degenerama
von Jek Hyde
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2015
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.deabrufbar.
Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
www.engelsdorfer-verlag.de
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015
„C’est en faisant n’importe quoi qu’on
devient n’importe qui!“
Remi Gaillard
„I’m not a slave to a God that doesn’t exist.
I’m not a slave to a world that doesn’t give a shit.“
Marilyn Manson
„Schönheit liegt im Auge des Betrachters.“
Sprichwort
Cover
Titel degenerama von Jek Hyde Engelsdorfer Verlag Leipzig 2015
Impressum Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig Alle Rechte beim Autor Hergestellt in Leipzig, Germany (EU) www.engelsdorfer-verlag.de 1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015
Zitate „C’est en faisant n’importe quoi qu’on devient n’importe qui!“ Remi Gaillard „I’m not a slave to a God that doesn’t exist. I’m not a slave to a world that doesn’t give a shit.“ Marilyn Manson „Schönheit liegt im Auge des Betrachters.“ Sprichwort
Unser Gesicht …
Unser Spiegelbild …
Brust auf Eis …
Das geliebte Gegenteil …
Ihr Wohlwollen …
Mit wem man sich bettet …
Für die Nachwelt …
In Gesellschaft …
Alkohol …
Oni …
Das zweite Gesicht …
Künstler …
Das neue Schön …
Bloody morning …
Später …
Unsere Prinzipien …
Ein Versuch …
Kunstwerk …
Der Horror …
Neue Perspektiven …
Leerlauf …
Das letzte Abendmahl …
Konkurrenten …
Verderben und Verzweiflung …
… das Ende
Nachwort
„Unser Gesicht. Es ist das Erste, was wir morgens im Spiegel sehen, und auch abends begegnet es uns im Spiegel.“
Vor dem Chirurgen, einem dünnen, langen Mann in einem weißen Anzughemd, lagen auf einem mit Folie bespannten Tisch ausgebreitet Skalpelle, Schere, Spatel, Klemmen. All die Werkzeuge, die einem Chirurgen gleich einem Künstler beim Formen des Gesichtes dienen.
Vor Spades Augen flammten Licht und das aufgequollene und verschobene Gesicht von John Merrik auf, gleich einem Bovist, eingezwängt in einen Anzug. Die Stimme des anderen Chirurgen vermischte sich mit den Erinnerungen.
„Das ist John Merrik. Er gilt als der deformierteste und von diesem Leiden gebeuteltste Mensch schlechthin. Nur ein einziger Fehler im Chromosomensatz, nur ein einziger falscher Buchstabe in der genetischen Kette, kann die schlimmsten Verunstaltungen und ärgsten Beeinträchtigungen zur Folge haben. Merrik zum Beispiel konnte sich nur schwer bewegen und um nicht zu ersticken, musste er in der Hocke schlafen. All diese Krankheiten, genauso das Down-Syndrom, gehören der Vergangenheit an. All diese Krankheiten, die Körper und Geist unserer Ungeborenen gefährden, können wir durch die neusten Methoden erkennen und ihnen vorbeugen.“
Fast wie ein Diktator erschien er vor Spade, der noch dieses Ziehen entlang der Ohren spürte. Es war das gleiche Gefühl, das er hatte, als der Chirurg, der einzig einen dünnen Mundschutz und Einweghandschuhe trug, Spades Kopf zur Seite gedreht und einen langen dünnen Schnitt vom Kiefer bis zu den Schläfen, knapp am Ohr vorbei, gezogen hatte. Obwohl Spades Gehirn unter dem LSD-Rausch des Schmerzmittels bereits durch ferne Sphären glitt, konnte er doch sehen, ähnlich einem Wachkomapatienten, der seiner Schlafstarre nicht entkommen kann. Mit einem dünnen, langen Spatel löste der Chirurg die Haut und zog sie mit einer Klemme zurück.
Spade konnte auf diesem schwarzen Lederstuhl, ähnlich einem Zahnarztsessel, zur gefliesten Wand sehen. Alles wirkte so einfach und billig. Die große weiße Leuchte erhellte Spades Fleisch, an das nun bei hochgeklappter Haut zum ersten Mal ein Lichtstrahl drang. Und während der Chirurg mit seinen ruhigen, intelligenten Augen sah, was zu tun war, sah Spade mit den seinen den grauhaarigen Mann mit ebenso grauem gepflegtem Bart am Rednerpult sprechen.
„Nicht nur, dass es jeder Mutter freisteht, zu erfahren, was für ein Kind sie gebären wird, ob gesund oder nicht, wir können auch kranke Gene entfernen und durch gesunde ersetzen. Wenn eine Mutter bereits einen Jungen hat und sich nun ein Mädchen wünscht, so kann sie eines bekommen, ohne die Gefahr eines weiteren Jungen. Wir können Gesichtszüge bereits im Mutterleib mit Zellen modellieren. Es wird an den Schulen keine Ausgrenzungen mehr geben, etwa wegen kleiner Makel wie Hasenscharten oder schiefer Nasen. Selbst die Augenfarbe stellt kein Problem mehr dar. Sogar ein Talent können wir unseren Kindern mit auf den Weg geben. Soll Ihr Junge ein berühmter Künstler werden oder Ihr Mädchen eine talentierte Sängerin? Kein Problem. Es ist alles möglich.“
Der Chirurg warf einen langen Streifen Haut wie Speck in eine Metallschale und zog Spades Gesichtshaut mit silbernen Zangen zurecht, bevor er mit dem Nähen begann.
In Spades Ohr drang nur das Geräusch, das vom Fernseher kam: „Sie können eine erfolgreiche Karriere haben und wenn Sie sich dann dafür bereit sehen, können sie mit vierzig noch problemlos Mutter werden. Wozu wir in so einer Welt der Selbstbestimmung noch einen Schönheitschirurgen wie mich brauchen? Nun, leider gibt es noch immer schlimme Unfälle. Brände, Autounfälle, hässliche Begegnungen mit fehlgeleiteten Kampfhunden. Ich habe genug dieser Gesichter gesehen. Ich habe genug Gesichter gesehen, die von Tierzähnen zerfetzt oder von Bränden verzehrt wurden. Um diese Menschen wieder in ein soziales Umfeld eingliedern zu können, gibt es Leute wie mich. Ich bin dazu da, Ihnen das wiederzugeben, was Ihnen nach so einem schweren Unfall fehlt. Ein Gesicht.“
Langsam und bedacht zog der Chirurg das Skalpell an dem anderen Ohr vorbei und hinterließ einen dünnen Schnitt, aus dem langsam Blut quoll.
„Unser Gesicht sind wir. Es ist das, was die anderen Menschen von uns sehen und was sie in Erinnerung behalten. Es schaut uns von unserem Ausweis an, aus unserem Computer, wenn wir auf unserem Profil im Netz etwas schreiben, oder von unseren Handys. Nur jenes kann lächeln oder weinen. All die Gesichtszüge und Ausdrücke. Zwischen uns und der Welt um uns herum steht nur eins. Unser Gesicht“, endete er. Die Menge applaudierte angemessen.
„Vielen Dank, das war Doktor Erik Hand“, stellte eine hübsche Sprecherin vor, als umgeblendet wurde.
Aus noch träumenden Augen zwischen den Binden sah Spades langsam erwachender Geist zu dem kleinen Fernseher auf dem niedrigen, alten Holzschrank. „Sie sollten es kühlen“, sagte die ebenso ruhige Stimme des Chirurgen.
Langsam wandte Spade seinen tonnenschweren bandagierten Kopf und sah hinüber, wo im grün-weißen Licht einer Lampe, die mit einem Gitter umwunden war, Doktor David S. Steinmann saß, die Beine überschlagen, mit einem Weinglas in der Hand, die Hemdsärmel aufgeknöpft und das dunkle Haar an der Seite gescheitelt. Mit seinen intelligenten, ruhigen Augen sah er über die schmalen, rechteckigen Gläser seiner Brille hinweg, die schmalen Lippen zusammengepresst.
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