1 ...7 8 9 11 12 13 ...21 Doch an Terminen wie heute verfluchte er diese Liebe, gleichgültig, ob sie nun in erster Linie Lena oder dem See galt. Denn in Stuttgart hatte er ein enges Netzwerk aufgebaut. Dort hätte er längst einen Polizisten intern anzapfen können. Öffentliche Pressekonferenzen taugten für Insidernews wenig. Jetzt stand er hier in einem großen Pressepulk und doch irgendwie allein.
Er schlenderte an aufgebauten Mikrofonen vorbei bis zur Stirnseite des Saals. Dort stand eine kleine Gruppe deutscher Polizeibeamter zusammen. Wie zufällig gesellte er sich zu ihnen. Dabei hatte er seine Ohren aufgestellt wie ein Luchs auf der Jagd. »Alles Gold und Geld war bisher ordentlich in einer Schweizer Bank deponiert«, hörte er gerade noch einen Polizisten sagen, als dieser zu ihm aufschaute. Sofort unterbrach der Mann seine Ausführungen und schaute Leon auffordernd an: »Was wollen Sie, kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Guten Abend«, Leon Dold stellte sich ordentlich vor, erzählte, dass er freier Journalist sei und neu am Bodensee arbeite, dann fragte er wie nebenbei: »Warum nur haben die Burschen das Gold nicht in Zürich umgetauscht, wo doch dort ein deutlich höherer Kurswert notiert ist?«
»Die Pressekonferenz beginnt in zehn Minuten, so lange müssen Sie sich schon noch gedulden«, fertigte ihn der Polizist ab, ohne auf den Inhalt der Frage einzugehen.
Die Leitung der Konferenz unterstand dem Leiter des Zolls und dem Leiter der Polizei, jeweils zwei gewichtige Regierungsdirektoren. Doch viel Neues wussten auch sie nicht zu berichten. Dafür gab es ein dickes Lob für die schnelle Ergreifung der Täter.
Alle Fragen über etwaige Hintermänner, woher das Geld stammte, wohin es gebracht werden sollte, beschieden die Herren mit der Formel: ›Laufende Ermittlungen‹.
Leon hatte während der gesamten Konferenz die Polizisten im Hintergrund beobachtet. Er hatte genau registriert, wie sie alle auf einen Mann schielten, als der Einsatzleiter für die schnelle Ergreifung der Täter dankte. Der vermeintliche Polizist war auffallend gekleidet. Er sah wie ein Jägersmann, nicht wie ein Polizist aus. Auch sein ansehnlicher Bauchumfang lies eher vermuten, dass der Mann Rehrücken schmorte, als dass er Verbrecher jagte. Er wirkte nach außen sehr gelassen und abgebrüht, trotz der lobenden Worte seiner Vorgesetzten. Aus seinen Augen blitzte kein bisschen Stolz, eher Schalk, als der Einsatzleiter ihm ausdrücklich für die schnelle Ergreifung der Täter dankte. Die Lobesworte schienen diesem Mann eher peinlich zu sein. Ungeschickt steckte er die Hände seiner kurzen Arme in die weit ausgebeulten Taschen seiner alten, etwas vergammelten Kampfhose, die offensichtlich schon mehrere Schlachten erlebt hatte und wohl auch nie richtig gereinigt worden war.
Leon Dold ging nach dem Ende der Konferenz schnurstracks auf ihn zu. Neben diesem Beamten konnte auch er in seinem Outfit bestehen. Leon zählte in seinem Gewerbe nicht zu der Dressman-Fraktion. Da waren die Kollegen Moderatoren und Reporter im On immer besser gekleidet. Sie hatten in den Wintertagen immer einen schicken Trenchcoat oder gelackte Lederjacken für ihre Aufsager dabei. Die ganz Seriösen seiner Zunft banden sich sogar vor jedem Sätzchen vor der Kamera eine Krawatte um. Leon dagegen war zwar nur in Jeans erschienen und mit einem Pulli, doch neben dem Kommissar sah er nun doch außerordentlich gut gekleidet aus. »Gratuliere, Sie also haben die beiden Burschen gefasst.«
Horst Sibold lächelte. »Die Fragezeit ist, glaube ich, beendet«, wich er aus.
»Offiziell ja«, schmunzelte Leon, »aber ich habe auch keine Frage gehört, Ihr Chef hat Sie doch schon als den erfolgreichen Jagdführer vorgestellt, und Ihr Outfit lässt ja auch darauf schließen, dass Sie die Verfolgung der Täter selbst übernommen hatten.«
»Kommen Sie von C&A oder was wollen Sie von mir?«, reagierte Sibold kühl, »es ist doch alles gesagt.«
»Vielleicht für Sie, heute! Aber irgendwann werden auch Sie auf die Frage stoßen, die mir bisher noch niemand beantworten konnte.«
»Und die wäre?« Horst Sibold wurde nun doch zugänglicher, und Leon hatte das Gefühl, dass dieser untypische Beamte vielleicht sein richtiger Ansprechpartner sein könnte: »Warum schmuggelt jemand Gold aus der Schweiz nach Deutschland, wo der Kurs in der Schweiz deutlich höher notiert ist als hier?«
»Eine interessante Frage«, brummte der Kommissar plötzlich hellhörig und bat Leon: »Geben Sie mir Ihre Karte.«
Schnell griff Leon in seine Tasche, kramte ein selbst gebasteltes Visitenkärtchen hervor und setzte nach: »Verraten Sie mir Ihren Namen?«
»Der ist kein Staatsgeheimnis«, lachte Horst Sibold jetzt offensichtlich kollegialer gestimmt und gab Leon ebenfalls eine Visitenkarte, auf die er seine Handynummer notierte. »Die gebe ich nicht jedem, schließlich will man auch als Polizist manchmal seine Ruhe.«
Leon las die Visitenkarte und pfiff durch die Zähne. »Oho, Kriminalhauptkommissar. Ihre Dienstkleidung hätte Sie eher der reitenden Jägergruppe zugeordnet.«
»Tarnen und Täuschen ist unser Job«, lachte Horst Sibold jetzt doch noch zum Scherzen aufgelegt. Leon wurde aus dem schmuddelig wirkenden Kommissar nicht schlau. Doch eine Recherche in unbekannten Teichen war mühevolle Kleinarbeit. Leon war froh, einen ersten Fisch am Haken zu haben, wenn er auch noch nicht wusste, wie er diesen waidmännisch verkleideten Beamten einzuschätzen hatte.
Vielleicht konnte er über ihn doch noch etwas aus der Geschichte herausholen.
*
Leon trat vor das Hauptzollamt und sah, wie die Nachrichtenredakteure ihre Neuigkeiten von der Pressekonferenz hektisch absetzten. Fernsehkollegen schnitten in ihren Übertragungswagen Reporterbeiträge für die Spätnachrichten, andere versuchten weiter, Fachleute und Pressesprecher der Polizei vor ihre Mikrofone zu zerren.
Die Hörfunkkollegen saßen in ihren Reportagewagen und gaben den verschiedensten Nachrichtensendungen ihrer Anstalten Interviews.
Schneller ihre Arbeit erledigt hatten die Kollegen der Tageszeitungen. Sie hatten schon während der Pressekonferenz ihre Meldungen und Reportagen in ihre Laptops getippt und sie dann, per Knopfdruck via Handyleitungen, direkt in die Redaktionen verschickt.
Eine kleine Gruppe der schreibenden Zunft stand jetzt zusammen. Leon gesellte sich zu ihr. Er erhoffte sich einige Hintergrundinformationen, die die Lokalredakteure vor Ort meist besaßen.
Als er bei der Gruppe ankam, schauten ihn die Kollegen nur kurz an, dann redete ihr offensichtlicher Wortführer engagiert weiter: »Das lohnt sich alles nicht mehr. Ich bin jetzt dann den ganzen Tag unterwegs, von heute Morgen um 10 Uhr Pressekonferenz beim OB bis jetzt, spät am Abend. Denkste, ich bekomme deshalb einen höheren Tagessatz?«
»Sei froh, dass du noch mit einem festen Tagessatz rechnen kannst. Unser Verleger hat die Tagessätze gestrichen. Er bezahlt jetzt nur noch nach Zeilen und Artikel. Gleichzeitig hat er aber auch perfide festgelegt, dass kein Artikel länger als 50 Zeilen lang sein darf, da dem Leser mehr nicht zuzumuten ist.«
»Deshalb warst du heute mit deinem Text so schnell fertig«, frotzelte der Wortführer.
»Ja«, grämte sich der Kollege, »aber ich stehe jetzt auch noch hier, das ändert doch am Zeitaufwand gar nichts.«
Leon drehte ab. Er wollte sich den Abend nicht verderben lassen. Natürlich hatten sie alle recht. Der eine bekam zu wenig, der andere noch weniger, aber er konnte diesen Einsatz bisher gar nicht abrechnen, wer sollte ihm ein Honorar dafür anweisen? Er musste zuerst die Story verkaufen, wenn er überhaupt jemanden dafür interessieren konnte. Denn dafür musste er erst mal seinen eigenen journalistischen Zugang finden. Die Nachricht selbst verkauften die Platzhirsche, die ihm jetzt das Ohr volljammern wollten.
*
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