Ein Glück nur, dass meine heißgeliebte Oma Josephine mein Leben in München sponserte. Dennoch brauchte ich jetzt dringend eine neue Perspektive, wenn ich nicht als Dauerpatientin bei einem Psychiater enden wollte.
Dann endlich, ausgerechnet am Faschingswochenende, schlug bei mir der Blitz ein, der Geistesblitz. In der Kirchenzeitung, schlechthin die Lieblingslektüre meiner streng katholischen Eltern, fiel mir folgende vielversprechende Anzeige eines Klosters ins Auge:
»Ora et labora – eine Woche der Sinnfindung«.
Ich wusste sofort, das ist meine Rettung. Eine Woche in völliger Abgeschiedenheit zwischen Beten und Küchendienst, da musste einem doch die Erleuchtung kommen bzw. der Wegweiser zu einem glücklichen Leben aufleuchten.
Im März war es dann soweit: An einem fürchterlich stürmischen eisigen Sonntagabend kam ich, nach einer dreistündigen Bahnfahrt, voller Hoffnung (notfalls konnte ich ja für immer ins Kloster gehen) und Erwartung (ich hatte mir schon einen dicken Schmöker, Gruselkrimi vom Feinsten, für einsame Abende eingepackt) im Kloster Marienfelde an. Eine Stunde später waren wir schon mittendrin in der berühmtberüchtigten Vorstellungsrunde: »Ich heiße Nora und komme aus Ingolstadt, ratet mal, warum ich hier bin.« Wir waren eine bunt gemischte Gruppe – na gut, die meisten hatten sich für ein fröhliches Schwarz entschieden – von zwölf Leuten, Männlein und Weiblein jeden Alters, alle mit ziemlich frustriertem Gesichtsausdruck, also ganz genau meine Wellenlänge. Ich dagegen hatte mich vorher klamottenmäßig noch in Unkosten gestürzt und für diese Woche extra neu eingekleidet, und zwar in freundlichen Farben. Neben Rot machte mich vor allem Weiß ganz heiß, getreu der Devise: »Manche mögen’s weiß«!
Ja – und dann sah ich dich! Du warst sozusagen der Lichtblick des dunklen Raumes, was nicht nur an deiner auffallend hellen Kleidung lag. Du hast mich angelächelt, um nicht zu sagen über beide Backen gegrinst, und bist dann, wie vom Blitz getroffen, vom Stuhl gekippt. Mein Herz überschlug sich sofort wie in einer Achterbahn. Meine Knie wurden wackeliger als Omas Wackelpudding, und ich wusste schlagartig: Das ist er, der Traummann deiner schlaflosen Nächte, dein Nick Charles.
Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben eine Erscheinung, was an solch heiligen Stätten sicher nicht außergewöhnlich ist, nur eben etwas anderer Art. Als du dich dann wieder vom Boden aufgerappelt und als »Nick« vorgestellt hast, da hörte ich alle Glöcklein klingen und die Englein singen.
Ich wusste, ich war angekommen am Ziel meiner langen Reise und Suche nach dem Lebensglück.
Nora hatte endlich ihren Nick gefunden.
Gott sei Dank hatten wir mit Pater Anselm einen sehr verständnisvollen Kursleiter, der ja auch mal jung gewesen und vielleicht sogar verliebt war. Er hat immer ein Auge zugedrückt, wenn wir uns bei einer an sich ernsten Meditation schmachtend oder albern kichernd ansahen, während die anderen Kursteilnehmer voll innerer Verzückung schon einen Meter über dem Boden schwebten. Sogar das Kartoffelschälen und Gemüseputzen in der dampfenden Klosterküche wurde für uns zu einem unvergesslichen Ereignis. Wir klebten aneinander wie siamesische Zwillinge und machten uns über die anderen griesgrämigen Gesichter lustig. Die Abende verbrachten wir bis spät in die Nacht im Klosterkeller bei einem schönen Gläschen Spätburgunder und unendlich langen, wunderbaren Gesprächen. Dagegen quälten sich unsere vertrockneten Mitbrüder und -schwestern mit hochgeistigen Themen, wie z.B.: »Welche Lieder sollen beim morgigen Gottesdienst gesungen werden?«, oder: »Soll der Blumenschmuck auf dem Altar bleiben oder nicht?«
Die »Armen« konnten einem wirklich leidtun, sie hatten keinerlei Lebensfreude und keinen Blick für das Wesentliche, und daran hat wohl auch diese Exerzitienwoche nichts geändert. Für sie war die Kleiderordnung bei der Erstkommunion, das Essen beim Pfarrfest und die Liedauswahl bei der Christmette (ohne »Stille Nacht« geht überhaupt nichts) immer noch das Wichtigste im Leben.
Am Ende des Seminars waren wir uns einig, dass wir jedes Jahr wieder nach Marienfelde zurückkehren würden, aus ewiger Dankbarkeit und wundervoller Erinnerung, und dass unser netter Pater Anselm irgendwann unsere Trauung halten sollte. Dieser Gedanke und ein Gedicht von dir, das du mir beim letzten Kuss ans Herz bzw. in die Hände gedrückt hast, haben den Abschiedsschmerz geringfügig betäubt.
Wieder zuhause, in meinem Zimmerchen im Studentenwohnheim, bekam ich erst mal so eine Art Kulturschock.
Wie sollte ich einen Tag ohne dich und deine charmant witzige Art überstehen? Wie sollte es jetzt überhaupt zum »Happy End« mit uns kommen? Zuerst habe ich mit Genuss und ohne Reue mein Jurastudium abgebrochen.
Ich brauchte jetzt dringend einen gut bezahlten Job, und so schrieb ich Tag und Nacht Bewerbungen, bis meine Finger wund waren, und telefonierte, bis mir die Ohren klingelten.
Schließlich landete ich bei einer Münchener Immobilienfirma mit einer Zweigstelle in Ingolstadt. Dies war zwar nicht gerade mein Traumjob, und über die Bezahlung konnte man nur müde lächeln, aber es war besser als gar nichts. Außerdem hatte ich die Option, nach der Einarbeitungszeit zum Hauptsitz nach München zu wechseln – was für eine Chance!
Doch leider musste ich zunächst meine »kleine Freiheit« im Studentenwohnheim aufgeben, nach Ingolstadt zurückkehren und zähneknirschend wieder in mein altes Kinderzimmer im elterlichen Hause einziehen.
Nun gut, die kurze Zeit würde ich, hoffentlich ohne größere seelische Schäden, überstehen. Sowohl deine unzähligen Liebesbriefe als auch die Aussicht auf eine gemeinsame Zukunft mit dir haben mich am Leben gehalten.
München, die Weltstadt mit Herz, schien uns beiden ein guter Ort zum Leben und Lieben. Doch zunächst hatte ich meine liebe Not, dort für uns eine geeignete Bleibe zu finden. Das ist beileibe nicht einfach, wenn man nicht gerade einen »Kaiser« als Vater hat und eventuell eine nette kleine Villa in Grünwald geschenkt bekommt.
Aber die Liebe verleiht Flügel, und so hatten wir schon relativ bald unser erstes Liebesnest entdeckt. Wir haben es dann »Amora« getauft, nach dem gleichlautenden Gedicht, das du für mich bzw. uns in Marienfelde geschrieben hattest.
Endlich konnte die gemeinsame Liebes- und Lebensgeschichte von Nick und Nora beginnen. Doch jetzt beginne ich erstmal mit den Vorbereitungen fürs Abendessen.
Ich freue mich schon auf Hauspost von dir, geliebter Nick!
Bussi und Ciao,
deine Nora
Geliebte Nora, meine Traumfrau!
Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie scharf ich darauf war, deinen ersten Brief aus Amora zu lesen! Und das hat nichts mit der neuen Senfmarke zu tun, über die ich momentan einen Rundfunkspot texten muss. Und da mir bis dato nur ein regelrechter »Senf«, um nicht zu sagen »Schmarrn«, eingefallen war, hatte ich gerade eine schöpferische Pause ein- und unsere Lieblingsplatte von Glen Miller aufgelegt. Mitten in der »Moonlight Serenade« muss ich dann wohl, in bequemer Anlehnung an das mit dem Namenszug »Amora« bestickte Sofakissen von Tante Hella sowie in Anlehnung an meinen Vornamen, einge-nickt sein.
Das »Nick«-erchen wurde dann jäh beendet, als du vehement an die Tür des Gästezimmers klopftest, um mir die frohe Botschaft zu verkünden: »Nick, Hauspost für dich!« Na endlich! Wie eine Rakete bin ich hochgeschossen und ins Arbeitszimmer gedüst, um mir deinen frisch ausgedruckten Brief, den du mit einem Schokotrüffel als dekorativem Briefbeschwerer auf dem Schreibtisch deponiert hattest, geistig einzuverleiben.
Deine süßen Zeilen sind so köstlich, liebe Nora, da kann selbst der Schokotrüffel nicht mithalten!
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