Robert Stephan Bolli, 1959 in Schaffhausen (Ostschweiz) geboren und aufgewachsen.
Schulen und Ausbildung zum Landschaftsgärtner in Schaffhausen. 1991 Wechsel zu den Schweizerischen Bundesbahnen in den Bereichen Fahrbahn und Sicherheitsdienst.
Seit 2000 ist der Autor bei der Eidgenössischen Zollverwaltung in den Bereichen Handelswarenverkehr und Schwerverkehrsabgabe (LSVA) tätig.
Der Autor lebt mit seiner Familie in Schaffhausen.
Robert S. Bolli
GEFANGEN IM
GEZEITENSTROM
Roman
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2016
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.deabrufbar.
Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
www.engelsdorfer-verlag.de
Cover
Titel Robert S. Bolli GEFANGEN IM GEZEITENSTROM Roman Engelsdorfer Verlag Leipzig 2016
Impressum Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig Alle Rechte beim Autor Hergestellt in Leipzig, Germany (EU) www.engelsdorfer-verlag.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Nachwort
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Ein bitterkalter Wind fegt durch die nackten Baumgerippe des Waldfriedhofs und treibt ein paar wenige einsame Schneeflocken vor sich her. Die grauen Steine wirken noch düsterer, die kahlen Gräber noch trostloser als während der Vegetationszeit. Da gibt es keine weiße und schützende Schneedecke. Eher ein fadenscheiniges Leichentuch bedeckt die sonst schmucklosen Grabreihen und der braune Boden wirkt wie im Permafrost erstarrt.
Ein bescheidener Trauerzug bewegt sich langsam durch den Wald, begleitet vom tristen Klang der Glocke über der Friedhofskapelle. Beinahe verliert das Geläut den Kampf gegen das Heulen des Windes. Der Pfarrer, der dem Zug vorausgeht, steuert zielstrebig ein frisch ausgehobenes Grab an, dessen seitlich deponierte dunkelbraune Erdhügel im sonst geometrisch genau ausgerichteten Gräberfeld wie Fremdkörper scheinen. Der Geistliche begibt sich an das Fußende der Grube und lässt die Trauergesellschaft herantreten. Die Grube ist mit Holzbohlen abgesichert. Darüber befindet sich ein Metallgestell mit einem schlichten Sarg aus lackiertem Kiefernholz darauf. Einen zu Sarkasmus neigenden Betrachter hätte dessen Erscheinung wohl an ein Möbelstück jenes schwedischen Einrichtungshauses für nordisches Wohnen erinnert. Ein einziger Kranz, vorwiegend aus Blautannenreisig gebunden, und ein paar einfache Blumengestecke lassen erahnen, dass hier keine Prominenz beigesetzt wird. Noch erinnert kein Grabstein, kein Holzkreuz an den Verstorbenen.
Der Pfarrer wartet, bis sich alle Trauernden im Halbkreis um das Grab geschart haben. Mit versteinerten Mienen blicken die Anwesenden auf den hellbraunen, mit einem aus roten Rosen bestehenden Arrangement geschmückten Sarg oder lassen, vielleicht als Folge ihrer Betroffenheit, ihre Köpfe hängen und starren auf die Spitzen ihrer Schuhe, mit denen sie gelegentlich im Rundkies des Gehwegs herumscharren. Die Trauergemeinde besteht ausschließlich aus Personen mit älterem Jahrgang. Alle tragen Schwarz. Die Herren vergraben ihre Hände tief in ihren Manteltaschen, diejenigen der Damen stecken in edlen Lederhandschuhen. Der Pfarrer beginnt mit einem Gebet. Anschließend drückt er einen am Metallgestänge angebrachten Knopf, der den Mechanismus zum Absenken des Sarges auslöst. Während dieser lautlos in der Grube verschwindet, spricht der Geistliche ein paar einfühlsame Worte des Trostes. Eine Frau, deren Gesicht hinter einem schwarzen Schleier verborgen ist, schluchzt auf. Ihr Begleiter legt seinen Arm um ihre Taille, zieht die Frau enger an sich heran, sodass sie ihren Kopf an seine Brust schmiegen kann. Der Pfarrer spricht einen Segen und die Anwesenden treten heran und streuen mit einer kleinen Handschaufel bereitliegendes Erdreich auf den makellosen Sargdeckel. Dazu singt der Wind, der durch die kahlen Äste weht, sein Klagelied.
Unweit, ganz im Hintergrund, kaum wahrnehmbar zwischen den Bäumen stehend, beobachte ich die Zeremonie. Ich stecke in meiner dicken, fellgefütterten Pilotenjacke aus braunem Büffelleder und mit den Füßen in einem Paar jener braunen, halbhohen Lederstiefel, wie sie oftmals von Bauarbeitern getragen werden. Die gelbe Banderole um den Stiefelschaft herum mit der schwarzen Aufschrift CATERPILLAR ist jedenfalls deutlich zu sehen. Die Klamotten habe ich mir mit meinem ersten Lehrlingsgehalt an der Baumaschinenmesse in Basel beziehungsweise im Armyshop erworben und ich war mächtig stolz darauf.
Ich friere erbärmlich, trotz der dicken Jacke, und ziehe den Pelzkragen etwas höher. Anschließend vergrabe ich die Hände wieder in den Armstulpen. Eine Kopfbedeckung trage ich nicht. Ich habe sie einfach vergessen oder vielmehr – zu Hause habe ich nicht mit solch kalten Böen gerechnet. Nun aber lässt die kräftige Bise meine dunklen Haare in wirren Strähnen herumflattern.
Als ich zusehen muss, wie die Kiste im Erdloch verschwindet, verkrampft sich augenblicklich mein Herz und meine in der Jacke verborgenen Hände ballen sich zu Fäusten. Ich lehne mich mit dem Rücken an den dicken Stamm einer Buche. Sonst wäre ich in meinem Schmerz vielleicht zusammengebrochen. Ich schließe die Augen und ziehe die kalte Luft tief in die Lunge. Wie Rasierklingen schneidet die Kälte in mein Fleisch. Mein warmer Atem bildet vor dem Mund dicke weiße Wolken, die vom Wind sogleich wieder fortgetragen werden, genauso wie die Hoffnungen zerstreut werden, dass alles wieder gut wird.
Vielleicht ist es auch die scharfe Bise, die meine gereizten Augen zum Tränen bringt. Aber wenn ich – im Nachhinein – ehrlich bin, so muss ich zugeben, dass sich in den Winkeln meiner geschlossenen Augen schwere, bittere Tränen der Trauer sammeln, die nun auf meinen Wangen silberne Rinnsale bilden. Ich wische sie mit den Händen weg, die ich wiederum an den Hosenbeinen trockne. Ich schlage die Augen auf und blicke zum Grab, das nun von der Trauerfamilie verlassen daliegt. Dann verlasse auch ich die Deckung hinter den Bäumen. Ich trete vorsichtig heran und werfe einen Blick auf die Kiste. Die roten Rosen sind nach wie vor unversehrt, aber schon bald werden die Gärtner kommen, das Gestell demontieren, die Grube mit dem lehmigen Erdreich füllen, das für diese Gegend typisch ist, und darüber mit feinerem, humosem Material einen kleinen Hügel formen. Danach ist für sie die Aufgabe vorerst einmal erledigt. Ein Menschenleben ist zu Ende. Die letzten Überreste beseitigt. Game over!
Mit zögernden Schritten verlasse ich die Grabstätte. Kies knirscht unter meinen Füßen, während ich darüber nachdenke, was es braucht, um einen Menschen
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