Inhaltsverzeichnis
Vorwort Vorwort Eine Bemerkung darf ich mir hier erlauben: Daß das alte Anfangsschwärmen des Übersetzers und dessen tiefe Liebe für die Deutsche Sprache wie seine zweite Muttersprache in den letzten Jahren der 1970er und den ersten Jahren der 1980er noch heute frisch und nach wie vor groß erhalten geblieben sind. Ich mag diese ehemalige Schreibweise, die ich bis jetzt immer noch sehr schön finde, und möchte gern von dem Deutsch meiner damaligen wissenschaftlichen Arbeiten über Thomas Mann Gebrauch machen, indem ich um das Verständnis der Leser dankbar bittend letztendlich „daß“ wie einmal statt „dass“ von heute schreiben werde. Herzliche Grüße! Jin Tao
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Vollständige e-Book Ausgabe 2021
© 2021 SPIELBERG VERLAG, Neumarkt
Herausgeber: Jin Tao
Umschlaggestaltung: Ria Raven, www.riaraven.de
Chinesische Titelkaligrafghie: © LIU Dehong
Alle Rechte vorbehalten Vervielfältigung, Speicherung oder Übertragung können ziviloder strafrechtlich verfolgt werden.
(e-Book) ISBN: 978-3-95452-112-8
www.spielberg-verlag.de
Autor
Dong Xi, alias Tian Dailin, lebt als Schriftsteller in der Provinz Guangxi, China, Professor an der Universität der Nationalitäten. Seit 1998 ist er Mitglied des Allchinesischen Schriftstellerverbandes in Peking. Seine Hauptwerke sind u.a. »Eine schallende Ohrfeige« »Das verfälschte Schicksal« »Unser Vater« »Frage mich nicht!« »Raten bis zum Ende« und insbesondere »Bereuen«. Seine Novelle »Ein Leben ohne Sprache« wurde bereits ins Deutsche übersetzt und in die Anthologie »Das leere Fenster« (herausgegeben von Jin Tao im Spielberg Verlag) aufgenommen. Sein Werk wurde mit dem Lu Xun-Literaturpreis, einer Art deutschem Büchner-Preis ausgezeichnet.
Übersetzer
Jin Tao ist Germanist, hat viele Jahre Thomas Mann studiert und u.a. den Roman „Das Parfum“ ins Chinesische übersetzt und die Anthologie „Das leere Fenster“ in Deutsch mit 12 Autoren chinesischer Gegenwartsliteratur bei Spielberg Verlag herausgegeben. Er studierte Germanistik an der Fremdsprachenuniversität in Peking und machte sich dort Bachelor- und Magistertitel. 1990 wurde er zu einem Promotionsstudium der Germanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München zugelassen und lebt seit 1988 in Deutschland.
»Meiner Mutter«
»Mein herzlicher Dank gilt Wolfgang und Hermann für ihre freundlichen Einsichtnahmen!«
Vorwort
Eine Bemerkung darf ich mir hier erlauben: Daß das alte Anfangsschwärmen des Übersetzers und dessen tiefe Liebe für die Deutsche Sprache wie seine zweite Muttersprache in den letzten Jahren der 1970er und den ersten Jahren der 1980er noch heute frisch und nach wie vor groß erhalten geblieben sind. Ich mag diese ehemalige Schreibweise, die ich bis jetzt immer noch sehr schön finde, und möchte gern von dem Deutsch meiner damaligen wissenschaftlichen Arbeiten über Thomas Mann Gebrauch machen, indem ich um das Verständnis der Leser dankbar bittend letztendlich „daß“ wie einmal statt „dass“ von heute schreiben werde.
Herzliche Grüße!
Jin Tao
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Askese
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Wenn du nichts dagegen hast, fange ich mit meiner Geschichte an.
Damals wuchs mir ein Kopf voll von Locken, meine Stimme war unlängst heiser geworden und mir war noch kein Bart gewachsen. „Ohne Bart am Mund ist man noch unzuverlässig.“ Mein Vater Lang-wind warnte mich diesbezüglich immer wieder. Damals war es anders als heute. Wir haben jetzt viel Spielerei gegen Langeweile wie z.B. Fernseher, Internet und so weiter. Das alles gab es damals gar nicht. Teehäuser wurden verboten, die Straßen waren verlassen. Nirgendwo war ein Café oder Tanzball zu sehen, geschweige denn so etwas Ähnliches wie Sauna oder Massage. Sogar Geschäfte waren selten. Neben Schulbesuch und Verurteilungsversammlung sangen wir nur im Chor. Im Unterricht wurde nicht über Sex gesprochen. Es war sogar selten die Rede von Geschlechtsorganen. Du kannst dir überhaupt nicht vorstellen, daß ich meine erste Lektion der Geschlechtsaufklärung von unseren zwei bunten Hunden bekam.
Das geschah an einem Sonntag. Die beiden Bunthunde wurden unglücklicherweise mit ihren Gesäßen zusammen verbunden. Sie standen im Sonnenschein vor einem Lager und streckten dabei ihre Zungen heraus. Vorsichtig guckten sie uns an. Mein Vater schleppte eine Bambusmatte aus dem Lagerhaus herbei und versperrte ihnen damit den Weg. Mit Hunderthaus Yu holte ich eine zweite Matte, mit der ich sie von hinten einkreiste. Die zwei Hunde wurden auf diese Weise eingezingelt. Der eine zog vorwärts, wobei der andere rückwärtsgehen musste. Sie drehten sich innerhalb der Matten im Kreis, indem sie ein leises Stöhnen hervorstießen. Hunderthaus rief aus vollem Hals begeistert: „Alle herschauen, fünf Cent für eine Eintrittskarte.“ Sofort lief jemand aus dem Lagerhaus heraus. Anfangs waren es die Eltern von Hunderthaus Wärmespender Yu und Zierapfel Fang, gefolgt von Aufrichtig Zhao und seine Frau Hellhübsch Chen. Sie traten an die Matten heran, rissen ihre unterschiedlich geformten Münder auf und ließen ihre weißgelblichen und schwarzen Zähne zum Vorschein kommen. Manchem floss vor Lachen Speichel aus dem Mund. Die Hunde wurden durch die sich vermehrende Menschenmenge schockiert und schauten uns bei ihren chaotischen Bewegungen erregt an. Der Rüde kreiste ein paar Runden entlang der Matten, während die Hündin rückwärts nicht Schritt halten konnte und versuchte sich mit allen Pfoten an den Boden zu klammern. Die Spuren ähnelten denen auf einem Leichtathletikplatz.
Vielleicht kannst du nicht wissen, daß es in der damaligen Zeit für uns, die eine schlechte Klassenherkunft hatten, schwieriger war, nach Spaß zu suchen als nach Geld. Deshalb lachten alle herzlich über das ganze Gesicht, als wollten sie alle an heutigem Tag ihre Ersparnisse mit Zinsen ausgeben. Ich muss dir nicht verheimlichen, daß derjenige, dem vor Lachen der Speichel floss, mein Vater war. Und derjenige, der gefühllos lächelte, war Onkel Yu. Tante Fang bedeckte mit der Hand ihren Mund. Onkel Zhao riss seine beiden Reihen schwarzer Zähne weit auf und Tante Chen tränten die Augen vor Lachen. Als sich alle gerade krummlachten, kam plötzlich Bergfluss Zhao aus dem Lager gestürzt und machte ein empörtes Gesicht: „Pa und Ma, ihr werdet ausgenutzt. Seht euch doch mal an, von wessen Familie werden die Matten kaputt gemacht?“
Onkel Zhao und Tante Chen hörten alsbald mit ihrem Lachen auf. Ihre Minen aber konnten sie nicht beherrschen. Das ließ Bergfluss Zhao ziemlich blamabel aussehen. Sie war die Tochter von Aufrichtig Zhao und arbeitete in einer Munitionsfabrik im Stadtvorort. Sie war von korpulentem Aufwuchs, dick und rund wie ein Lederball, besonders ihre Brust, für deren Spannweite sich im gesamten Kaufhaus keine passenden Blusen fanden. Mein Vater meinte aber nicht ohne Dreistigkeit: „Bergfluss, wir sind alle unsterblich bedrückt und deprimiert. Du tust so, als ob du selbst eine Bühne aufbauen und deine Nachbarn zur Theaterschau einladen willst.“
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