Selbstverständlich ist die Beherrschung der deutschen Sprache eine Voraussetzung für gutes Abschneiden in einer sprachabhängigen Begabungstestbatterie. Doch es gibt Tests bzw. Testteile, die – da sprach- und/oder kulturfrei – sehr wohl zur Diagnose kognitiver Begabungen geeignet sind. Ein erfahrener Diagnostiker wird, auf den Einzelfall zugeschnitten, die entsprechenden Bausteine zusammenstellen. Es bieten sich an: BIVA, K-ABC, CFT 20-R, CPM, APM, KFT. Der AID 2-2 liegt z.B. in türkischer Sprache vor und wurde an türkischen Migrantenkindern geeicht.
Übrigens: Der WISC stammt ursprünglich aus dem Amerikanischen, der AID wurde speziell für den deutschsprachigen Raum entwickelt. Beide Verfahren sind an über 2000 deutschsprachigen Kindern geeicht worden.
INTELLIGENZMESSUNG DURCH AID 3 BZW. WISC-V
Zwei der empfohlenen Testverfahren werden hier näher beschrieben. Eltern und Erziehern soll verdeutlicht werden, was genau ein Intelligenztest misst und welche Aussagen aufgrund der Ergebnisse möglich sind.
Pro: individuelles Gespräch mit Verhaltensbeobachtung
Beide Tests laufen als Gespräch (als „Frage- und Antwortspiel“, als „Quiz“) zwischen Kind und Psychologen ab und können nur als Einzeltest durchgeführt werden.
Ein Einzeltest, sprich: eine individuelle Diagnostik, ist einem Gruppentest immer vorzuziehen. Es ist belegt, dass bis zu 50 Prozent der Hochbegabten nicht erkannt werden, wenn ausschließlich Gruppentestverfahren zum Einsatz kommen.
Besonders mit jüngeren (Vorschul-)Kindern sollte immer ein Einzeltest durchgeführt werden.
Für die spätere Gesamtbetrachtung und Beratung der Eltern liefert auch das Verhalten des Kindes während der Testdurchführung wichtige Hinweise.
Zu beiden Testverfahren gibt es einen Beobachtungsbogen, in den der Testausführer seine Beobachtungen eintragen kann.
Beobachtungskriterien sind z.B.:
Wie schnell/wie zögerlich antwortet das Kind? Gibt das Kind für seine Antwort eine Begründung/eine Herleitung? Wie konzentriert/abgelenkt arbeitet das Kind mit? Flüchtigkeitsfehler? Ungenaues Zuhören? Wie reagiert das Kind bei Erfolg/Misserfolg?
Pro: wachsende Aufgabenschwierigkeit
Beide Testverfahren sind so genannte „Power Tests“, bei denen die Aufgabenschwierigkeit variiert wird. Durch sukzessive Erhöhung der Aufgabenschwierigkeit sind sie für die Diagnose Hochbegabung optimal.
Die Unterschiede zwischen hochbegabten und hoch intelligenten Kindern treten bei hoher Aufgabenschwierigkeit deutlicher hervor. Nur bei komplexen Fragen und Problemen erhält man komplexe Antworten.
Hochbegabte tendieren dazu, bei Unterforderung zu verweigern, zu leichte Testaufgaben sind für sie eine Art von Unterforderung. Hochbegabte Kinder steigern regelmäßig ihre Anstrengung mit steigender Schwierigkeit der Aufgaben. Für den Einsatz dieser beiden Tests zur Hochbegabtendiagnostik spricht, dass die Aufgaben weitgehend ohne Zeitlimit vorgegeben werden. Denn: Je höher der Geschwindigkeitsanteil, desto weniger ist ein Test für die Identifikation von intellektueller Hochbegabung geeignet.
„Speed Tests“ (Geschwindigkeitstests) dagegen, bei denen Aufgaben mit gleicher Schwierigkeitsstufe in einem vorgegebenen begrenzten Zeitintervall gelöst werden müssen, erfassen eher die Leistung, ermitteln also Hochleister.
Vorab wird dem Kind erklärt, dass es keinen Zeitdruck gibt und dass die Aufgaben immer schwerer werden, bis sie dann zu schwer und nicht mehr lösbar sind. Eine Formulierung wie „wenn du mit sieben Jahren dann die Aufgaben für Zehnjährige nicht mehr alle schaffst, das ist ja wohl in Ordnung“ nimmt Druck und Frustration aus der Testsituation. Schüchterne Kinder oder Kinder, die Angst haben etwas Falsches zu sagen, blockieren oder resignieren dann nicht.
Nur nebenbei: Eine Formulierung wie „wenn du nicht alles schaffst, ist das nicht schlimm“ ist ungünstig, denn das Wort „schlimm“ ist erst einmal gesagt.
Neben dem Durchschnittswert (IQ) erhält man ein übersichtliches Profil über die stark, schwach oder normal entwickelten Fähigkeiten des Kindes. Denn zwei Kinder können sich bei gleichem IQ in ihrem Begabungsprofil erheblich voneinander unterscheiden.
Pro: Vergleich Lebensalter - Intelligenzalter
Beide Verfahren ermöglichen für die Faktoren, die die intellektuelle Befähigung ausmachen, einen sehr anschaulichen Vergleich. Sie setzen das Lebensalter in Bezug zu dem Befähigungsalter und stellen dar, welchem durchschnittlichen Alter die Befähigungen des Kindes zum Testzeitpunkt in etwa entsprechen.
Der AID 3 misst 12+2 unterschiedliche Intelligenzbereiche. Die Untertests sind zum Teil sprachfrei, zum Teil setzen sie die Beherrschung der deutschen Sprache voraus.
Vergleich: IQ-Werte, T-Werte, Prozentränge
Im AID-Ergebnisbogen (s.u.) stehen am oberen und unteren Rand Zahlen von 19 bis 81. Das sind so genannten T-Werte. T-Werte sind eine andere Darstellungsform und lassen sich leicht in IQ-Werte übertragen.
Ein T-Wert von 50 – ebenso wie ein IQ-Wert von 100 oder ein Prozentrang von 50 – entspricht dem Durchschnitt der Altersgruppe des Kindes. Die jeweilige Altersgruppe deutschsprachiger Kinder stellt den Vergleichsmaßstab dar.
Der Prozentrang 10,9 sagt folgendes aus: 10,9 Prozent der gleichaltrigen Kinder erreichen niedrigere Werte, wogegen 89,1 Prozent in ihren Werten darüber liegen.
Ein IQ-Wert von 130 entspricht dem Prozentrang 97,7. Das heißt, dass nur 2,3 Prozent der gleichaltrigen Kinder höhere Werte haben. 97,7 Prozent der Kinder liegen mit ihrem Intelligenzquotienten darunter.
1. Alltagswissen
Hier werden Fragen zum Allgemeinwissen gestellt, beispielsweise „Wie viele Kilometer ist die Donau lang?“
→ Gibt an, über wie viel Allgemeinwissen das Kind bereits verfügt.
2. Realitätssicherheit
Dem Kind werden Abbildungen von Gegenständen gezeigt, bei denen jeweils etwas fehlt. Das Kind soll herausfinden, was fehlt.
→ Gibt an, inwieweit das Kind seine Umwelt korrekt wahrnimmt.
3. Angewandtes Rechnen
Dem Kind werden eingekleidete Rechenaufgaben, Textaufgaben, gegeben.
→ Gibt an, inwieweit das Kind seine rechnerischen Fertigkeiten auf konkrete Situationen übertragen und im Alltag anwenden kann. Dies ist ein wichtiger Untertest für die Differenzierung zwischen hoch intelligent und tatsächlicher Hochbegabung: Hochbegabte Kinder erzielen hier in der Regel sehr hohe Werte. Sie lösen Rechenaufgaben, die unbekannt sind und für die sie deshalb noch keine Lösungswege kennen können. Hier kommt ihre Fähigkeit zum Tragen, bei neuen Problemstellungen eigene Lösungsstrategien zu entwickeln.
4. Soziale und sachliche Folgerichtigkeit
Mehrere Bilder, die korrekt geordnet einen Handlungsablauf darstellen, werden dem Kind in einer falschen Reihenfolge vorgegeben. Das Kind soll die Bilder in die richtige Abfolge bringen.
→ Gibt an, inwieweit das Kind dazu in der Lage ist, einzelne Handlungen zu erkennen, richtig zu interpretieren und sie in einen Gesamtzusammenhang einzuordnen.
Dies ist ein wichtiger Untertest für die Differenzierung zwischen hoch intelligent und tatsächlicher Hochbegabung: Hochbegabte zeigen hier aufgrund ihrer hohen sozialen Sensibilität in der Regel höhere Werte. Auch unter qualitativen Gesichtspunkten ist das ein wichtiger Untertest: Nicht selten legen nämlich hochbegabte Kinder „falsche“ Reihenfolgen, falsch im Sinne der vorgegebenen Testlösung. Für die numerische Testauswertung muss also die Lösung als „falsch“ bewertet werden.
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