Besagte Sängerin, auf die ich ständig „rein zufällig“ traf, hatte natürlich längst gemerkt, dass ich total für sie schwärmte, und nutzte das gnadenlos aus. Sie war nahe daran, mir das Ohr blutig zu erzählen mit ihren Jesusgeschichten. Und dabei erzählte sie von ihm wie von einem Freund, mit dem sie tatsächlich in Kontakt steht. Das machte mich extrem neugierig, genau wie ihre Behauptung, Jesus habe sie schon mehrmals geheilt. Wenn das stimmt, dachte ich, und irgendwie sehen die hier alle so aus, als würde es tatsächlich stimmen, dann fehlt mir etwas total Wichtiges.
Ich bin dann auf mein Zimmer gegangen, habe mich vergewissert, dass niemand da war, und habe ganz zaghaft auf den Knien mein erstes Gebet irgendwo in die Mitte des Raumes hineingesprochen: „Also, Herr Jesus, ääh, also wenn es dich wirklich gibt ..., na ja ..., also, Herr Jesus, ich möchte auch gerne diese Freude, diese Lebendigkeit haben, die die ganzen Jugendlichen da draußen und die Nonnen haben. Herr Jesus, ich vertraue dir jetzt mein Leben an, ich möchte zu dir gehören.“ Zwar umleuchtete mich in diesem Augenblick kein Feuer, aber ein tiefer Friede breitete sich in mir aus, und ich wusste ganz tief in mir drinnen, dass ich von nun an „dazugehörte“, auch wenn ich ja noch gar nicht so recht wusste, wozu ich nun dazugehörte. Dieser Friede hat mich seit diesem Tag im März 1976 nie wieder losgelassen, nicht in der größten Zappelei während des „Toronto-Segens“ und auch nicht in der fürchterlichsten Depression in der Nervenklinik Hohe Mark.
Das Leben, auf das ich an Fasching im Kloster gestoßen bin, fließt jetzt auch in mir. Bis heute sitzen mein Freund Gott und ich regelmäßig zusammen und schauen uns Bilder von damals an. Dann reden wir über die „gute alte Zeit“ und träumen davon, dass alle Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit kommen und gerettet werden und sich nicht durch ihre berechtigten Vorurteile den Christen gegenüber vom Leben abhalten lassen. Aber da hat mein Freund Gott ja auch immer schon selbst mit Hand angelegt (Psalm 127,1) und sich nicht in die Gnadensuppe spucken lassen. „Mit Rumbarasseln und Nonnenfasching kommt ihr dabei meinem Wort jedenfalls schon sehr nahe“, sagt er dann immer und spielt darauf an, dass wir der Welt ein Schauspiel und Narren um Christi willen geworden sind (1. Korinther 4,9+10). Dann lachen wir uns kringelig, lassen das Leben weiterfließen und fahren fort, Fische ins Wasser zu werfen.
Erlebnistipps
1. Lass dich mal auf eine Art ein, deinen Glauben zu leben, die dir ganz fremd erscheint, und das vielleicht auch noch zu einer scheinbar unpassenden Zeit. Solche Erlebnisse wie in dem Kloster an Fasching kann man nämlich nur machen, wenn man „vor Ort“ ist.
2. Leb mal ein paar Tage das Leben von „Gottsuchern“ mit, und schau sie dir in allen möglichen und unmöglichen Lebenslagen genau an. Nur so kannst du prüfen, ob an so einer Sache auch für dich etwas dran sein könnte.
3. Trau dich auch mal, ein Gebet direkt aus deinem Herzen in die leere Luft zu sprechen, und achte darauf, was danach in dir oder um dich herum passiert.
Kapitel 2
Mutige Gebete mit leichtem Anschubs
Als mein Freund Gott und ich anfingen, miteinander zu kommunizieren, da dachte er sich die wildesten Dinge aus, nur um den Klang meiner Stimme zu hören. Manchmal gab er mir sogar einen ermutigenden Schubs. Und das kam so.
Ein paar Stunden nach meinem ersten Jesusanvertrauungsgebet in der Benediktinerinnenabtei bin ich dann mit meinem vormals besten Freund und einer jungen engagierten Christin, die heute eine bekannte Biologieprofessorin ist, spazieren gegangen. Ich fühlte mich verliebt, und gewisse Tiere in meinem Verdauungstrakt neigten dazu, aus mir ein flatterhaftes Wesen zu machen. Noch hatte ich niemandem davon erzählt, dass ich jetzt mit meinem Freund Gott „ging“.
Äußerlich sah ich zwar noch so aus wie vor ein paar Stunden, aber innerlich hatte sich eine neue Welt aufgetan, und ich wusste noch nicht, wie meine Umwelt auf mein neues Verhältnis reagieren würde und wie ich mich öffentlich in dieser Partnerschaft bewegen sollte. Als wir auf einem Hochsitz rasteten, schlug die junge Frau vor, gemeinsam zu beten. Mein „alter“ Freund sagte, er würde zwar nicht mitmachen, weil er nicht glaube, aber er hätte ansonsten nichts dagegen. Ich selber blieb einfach erst mal wohlwollend still und harrte der Dinge, die da kommen sollten.
Die Professorin in spe begann auch gleich wild draufloszubeten, und ich dachte: „Cool, das lässt sich gut an, die betet für uns alle drei.“ Doch genau in diesem Augenblick hörte sie plötzlich auf zu beten, hatte aber auch noch kein Amen gesagt, und irgendwie hatte ich das schon mitbekommen, dass ein Gebet mit einem Amen zu enden hat. Es war also noch etwas offen. Und so war es auch. Mein „neuer“ Freund Gott wollte meine Stimme hören. „Und du?“, richtete die junge Frau derweil auf dem Hochsitz das Wort an mich, „hast du dem Herrn nichts zu sagen?“ „Äh, doch, doch, na klar hab ich dem Herrn auch was zu sagen, ja also Herr ... “
Ich weiß nicht mehr, was ich da mit hochrotem Kopf gebetet habe, aber ich weiß, dass ich mir hinterher meiner Beziehung zu meinem Freund Gott und meiner selbst in dieser Beziehung viel sicherer war, nachdem ich auf diesem Hochsitz zu meinem ersten Gebet sozusagen fast gezwungen worden war. Damit war ich allerdings immer noch besser dran als ein anderer Freund von mir, den man kurz nach seinem ersten Jesusanvertrauungsgebet herausforderte, auf einem vollen Fußballplatz lauthals in die Menge zu rufen: „Jesus Christus ist mein Herr!“ „Das habe ich sehr gerne gehört. Es hat mir viel bedeutet“, sagte mein Freund Gott mit einem versonnenen Lächeln auf den Lippen. „Und es war auch ganz schön mutig. Dafür war er aber auch all die Jahre danach seines Glaubens sehr gewiss.“
Die Veröffentlichung einer Beziehung ist wichtig für ihren Fortbestand. Man muss lernen, sich als „Paar“ in der Gesellschaft zu bewegen. So ließ mein Freund Gott mich relativ schnell in Situationen geraten, in denen ich über ihn gesungen habe und er sich an meiner Stimme erfreut hat. Er ließ mich von sich erzählen, in Jungscharen und Bibelkreisen, und hörte ganz aufmerksam zu. Und dabei waren wir noch gar nicht lange liiert.
Schlussendlich ließ mein Freund Gott zu, dass ich auf Rockkonzerten als Frontmann einer evangelistischen Band von unserer Liebesbeziehung schwärmte. Am liebsten aber hört er den Klang meiner Stimme im Gebet, weil ihn das immer wieder an den Anfang auf dem Hochsitz erinnert. Und ich tue es gerne, obwohl ich auch noch genau weiß, wie ich mir im Schülergebetskreis beim Rundbeten oft fast in die Hosen gemacht habe, wenn das Gebet immer näher kam und ich wusste, dass ich jetzt gleich an der Reihe war, aber das Gefühl hatte, dass die anderen schon alles Interessante weggebetet hatten. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum ich bis heute das Stundengebet der Benediktinerinnen liebe, weil man dort nichts leisten muss, um besonders fromm und reif zu erscheinen, sondern einfach mit allen anderen zusammen vorgefertigte Gebete spricht. Ich hab allerdings noch nicht herausbekommen, wie mein Freund Gott aus all den vielen Stimmen meine beziehungsweise die Stimme eines jeden Geliebten heraushören kann.
Der vertraute Klang der Stimme des Freundes in der Dunkelheit ist für uns beide wie ein Leuchtturm in der aufgepeitschten See. Vom tiefen Seufzer über das 24-Stunden-Gebet bis hin zum strategischen Städte-Freibeten geht es letztendlich im Kern immer nur um das eine: um die Liebesbeziehungsaufnahme zweier Herzen, nämlich dem Herzen meines Freundes Gott und meinem Herzen. Das deutet das grundlegende Wort für Gebet im Neuen Testament, „proseuchomai“, an. Das ist das, was Jesus immer gemacht hat (z.B. in Markus 1,35: „Und frühmorgens, als es noch sehr dunkel war, stand er auf und ging hinaus und ging fort an einen einsamen Ort und betete [ proseuchomai] dort.“). Proseuchomai ist das grundlegende „Programm“ des Gebets, das Betriebssystem, ohne das man das Gebet zwar einschalten kann, aber ohne das die Programme nicht laufen. Ohne proseuchomai haben weder Gebetsmärsche noch Strategisches Gebet oder FFF (Fasting for Fun) Leben.
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