darf nicht verwertet werden. Verwertbar ist dagegen die Aussage, die ein in der Hauptverhandlung vernommener Zeuge gemacht hat, den die Polizei aufgrund von Angaben des Beschuldigten gegenüber dem Mitgefangenen ermittelt hat.“ 49
238 Wenn ein Mithäftling aus eigenem Antriebden Beschuldigten veranlasst, ihm die Tat zu schildern, darf dies verwertet werden, selbst wenn dieser sein Aushorchen in Kenntnis der Ermittlungsbehörden fortsetzt.
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Praxistipp: |
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„Hat eine Privatperson auf Veranlassung der Ermittlungsbehördemit dem Tatverdächtigen ohne Aufdeckung der Ermittlungsabsicht ein auf die Erlangung von Angaben zum Untersuchungsgegenstand gerichtetes Gespräch geführt, so darf der Inhalt des Gespräches im Zeugenbeweis jedenfalls dann verwertet werden, wenn es um die Aufklärung einer Straftat von erheblicher Bedeutung geht und die Erforschung des Sachverhaltes unter Einsatz anderer Ermittlungsmethoden erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert gewesen wäre.“ 50 |
Der BGH hat im Jahre 2010 ein Verwertungsverbot für den Fall anerkannt, dass ein inhaftierter Beschuldigter verdeckt verhört wird. 51
Beispiel:
240Der verurteilte Angeklagte hatte sich in der Haft einem Mitgefangenen anvertraut, der sich ihm gegenüber fälschlich als Mitglied der Bandidos ausgegeben und sich erboten hatte, Leute zu besorgen, die die Frau des Angeklagten gegen Bezahlung töten würden. Nachdem der Mitgefangene eine Anzahlung kassiert hatte, wandte er sich an die Leitung der JVA und erklärte sich später gegenüber der Polizei als kooperationsbereit. Die dadurch erlangten Beweismittel reichten den Strafverfolgungsbehörden nicht, sodass sie einen Polizeibeamten unter der Legende eines Rockers an den Angeklagten heranführten. Dieser führte im Besucherraum der JVA ein Gespräch, in dem er auch fragte, ob es richtig sei, dass sie die Frau des Angeklagten „wegmachen“ sollten, was der Angeklagte mit einem Nicken bestätigte .
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