Es war Krieg, sagte sich Prow tausende Male. Es war weder seine Schuld noch seine Absicht gewesen, schließlich hatte er die Mine nicht hingelegt. Trotzdem verstand er Lisbeth, die seit diesem Tag nicht mehr mit ihm sprach.
Gequält warf er sich herum, warum fiel ihm all das ein? Waren die Verhöre noch nicht genug Belastung?
»Aufwachen!«
Er riss erschreckt die Augen auf und sah in ein Gesicht, das ihn anstarrte. Es war einer der FBI-Männer. Mühsam rappelte sich Prow auf, er musste über seinen Gedanken eingeschlafen sein und hatte keine Ahnung wieviel Zeit vergangen war.
»Es ist halb vier, Besuch ist da.«
»Halb vier, morgens …?«
»Nachmittag. Kommen Sie.«
»Wer ist denn da?«
Wortlos stemmte sich Prow von der Pritsche hoch. Er ging zum Waschbecken und ließ sich rasch Wasser über die Hände laufen und wusch sich das Gesicht. Dann nahm er sein zerknülltes Sakko und folgte dem Mann, der schon vor der Zellentür wartete.
Sie gingen hinauf in die Verhörräume. Im Gehen schlüpfte Prow in sein Sakko und strich es notdürftig glatt. Wahrscheinlich wartete wieder einer von Bronsteens Anwälten, um ihm noch weitere Schweinereien unterzujubeln, für die er den Kopf hinhalten sollte. Aber damit war Schluss, schwor er sich, keine Geständnisse mehr.
Die Zimmer für die Verhöre sahen alle gleich aus – hellgraue, schmucklose Wände, der übliche Spiegel, hinter dem jeder, der wollte, zuhören konnte und der festgeschraubte Tisch in der Mitte, über dem das Mikrophon für die Aufzeichnung von der Decke hing. Prow wurde auf den Stuhl gegenüber der Spiegelwand bugsiert, der ebenfalls verschraubt war, und erhielt Handschellen – eine Vorsichtsmaßnahme wenn Besucher zu Häftlingen kamen. Nur bei der Vernehmung mit den FBI-Spezialisten und bei Gesprächen mit dem eigenen Anwalt durfte man ohne Fesseln sitzen.
Lena war froh darüber, denn als sie den Raum betrat, starrte Prow sie ungläubig an und wäre ihr, nachdem sich sein Schock gelegt hatte, beinahe an die Gurgel gesprungen. Nur die Handschellen, die mit einer Stahlkette im Boden verankert waren, hielten ihn von dem Angriff ab.
»Du … du dreckige, du …«, zischte er dabei hasserfüllt. Seine Lippen wurden weiß, so kniff er den Mund zusammen. Mit den Händen ballte er Fäuste, die er impulsiv gegen sie hob, soweit die Kette dies zuließ.
Lena fuhr zuerst erschrocken zurück, dann richtete sie sich auf und ging zum Tisch.
Du machst mir keine Angst mehr, dachte sie, und beugte sich so nahe zu ihm vor, dass nur ein halber Meter zwischen ihr und seinem wütenden Gesicht waren. Sie würde sich nicht von ihm mitreißen lassen, sondern sachlich und höflich bleiben. Sie stellte ihre Aktentasche ab und setzte sich.
»Sie gestatten, dass ich mich setzte, Senator, wir haben einiges zu besprechen«, sagte sie, nachdem sie ihn ruhig gemustert hatte, ohne jegliche Aufregung in der Stimme und mit ausgesucht höflichem Tonfall.
Prow lehnte sich zurück auf seinen Stuhl. Langsam gewann er die Fassung wieder und sein Nacken entspannte sich.
»Wird nicht zu vermeiden sein, wie ich Sie kenne«, meinte er giftig. »Man müsste euch Journalisten alle aufhängen.«
»Seltsam, irgendwann einmal sagten Sie mir, Sie hätten ein großes Herz für uns. Das wäre auch besser, denn sonst werden Sie sich schwerlich Freunde bei der Presse machen, die Sie aber beim Prozess vielleicht bräuchten«, konterte Lena unverfroren.
»Der Prozess wird eine Farce«, bellte Prow, »das wissen Sie genauso gut wie ich. Alles, was ich gemacht habe, war nur im Auftrag und in Abstimmung mit Bronsteen, der sich herauswindet und an mir abputzt. Er würde hierher in diese Scheiße gehören, nicht ich!«
»Das ist wiederum eine Sache, wo ich Ihnen in dem Teil recht gebe, dass er auch hierher gehören würde«, sagte Lena und überlegte, »aber Sie wissen genug über diesen feinen Herrn, damit er die Scheiße zumindest mit Ihnen teilen müsste. Also bringen Sie es doch einfach ans Tageslicht.«
»Ich weiß gar nichts. Und wenn, würde ich es Ihnen nicht auf die Nase binden.«
»Ah, einer schwärzt den anderen nicht an. Der große Ehrenkodex der Gauner …«
»Sind Sie verrückt, wie reden Sie denn mit mir?« Prow fuhr hitzig auf und schrie sie hemmungslos an. »Was wollen Sie denn gegen einen Bronsteen ausrichten? Glauben Sie vielleicht, den kann man austricksen? Der schnippt einmal mit den Fingern und wir sind Geschichte. Der hat doch alle auf seiner Lohnliste, bis hinauf ins Weiße Haus!«
»Würden Sie das auch vor Gericht aussagen?«, fuhr Lena in Prows Ausbruch hinein.
»Ach hören Sie auf, Sie mit Ihrem Fanatismus alles aufdecken zu wollen.« Prow sank matt zurück. »Ich spiele da nicht mit, ich würde nämlich gerne überleben. Ich war so naiv in seinem Auftrag ein Geschäft abzuschließen. Dafür werde ich wahrscheinlich die nächsten vier Jahre im Gefängnis verbringen, aber danach habe ich meine Ruhe. Übrigens war das alles nicht gegen Amerika gerichtet, kein Mensch wäre hier zu Schaden gekommen.«
»Zählen Menschen woanders denn weniger für Sie?«
Prow versuchte einzulenken, sein unbeherrschter Ausbruch war ein Fehler gewesen. Er durfte sich von ihr nicht zu unbedachten Äußerungen hinreißen lassen.
»Meinen Sie etwa, die Arbeit im Dienste der Sicherheit eines Landes ist einfach?«, versuchte er daher einen staatsmännischen Ton anzuschlagen. »Für einen Senator der Vereinigten Staaten steht nur das Wohl des Vaterlandes im Vordergrund, das ist er den Bürgern schuldig. Sie haben ja keine Ahnung, was das für ein heikles Geschäft ist – man soll für Schutz und Frieden garantieren, aber die Gesetze erlauben nur einen engen Spielraum. Also muss man die Gefahr dort vernichten, wo sie entsteht, bevor das eigene Land betroffen ist. Da ist man ganz schnell im illegalen Bereich, wenn man einmal weiter ausholt!«
»Etwa so weit wie beim World Trade Center?« Lena hatte langsam gesprochen und jedes Wort betont.
Prow zuckte zurück. Was will sie denn damit, dachte er. Ohne Zweifel blufft sie und will mich aufs Glatteis führen, wie damals bei dem verfluchten Interview. Das wird ihr diesmal nicht gelingen.
»Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, was Sie mit dieser Bemerkung meinen«, sagte er deshalb vorsichtig.
»Dann kann ich Ihre Vorstellung gerne auffrischen!« Lena sagte es so unverbindlich, als würde es um eine kleine Gefälligkeit gehen. Sie öffnete ihre Aktentasche und zog die Kopie des Kontoauszugs mit der Überweisung heraus. »Sie haben Geld an einen der Attentäter überwiesen. Ihr Konto, ihre Handschrift, sehen Sie?«
Das hatte er auch noch in seinem Computer gehabt? Prow erschrak zutiefst, denn er wusste genau, was das war und seit Jahren fürchtete er den Moment, wo jemand diese Sache ausgraben würde. Er musste sich mit Gewalt zwingen, nicht vor Zorn aufzuschreien.
»Was … was wollen Sie damit?«, stotterte er. »Das waren Zahlungen für die Bauern in Kolumbien, wirklich ein rein soziales Projekt.«
»Eigenartig, ich wusste gar nicht, dass man über Kolumbien nach Hamburg kommt, denn dorthin sind die Zahlungen offensichtlich weitergelaufen.«
»Die Überweisung sagt gar nichts«, wand sich Prow hilflos und Schweiß begann über seine Stirn zu laufen. »Die ging an eine Bank in Bogotá, die die Gelder verwaltet hat. Das ist viele Jahre her. Wer weiß schon, was die damit bezahlt haben.«
»Sie wissen es«, entfuhr es Lena hart. Jeden Sicherheitsabstand außer Acht lassen, sprang sie auf, beugte sich über den Tisch und funkelte ihn direkt an. »Sie selbst haben den Vermerk auf den Beleg geschrieben: Überweisung für Eißendorf! Das ist der Vorort von Hamburg, wo einer der Attentäter des Anschlags wohnte! Und Sie wissen auch, Herr Ex-Senator, dass so etwas nicht verjährt. Wenn das an Ihnen hängen bleibt, werden Sie nicht mit gemütlichen vier Jahren durchkommen. Dafür geht es auf den Elektrischen Stuhl!«
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