Eine gewisse Ähnlichkeit hatte Ilouka allerdings auch mit ihrer Mutter. Es war vor allem ihr Vater gewesen, der ihr von ihrer Urgroßmutter, nach der sie getauft war, erzählt hatte.
Die junge Frau, deren Schönheit in ganz Ungarn gerühmt wurde, war mit einem unbedeutenden jungen britischen Diplomaten namens Compton durchgebrannt, ohne sich um ihre bereits arrangierte Heirat mit einem reichen Aristokraten zu kümmern.
Als Kind hatte Ilouka diese Geschichte immer wieder aufs Neue hören wollen.
»Dein Name bedeutet ’die Lebenspendende’«, hatte ihr Vater erklärt. »Ich habe meine Großmutter leider nur gekannt, als sie schon sehr alt war. Doch selbst dann erweckte sie immer noch den Eindruck, ihre Umgebung mit Leben zu erfüllen. Nicht etwa, daß sie etwas Besonderes getan oder gesagt hätte. Es lag einfach daran, daß sie die Menschen inspirierte und ihnen durch ihr bloßes Dasein Lebensfreude und Lebenslust vermittelte.«
»Wie hat sie das erreicht, Papa?« fragte Ilouka.
Ihr Vater lachte.
»Wenn du erst erwachsen bist, mußt du Bücher über Ungarn lesen und das Land besuchen. Dann wirst du verstehen, was ich meine.«
Mrs. Compton sah ihre Tochter von Tag zu Tag schöner und attraktiver werden. Ilouka besaß eine Anziehungskraft, über die englische Mädchen normalerweise nicht verfügten. Leider war kaum anzunehmen, daß die biederen und nüchternen Landedelleute diese seltene Gabe nicht zu schätzen wussten.
»Wir müssen dafür sorgen, daß sie dem König und der Königin vorgestellt wird«, wandte sie sich an ihren Mann.
»Ich bin ganz deiner Meinung«, stimmte er zu, »wenn auch nur der Himmel weiß, woher ich die Mittel dazu nehmen soll.«
Für Sir James bedeutete Geld kein Problem. Dummerweise gab es da Muriel, die die ehrgeizigen Pläne ihrer Stiefmutter zu vereiteln suchte.
»Man kann Muriel ihr Verhalten nicht übelnehmen«, stellte Lady Armstrong seufzend fest. »Es stimmt ja, daß du jedem jungen Mann, der das Haus betritt, den Kopf verdrehst.«
»Das geschieht ganz gegen meine Absicht«, beteuerte Ilouka. »Die meisten jungen Männer sind langweilig und phantasielos. Eher würde ich zum Mond fliegen, als einen von ihnen zu heiraten.«
»Das weiß ich ja, Liebling. Wie die Dinge im Augenblick stehen, wirst du nie die richtige Art von Männern kennenlernen. Jedenfalls nicht, wenn ich dir keine Saison in London ermöglichen kann. Ohne Muriel geht das aber nicht.«
Ilouka stieß einen kleinen Schreckensschrei aus.
»Das könnte ich nicht ertragen, Mama. Sie ist ständig eifersüchtig und neidisch. Es ist nicht nur ihr Haß, unter dem ich zu leiden habe. Ich fühle mich nervös und unbehaglich in ihrer Gegenwart.«
Sie ließ ein kleines Lachen hören, das jedem Humor trotzte.
»Das geht so weit, daß ich mich davor fürchte, mit einem Mann auch nur zu reden, wenn sie dabei ist.«
Ihrer Mutter gegenüber mußte sie nicht hinzufügen, wie sehr es jeden Mann dazu drängte, sich mit ihr zu unterhalten.
Es war nicht allein die Schönheit, die Ilouka so anziehend machte. Es war eine ätherische, beinahe übernatürliche Ausstrahlung, die sie so unwiderstehlich erscheinen ließ.
»Sie ist wie eine Elfe aus dem Märchenland«, hatte Mrs. Compton einmal zu ihrem ersten Mann geäußert.
Colonel Compton war die Antwort leichtgefallen.
»Da wir einander so sehr lieben und so unendlich glücklich sind, ist es kein Wunder, daß aus unserer Verbindung ein ungewöhnliches Geschöpf entstanden ist, daß aus einem Märchen stammen könnte.«
Der Colonel war ein äußerst gutaussehender Mann. Er und seine Frau zogen alle Blicke auf sich, wenn sie gemeinsam in der Öffentlichkeit auf traten.
Aufgrund ihrer beschränkten Mittel waren sie allerdings weitgehend auf ihr kleines Landhaus in Oxfordshire angewiesen. Nur gelegentlich konnten sie es sich leisten, kurze Besuche in London zu machen.
Mrs. Compton wünschte sich mehr für ihre Tochter. Als Lady Armstrong hätte sie ihr jetzt ein besseres Leben bieten können, wenn Muriel nicht gewesen wäre.
»Wenn ich schon wegfahren muß, warum dann ausgerechnet zu Mrs. Adolphus Armstrong?« fragte Ilouka.
In einer hilflosen Geste hob ihre Mutter die Hände.
»Sie ist das einzige Familienmitglied deines Stiefvaters, das ihm bereitwillig jeden Wunsch erfüllt. Außerdem denke ich mir, er schämt sich gewiß, dich wegzuschicken, auch wenn er das nie zugeben würde. Er möchte dich daher an einem Ort wissen, wo kein Gerede entsteht, das Muriel schaden könnte.«
Ilouka äußerte nichts.
Nach einer Pause fuhr ihre Mutter fort.
»Im Grunde mag dich dein Stiefvater sehr gern, mein Liebes. Sein erster Gedanke gilt aber natürlich seinem eigenen Kind, und Muriel war von Anfang an dagegen, daß er noch einmal heiratete.«
»Ich begreife nicht, daß sie so selbstsüchtig sein kann, Mama. Du machst ihren Vater sehr glücklich. Er liebt dich von ganzem Herzen.«
»Das weiß ich ja, Liebling«, versicherte Lady Armstrong.
»Andererseits besitzt er viel Familiensinn, den er nicht einfach über Bord werfen kann. Er will das tun, was seiner Meinung nach für Muriel das Beste ist.«
Ilouka preßte die Lippen zusammen. Sie wollte nichts äußern, was ihre Mutter verletzen könnte.
Muriel hatte ihren Vater wütend beschimpft, als sie von seiner zweiten Ehe erfahren hatte. Zu allem Unglück hatte sie ihm eine Anzahl höchst unfreundlicher Briefe geschrieben, die Sir James törichterweise nach der Hochzeit seiner Frau gezeigt hatte. Nicht, um sie zu beunruhigen, sondern um sie auf die Probleme vorzubereiten, die sie nach der Rückkehr aus den Flitterwochen erwarteten.
Lady Armstrong hatte sich alle erdenkliche Mühe gegeben, Muriels Zuneigung zu gewinnen. Das wäre ihr vielleicht sogar gelungen, wenn das Mädchen beim ersten Zusammentreffen mit Ilouka nur Neid und Eifersucht an den Tag gelegt hätte.
Sie hatte nicht nur ganz gezielt eine Kampagne gegen Ilouka begonnen, sondern auch versucht, einen Keil zwischen ihren Vater und seine neue Frau zu treiben.
Doch damit hatte sie keinen Erfolg gehabt, wenn man davon absah, daß sie Lady Armstrong viele unglückliche Stunden bereitet hatte.
Ilouka vergällte sie das Leben mit tausend kleinen Beleidigungen und Nadelstichen. Mit jedem Tag, den sie im gleichen Hause verbrachten, wurde es schlimmer und kränkender.
»Es ist sicher für alle Beteiligten gut, wenn ich eine Weile wegfahre, Mama«, sagte Ilouka. »Aber bitte, bitte verlange nicht von mir, daß ich zu lange wegbleibe.«
»Liebling, du weißt doch, daß ich dich im Mai bei Hof vorstellen will«, erwiderte Lady Armstrong. »Dein Stiefvater wünscht, daß ich gleichzeitig auch Muriel in die Gesellschaft einführe. Leider habe ich jedoch das Gefühl, daß dies unmöglich sein wird.«
»Es macht mir nichts aus, auf eine Saison in London zu verzichten«, versicherte Ilouka. »Ich verzichte nur nicht gern auf deine Gesellschaft, schon gar nicht, wenn ich statt dessen mit Mrs. Adolphus vorliebnehmen muß.«
Lady Armstrong seufzte.
Die Schwester ihres Mannes hatte sie von Anfang an mit ihrem Haß verfolgt. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt gehabt, ihren Bruder in zweiter Ehe mit einer Frau zu verheiraten, die jung genug war, um ihm einen Sohn zu gebären.
Agatha Adolphus Armstrong war eine ältere herrschsüchtige Frau, von der ihre Feinde behaupteten, sie habe ihren Mann ins Grab getrieben. Nach seinem Tode hatte sie ihren Ehrgeiz auf ihren einzigen Bruder übertragen.
Ihr häßliches, trübsinniges Haus lag inmitten einer eintönigen, flachen Landschaft, die irgendwie die tödliche Langeweile widerspiegelte, die in ihrem Haushalt herrschte.
Die alten und schrulligen Diener verabscheuten Besucher, weil diese Extraarbeit mit sich brachten.
Auch die Mahlzeiten waren einfallslos zubereitet und schmeckten fad, ja sogar die Pferde, auf denen Ilouka reiten durfte, hätten nicht langsamer und bedächtiger sein können.
Читать дальше