»Du hast recht, mein Liebling, ich bin sehr selbstsüchtig. Bitte, versteh mich richtig. Ich vermisse deinen Vater so sehr, daß ich das Gefühl habe, meine Welt ist tot, weil er nicht mehr bei mir ist.«
Ihrer Tochter zuliebe bemühte sich Mrs. Compton, ihre Trauer zu überspielen. Allein in ihrem Zimmer aber weinte sie sich jede Nacht in den Schlaf. Tagsüber versuchte sie, sich heiter zu geben und für Iloukas Belange zu interessieren.
Sie unternahmen gemeinsam lange Spaziergänge und diskutierten über die verschiedensten Themen. Doch ohne daß sie ein Wort darüber verloren, war Colonel Compton im Geiste ständig bei ihnen.
Nachdem sich der allererste große Schmerz gemildert hatte, hörte Mrs. Compton auf, sich Ausreden auszudenken, warum sie Sir James, der sich durch ihre abweisende Haltung nicht hatte entmutigen lassen, nicht empfangen wollte.
»Es wird dir guttun, dich mit ihm zu unterhalten«, meinte Ilouka. »Bring’ deine Frisur in Ordnung, geh’ hinunter und rede mit ihm.«
»Muß ich wirklich, Ilouka? Ich habe keine Lust, ihn zu sehen.«
»Er hat dir einen großen Korb mit Pfirsichen und Trauben aus seinen Gewächshäusern mitgebracht, Mama. Wenn du die Früchte nicht magst, Hannah und ich freuen uns über die Abwechslung von dem ewigen Grießpudding.«
Mrs. Compton folgte widerstrebend den Ratschlägen ihrer Tochter.
Ilouka konnte Muriel nun unmöglich erklären, daß ihre Mutter nicht den Wunsch gehabt hatte, ein anderer würde den Platz ihres geliebten Gatten einnehmen.
Inzwischen waren Lady Armstrong und Sir James sehr, sehr glücklich miteinander. Der einzige Störfaktor war Muriel. Ich würde den Teufel persönlich besuchen, wenn dadurch Muriel ihre Chance bekäme zu heiraten, dachte Ilouka.
Das Schlimme war nur, daß Muriel zuvor vermutlich eine lange Verlobungszeit einzuhalten hatte, wie es der Konvention entsprach.
Und das bedeutete, daß Ilouka in ihrem Versteck bleiben mußte, bis Muriel endgültig einen Trauring am Finger trug, und der Bräutigam es sich nicht mehr anders überlegen konnte.
Ilouka hatte von sich aus nie etwas dazu beigetragen, einen Mann auf sich aufmerksam zu machen, schon deshalb nicht, weil es gar keine Gelegenheit gegeben hatte.
Die Freunde ihres Vaters freilich hatten sie von jeher bewundert. Schon als Schulmädchen, als ihr die Haare noch locker um die Schultern flatterten, war ihr nicht entgangen, daß man ihrer Mutter ihretwegen Komplimente machte.
Natürlich war ihr aufgefallen, daß Männern jeden Alters bei ihrem Anblick ein gewisses Funkeln in die Augen trat. Die Frauen dagegen betrachteten sie voller Geringschätzung, als ob an ihrer äußeren Erscheinung etwas auszusetzen wäre.
»Ich sehe wohl ein bißchen zu theatralisch aus, Mama«, hatte sie sich beklagt.
»Unsinn! Du denkst an die lächerliche Bemerkung deines Vaters, daß du aufgrund deiner Tanzkünste zur Bühne gehen könntest. Rote Haar mögen in manchen Fällen theatralisch wirken. Du, mein Schatz, siehst wie eine vollendete Dame und Aristokratin aus«, hatte ihre Mutter sie beruhigt.
»Wie meine Urgroßmutter!«
»Genau. Wir haben nur eine Miniatur von ihr. Dein Großvater besaß ein lebensgroßes Portrait. Leider weiß ich nicht, was daraus geworden ist.«
»Davon habe ich nichts gewußt. Wo war das Bild?«
»Es hing im Hause deines Großvaters. Während dein Vater mit seinem Regiment im Ausland stationiert war, ist dein Großvater gestorben. Das Haus wurde verkauft, und er hat niemals erfahren, was mit dem Inventar geschehen ist.«
»Wie schade, ich hätte das Portrait gern gesehen.«
»Es dürfte unserer Miniatur ähneln. Genauso gut hättest du dem Künstler Modell sitzen können.«
Die Miniatur war schon ziemlich verblaßt. Eine gewisse Ähnlichkeit ließ sich tatsächlich nicht leugnen. Ilouka hätte viel darum gegeben, ein Bild anschauen zu können, das ihr ihre Urgroßmutter lebhafter vor Augen führte, als ihre Phantasie es vermochte.
Mit ihren achtzehn Jahren war Ilouka zu einer Schönheit erblüht, die nach Lady Armstrongs Meinung die vornehme Gesellschaft im Sturm erobern würde.
Sie hatte oft gehört, daß die Herren von St. James einer schönen Frau nicht widerstehen konnten. Obwohl es sich um ihre Tochter handelte, hielt sie es für unmöglich, daß es irgendwo ein weibliches Wesen gäbe, das so bezaubernd und ungewöhnlich war wie Ilouka.
Sogar ihrer einfachen Reisekleidung verlieh sie Stil und eine Eleganz, die man nicht kaufen konnte. Lady Armstrong gefiel es gar nicht, sie in die Verbannung nach Bedfordshire zu schicken.
Sie küßte ihre Tochter noch einmal zum Abschied.
»Ich lasse dich sofort wissen, wann du wieder nach Hause kommen kannst«, sagte sie. »Gib gut auf dich acht, mein Liebling.«
»Das verspreche ich dir, Mama.«
Mit einem letzten Lächeln ging Ilouka die Treppe hinunter zu dem wartenden Wagen.
Lady Armstrongs Blick wanderte von dem Kutscher, der einen hohen Hut mit Kokarde trug, zu den Pferden mit dem Silbergeschirr. Sie wünschte, ihr Gatte wäre so großzügig gewesen, ihrer Tochter den Wagen für die ganze Reise zu Verfügung zu stellen.
Andererseits hatten sie beide ihm sehr viel zu verdanken. Es wäre unklug gewesen, ihm seine kleinen Eigenheiten zu verübeln. Er besaß ohnehin nur wenige davon.
Im Geiste hörte sie ihren ersten Gatten sagen: »Jeder Mann hat etwas von einem Geizhals und einem Verschwender in sich. Was mich betrifft, so ist das Gleichgewicht nicht gewahrt. Ich neige mehr zum Verschwender.«
»Liebling, von deinem Geiz habe ich nie etwas bemerkt«, erwiderte sie.
»Nur wenn es um die Zeit geht, die ich bei dir verbringen darf, dann geize ich mit jeder Minute, ja sogar mit jeder Sekunde.«
Sie fielen sich in die Arme und vergaßen, worüber sie gesprochen hatten.
Als sich der Wagen in Bewegung setzte, der ihr Ilouka entführte, winkte ihm Lady Armstrong nach, bis er aus ihrer Sicht verschwand.
Lieber Gott, laß Ilouka die Liebe finden, die ihren Vater und mich verband, flehte sie insgeheim zum Himmel.
Das Gebet kam aus der Tiefe ihres Herzens. Ihre Tochter sollte die echte und wahre Liebe finden, die alles andere auf der Welt in Bedeutungslosigkeit versinken ließ.
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