Die Feststellung, dass die Entwicklung von Antibiotika mit neuen Wirkmechanismen von der Pharmaindustrie in den letzten Jahrzehnten in der Forschung eine eher untergeordnete Rolle mit niedriger Priorität gespielt hat, wird sich in Zukunft damit auswirken, dass für gewisse Infektionen wenige bis gar keine geeignete Antibiotika zur Verfügung stehen werden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Gefahr, die von multiresistenten Bakterienstämmen ausgehen, durchaus erkannt und letztes Jahr die Pharmaindustrie, Regierungen und Gesundheitsbehörden dringend dazu aufgerufen, gemeinsam diese globale Gefahr der Antibiotikaresistenz zu bekämpfen. In Antwort darauf hat dieses Jahr die Europäische Kommission eine 224 Millionen Euro Initiative lanciert. Ziel dieser Initiative ist die Wirkungsweise von antibiotikaresistenten Bakterien besser zu verstehen und erfolgsversprechende Ansätze dazu zu benutzen, neue Antibiotika zu entwickeln. Fünf namhafte Pharmafirmen sind darin involviert.
In diesem Buch möchte ich beschreiben, wie sich der ganze Krankheitsverlauf zugetragen hat und was es bedeutet, wochenlang mit einer solchen Erkrankung in der Intensivstation zu liegen und intensivmedizinisch behandelt zu werden. Ich glaube auch für Ärzte und das Pflegepersonal, die dort arbeiten, ist es schwierig nachzuvollziehen, wie man sich wirklich fühlt und was man aus der Sicht des Patienten durchmacht und erlebt, genauso wie es schwierig ist, sich bei einem Besuch einer schwerkranken Person in diese hineinzuversetzen. Die Situation war zugleich drastisch und unglaublich. Ich vermute, man kann es erst richtig verstehen, wenn man es selbst erlebt hat. Ich hatte unglaubliches Glück, die schwere Sepsis mit mehrfachem Organversagen zu überleben und bin daher in der einzigartigen Lage, davon überhaupt berichten zu können.
In einem zweiten Teil des Buches möchte ich beschreiben, was es heißt, von einer solchen buchstäblich körperlichen Totalkollision wieder Schritt für Schritt in monatelanger Arbeit den Körper aufzubauen, die Kräfte zurückzugewinnen und erneut die für einen gesunden Menschen selbstverständlichen Funktionen wie atmen, sprechen, essen, verdauen und gehen erneut zu erlernen, um ins normale Leben zurückkehren zu können.
Die ganze Erkrankung war wie eine lange und wahnsinnige Reise, aus der ich auf unerklärliche und wundersame Weise heil zurückgekehrt bin.
ANGESTECKT
15. August 2011
Alles begann ganz harmlos. Nicht im Traum hätte ich damit gerechnet, dass ich eine Woche später in der Intensivstation um mein Leben kämpfen würde.
An einem dieser ungeliebten Montage hatte ich im Büro plötzlich eine gereizte Nase und musste ständig niesen. Auch die Nasenschleimhäute waren ausgetrocknet, gespannt und schmerzten leicht, wie ich es von meinem jährlichen Heuschnupfen oder von Flugreisen gut kannte. Die Nase lief in einem fort. Alles deutete darauf hin, dass ich wieder einmal eine Erkältung aufgeschnappt hatte. Es war allerdings etwas sonderbar, wie die Symptome so plötzlich begonnen hatten, denn beim Aufstehen fühlte ich mich noch gut, aber unüblich war es sicher nicht. Ich kehrte zeitig von der Arbeit nach Hause zurück und legte mich sofort ins Bett, da allmählich auch unangenehme Gliederschmerzen auftraten.
Dieser Montag war der zweite Geburtstag meiner jüngsten Tochter, die im Gegensatz zu allen anderen Familienmitgliedern im Sommer geboren wurde. Dies war natürlich ein besonderer Tag für uns und unser Nesthäkchen. Noch gut hatten wir ihre schnelle Geburt an einem Samstag Spätnachmittag in Erinnerung.
Meine Frau hatte ein feines Nachtessen vorbereitet und einen Schokoladenkuchen gebacken. Um ca. 19.00 Uhr stand ich wieder auf, um mit meiner Familie zu essen und mit den Kindern zu feiern. Obwohl ich mich immer noch nicht besser fühlte, entwickelte ich einen rechten Appetit. Um mich zu schonen und am nächsten Tag wieder fit zu sein, ging ich jedoch frühzeitig zu Bett.
Auch nach der einigermaßen gut verbrachten Nacht ging es mir nicht viel besser. Ich wurde bis am Freitag der vorangegangenen Woche wegen einer Schleimbeutelentzündung am linken Ellbogen mit einem Antibiotikum behandelt und hatte nun den Verdacht, dass diese nicht ausgeheilt war und wieder neu aufgeflammt sein könnte. Deshalb rief ich gleich nach dem Aufstehen meinen Hausarzt an. Dieser fand jedoch, dass ein neuer Ausbruch der Infektion sehr unwahrscheinlich sei und es sich vermutlich um das Anfangsstadium einer Erkältung oder Grippe handle. Ich solle mich wieder melden, falls es in zwei Tagen nicht besser sei. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass ich schon wieder eine Grippe bekommen sollte, denn schon anfangs des Jahres war ich für fast zehn Tage, gemäß den Symptomen vermutlich an der Schweinegrippe, erkrankt. Ohnehin war ich eigentlich selten krank oder erkältet. Da ich mich nicht kräftig genug fühlte, um zur Arbeit zu gehen, meldete ich mich bei der Firma krank. Den Tag verbrachte ich wieder größtenteils im Bett.
Bis am Abend ging es mir um einiges schlechter: ich lag unter einer dicken Decke und fror so jämmerlich, wie ich nie zuvor gefroren hatte. Auf meine Bitte brachte mir meine Frau eine Wolldecke, die sie mir zusätzlich auf das Daunenduvet auflegte. Doch auch das half nicht sehr. Zudem waren die Gliederschmerzen ziemlich heftig geworden. Ich nahm zwei Alcacyl-Brausetabletten ein und hoffte, diese würden eine Linderung bringen.
In der Nacht wachte ich auf und maß die Körpertemperatur. Ich erschrak: das Thermometer zeigte 40° an! Das erklärte den starken Schüttelfrost. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal so hohes Fieber gehabt hatte. Die Nacht war schlimm mit Fieberträumen, schwitzen und schlottern. Eine erneute Temperaturmessung um etwa drei oder vier Uhr morgens zeigte, dass diese in der Zwischenzeit trotz fiebersenkendem Medikament überhaupt nicht gefallen war und immer noch bei 40° lag.
Am Morgen fühlte ich mich so miserabel und schwach, dass ich kaum die Kraft hatte, aufzustehen. Es war mir klar: jetzt musste dringend etwas passieren! Ich wusste nicht, was mit mir los war. Irgendwie ahnte ich instinktiv, dass etwas Schlimmes geschehen war. Die Symptome waren so stark, dass dies nicht eine Grippe sein konnte. Ich rief gleich um 08:00 nochmals den Hausarzt an, wo jedoch nur ein Anrufbeantworter verlauten ließ, dass die ganze Belegschaft auf einem Betriebsausflug sei. Das hatte gerade noch gefehlt! Aber etwas Gutes hatte es auch. Da ich über das Hausarztmodell versichert war, musste ich zuerst den Hausarzt konsultieren, der mich falls nötig, an einen Spezialisten oder das Spital weiterleiten würde. Dies entfiel nun glücklicherweise.
Meine Frau riet mir, mich direkt in der Notfallstation des nahegelegenen Regionalspitals Rheinfelden anzumelden. Ich rief das Spital gleich an und teilte dem Empfang mit, dass ich nächstens eintreffen würde. Wie sich später zeigen sollte, war es mitunter das rechtzeitige Handeln, das mir wahrscheinlich das Leben gerettet hatte. Jeder Tag weiteren Zögerns und Abwartens wäre verheerend gewesen. Bevor ich mich ankleidete, kletterte ich völlig entkräftet in die Badewanne und versuchte, den überhitzten Körper mit einer lauwarmen Dusche zu kühlen, wie wir das auch bei unseren Kindern bei hohem Fieber zu tun pflegten.
Meine Frau fuhr mich anschließend in Begleitung meines Sohnes ins Spital. Vor dem Eingang wartete ich auf einer Bank bis meine Frau einen Parkplatz gefunden hatte. Jedes Mal, wenn ich heute an diesem Spital vorbeifahre und die Bank sehe, muss ich an diesen Augenblick denken und wie die ganze Geschichte begonnen hatte.
In der Notaufnahme muss man ja zum Teil mehrere Stunden warten, bis man an die Reihe kommt. Ich hatte keine Kraft, um zu sitzen, bis ich aufgerufen würde und bat deshalb einen vorbeieilenden Arzt, mich irgendwo hinlegen zu dürfen. Mein schlechter Zustand war offensichtlich, und er brachte mich sofort in ein Ambulatorium mit einer Liege. Ich war so dankbar, dass ich wenigstens liegen konnte.
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