adakia Verlag UG(haftungsbeschränkt)
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Gesamtherstellung: adakia Verlag, Leipzig
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, 2020
Coverfoto: Collage des Autors
1. Auflage, Oktober 2020
ISBN 978-3-941935-71-6
ISBN 978-3-941935-80-8 (EPUB)
ISBN 978-3-941935-81-5 (MOBI)
Der Familie Klammer gewidmet.
Frieden.
Zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte anfordern.
Grundgesetz der Bundesrepublik, Artikel 35
Was immer die Folgen eines Krieges sein mögen, in dem jeder des anderen Feind ist, die gleichen Folgen werden auftreten, wenn Menschen in keiner anderen Sicherheit leben als der, die ihr eigener Körper und Verstand ihnen verschafft.
In einem solchen Zustand gibt es keinen Fleiß, denn seine Früchte werden ungewiss sein, keine Bebauung des Bodens, keine Schifffahrt, keinerlei Einfuhr von überseeischen Gütern, kein behagliches Heim, keine Fahrzeuge zur Beförderung von schweren Gütern, keine geographischen Kenntnisse, keine Zeitrechnung, keine Künste, keine Literatur, keine Gesellschaft.
Stattdessen: Ständige Furcht und die drohende Gefahr eines gewaltsamen Todes. Das Leben der Menschen: einsam, arm, kümmerlich, roh und kurz.
Thomas Hobbes: Leviathan
Carrington-Ereignis
Am 1. September des Jahres 1859 gegen elf Uhr vormittags befasst sich der britische Amateur-Astronom Richard Carrington in seinem privaten Observatorium gerade mit dem Abzeichnen von Sonnenflecken, als plötzlich zwei gleißende Lichtpunkte auf dem Papier erscheinen. Sie nehmen schnell an Größe und Helligkeit zu und verschmelzen schließlich zu einem einzigen Objekt. Sofort verlässt er den Platz, um seine Entdeckung einem befreundeten Wissenschaftler zu zeigen. Als beide eine Minute später zurückkehren, ist die Erscheinung jedoch bereits wieder verschwunden.
Genau achtzehn Stunden später strahlt der gesamte Nachthimmel der nördlichen Erdhalbkugel von grünen und lilafarbenen Polarlichtern. So hell sind sie, dass Menschen und Gebäude Schatten werfen. In den Rocky Mountains halten zeltende Männer das Licht für den Sonnenaufgang und bereiten sich Stunden zu früh ihr Frühstück zu. Über die Telegrafenleitungen wandern knisternde Sankt-Elms-Feuer. Obwohl die Angestellten sofort den Strom abschalten, bleiben die Leitungen weiter unter Spannung. Aus den Geräten sprühen Funken, die schmerzhafte elektrische Schläge austeilen und stark genug sind, das Papier der Telegrafen in Brand zu setzen.
Die rätselhaften Phänomene dauern eine ganze Woche an, bis sie allmählich schwächer werden. Die letzten Polarlichter werden am 6. September gesichtet.
Da Mitte des 19. Jahrhunderts die Welt noch vergleichsweise wenig technisiert ist, halten sich die Folgen des Ereignisses in Grenzen. Das nach seinem Entdecker benannte Carrington-Event wird zu einer kuriosen Fußnote in den Geschichtsbüchern.
Seitdem werden auf der Erde zahlreiche weitere solare Ausbrüche registriert. 1967 blendet ein Sonnensturm das Raketen-Frühwarnsystem der NATO und löst beinahe den 3. Weltkrieg aus. Während des Vietnamkrieges lässt ein Magnetsturm an der Küste von Hon La Seeminen explodieren, 1989 bricht in Teilen Kanadas die Stromversorgung zusammen und 2003 trifft eine Partikelwolke, dreizehnmal so groß wie die Erde, auf den Planeten, stört den Funkverkehr und führt im schwedischen Malmö zum Zusammenbruch des Stromnetzes.
Keines dieser Ereignisse erreicht jedoch die Stärke des Sturms von 1859.
Außer im Jahr 2012. Mitte Juli lösen sich nacheinander zwei riesige Plasmawolken von der Sonne und vereinigen sich zu einem Supersturm, dessen Magnetfeld um ein Drittel stärker ist als das des Carrington-Events. Er verfehlt die Erdbahn nur um wenige Tage.
Niemand kann sagen, welche Auswirkungen er auf eine ohnehin angespannte Gesellschaft gehabt hätte. Das US-Militär jedenfalls vergleicht sie in einer Studie mit denen eines militärischen Konflikts.
Warum ist dieser Rasende zu dir gekommen? Thomas Hobbes, Leviathan
Prolog
Warten auf die Dunkelheit
Der Himmel vor dem Fenster unseres Schlafzimmers war von einem makellosen Blau. Kein Wolkenschleier zeigte sich. Auf der Bettdecke lag die Sonntagszeitung. In Brasilien raste ein Airbus beim Landeanflug in eine Tankstelle und tötete zweihundert Menschen, in Süd- und Südosteuropa kamen bei einer Hitzewelle Hunderte ums Leben, in Italien wüteten Waldbrände und in England wurde wegen einer Jahrhundertflut der Notstand ausgerufen. Ferne Dramen, die ich zur Kenntnis nahm.
Penny und ich hatten gerade einen harmlosen Streit über die Folgen des Klimawandels und die Verantwortung der Politik beendet, als das Telefon klingelte. Penny ging ran. Ich angelte nach einer Brötchenhälfte und bestrich sie mit Butter.
Warum ich aufblickte, weiß ich nicht mehr. Hatte ich eine Bemerkung gemacht, ohne dass meine Frau darauf antwortete? War es die plötzliche Stille?
Pennys Hand krampfte sich um den Telefonhörer. Ihre Fingerknöchel traten weiß hervor.
»Maja …«
Ich verspürte ein schmerzhaftes Ziehen in der Brust, als sie den Namen unserer Tochter flüsterte; ein Gefühl der Besorgnis, das sich zu aufschießender Angst steigerte.
Es kostete mich eine übermenschliche Willensanstrengung, auf der Stadtautobahn das Geschwindigkeitslimit einzuhalten. Die Fahrt zur Spielhalle, wo Maja an den Wochenenden arbeitete, schien nicht enden zu wollen. Als wir endlich dort waren, stritt ich mich mit dem Polizisten an der Absperrung, um durchgelassen zu werden, während Penny nah an einem Nervenzusammenbruch war.
Hinter dem Absperrband stand ein Rettungswagen mit eingeschaltetem Blaulicht. Ein Notarztwagen parkte daneben. Die Heckklappe stand offen.
Ich erinnere mich noch genau an das Gefühl unendlicher Erleichterung, das mich in diesem Augenblick erfasste. Ein Krankenwagen! Ärzte! Dem Himmel sei Dank! Alles würde gut werden!
Die Straßen waren still. Die Morgensonne lachte. Vögel zwitscherten. Schmetterlinge umtanzten eine Baum-Insel auf dem Parkplatz. Dann öffnete sich die Tür und sie fuhren die Trage mit der verhüllten Gestalt heraus. Der Reißverschluss war zugezogen, und einen Augenblick konnte ich mich der Illusion hingeben, es wäre nicht unsere Tochter, die dort lag, nicht Maja, sondern jemand anderes, ein fremder Mensch, mit dem mich nichts verband.
Jemand trat an mich heran und redete auf mich ein.
Die Worte drangen nicht zu mir durch. Es fühlte sich an, als würde ich in einem Fahrstuhl stehen, dessen Halteseile gerissen sind und der nun in die Tiefe rast. Als Penny neben mir zu schreien anfing, verkrampfte sich in mir alles – die Fäuste, die Kiefermuskeln, die Eingeweide. Ein fürchterlicher Schmerz wühlte in meinem Brustkorb. Ich biss in meine Hand und presste die Kiefer aufeinander. Statt des Schreis drang nur ein unartikulierter Laut aus meiner Kehle: »Ggggghhhhh …«
Danach war nichts mehr wie vorher.
Penny machte von dem Angebot des Beamten Gebrauch und ging raus, bevor dieser mit den Einzelheiten des Berichtes rausrückte.
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