Langsam leerte sich nun auch die Terrasse des Hauses, als Bronsteen zu seiner Suite ging um sich frisch zu machen. Verschiedene Gruppen saßen noch plaudernd im Schatten der großen Sonnenschirme, hauptsächlich die Frauen der Politiker. Sie nutzen das Treffen für einen ausgiebigen Smalltalk über Mode und die neuesten Faceliftings der afrikanischen Society.
Die Journalisten und Redakteure der Zeitungen hatten sich ins improvisierte Pressefoyer zurückgezogen, schrieben ihre Artikel oder luden die Fotos des Events auf die Websites ihrer Agenturen. Nur einer saß schwer angetrunken im Vorraum und grinste blöd in sein Handy, auf dem er offensichtlich versuchte eine SMS zu tippen.
Vor dem Hotel war ein Tumult zu hören. Bronsteen verhielt den Schritt vor einer Fensterwand. Draußen, zwischen der Umzäunungsmauer und dem Eingang, drängte sich eine Gruppe von Aktivisten. Sie hatten Sprüche wie: Keine Kinder für Waffenschieber, Wir haben genug vom Krieg oder Ami go home auf Papptafeln gemalt und auf lange Holzlatten genagelt. Die hielten sie schimpfend hoch und drohten mit den Fäusten in Richtung Hotel. Die kleine Menge bestand fast nur aus Frauen mit Kindern, darunter auch Weiße.
Manche Leute sind eben gegen alles, sogar wenn man als Wohltäter ins Land kommt, die demonstrieren immer, dachte Bronsteen. Insgeheim verfluchte er das Internet. Früher sprachen sich Besuche erst herum, wenn die Zeitungen am nächsten Tag darüber berichteten. Jetzt, mit der globalen Vernetzung, standen diese penetranten Aufrührer, die versuchten jeglichen Fortschritt zu blockieren, bereits am Flugfeld, wenn man ankam. Wahrscheinlich waren es auch diesmal seine Intimfeinde, die er unter dem Begriff Grüne zusammenfasste.
Zwei graue Armee-Hummer bogen in die Einfahrt und hielten in einer Staubfahne rechts und links von den Demonstranten. Mehrere Soldaten sprangen heraus und begannen mit Schlagstöcken wahllos auf die Gruppe einzudreschen. Die Frauen ließen die Tafeln fallen und flüchteten zum Tor zur Straße.
Eine der weißen Frauen stolperte über eine schmiedeeiserne Einfassung, die eine Grünfläche vom Beton trennte, und fiel der Länge nach aufs Gesicht. Mühsam rappelte sie sich auf. Der Soldat, der neben ihr stehengeblieben war, schlug ihr weit ausholend mit dem Knüppel auf den Hinterkopf. Sie rannte taumelnd weiter, während Blut aus ihrem hellen Haar zu rinnen begann.
Es dauerte keine fünf Minuten und die Auffahrt des Hotels war geräumt. Der Auflauf war vorbei. Ein Hotelboy kam dienstbeflissen, sammelte die Papptafeln ein und säuberte die Grünflächen.
»Das sollten unsere Unruhestifter einmal sehen«, murmelte Bronsteen und ging weiter durch den Flur zur Suite, »dann wüssten sie, wie human wir sie in den Staaten behandeln.«
Es war gegen Abend, als Tounambani vor dem vereinbarten privaten Treffen mit Bronsteen in die Bar Ambassadeur des Hotels kam. Obwohl das Licht angenehm gedämpft brannte, war sie nicht besonders gemütlich. Die großen dunklen Holzsäulen, die einen indirekt beleuchteten Himmel trugen, strahlten einen protzigen Charme aus. Und auch die durchgehenden Sitzbänke an den Wänden rundum wirkten nicht sehr einladend.
Tounambani sah sich um, dann winkte er dem Kellner und bestellte einen Whisky sauer, den er direkt ins angrenzende Billardzimmer bringen ließ, das er für das Treffen reserviert hatte. Er legte darauf Wert, bei einer Verabredung von Dingen abseits der regulären Angelegenheiten, ohne unliebsame Zuhörer zu sein. Die Vorsicht war ihm angeboren. Tounambanis Eltern stammten ursprünglich aus Zaire, dort war auch er noch geboren worden. Sein Vater, ein einfacher Lehrer, flüchtete bei Beginn der verheerenden Bürgerkriege und über mehrere Umwege landete die Familie schließlich in Bangui. Niemand hätte vermutet, dass aus dem kleinen Einwanderer einmal ein bekannter Politiker des Landes werden würde.
Alles, wovon er geträumt hatte – eine Position mit Einfluss und den Zugang zur privilegierten Schicht – erfüllte sich mit seiner Ernennung zum Minister. Dem kleinen, unscheinbaren und nicht sehr klugen Kind gelang es als Erwachsener, nachdem er eine politische Laufbahn als passend für sich entdeckt hatte, diese Eigenschaften zu seiner Stärke zu wandeln. Er begriff, dass man rascher auf eine entscheidende Position kam, wenn andere dachten, man wäre leicht zu beeinflussen. Mit einer ungeheuren Bauernschläue und großem Opportunismus manövrierte er sich geschickt nach oben. Binnen weniger Jahre baute er mit einigen treu Ergebenen eine brauchbare Seilschaft auf, die man zu fürchten begann. Wer sich nicht im akzeptierten Kreis bewegte, wurde gnadenlos verfolgt – entweder denunziert oder gleich eliminiert.
Bei der Vertreibung der Rebellen stärkte Tounambani gerade noch rechtzeitig die Seite Ndogars, der sich dafür revanchierte und ihn als Leiter des Ministeriums für Bergbau und Energiegewinnung vorschlug. Von den anderen wagte es niemand, dem Rat des neuen starken Mannes der Armee zu widersprechen. Ndogar erkaufte sich mit dem Schachzug ein komplettes politisches Netzwerk zur eigenen Absicherung.
Das Ministerium war klug ausgewählt, denn Tounambani erhielt damit die Kontrolle über alle wesentlichen Rohstoffe und Bodenschätze. Mit Hilfe von Ndogars Milizen waren die beiden ein gefährliches Gespann und machten inzwischen ein kleines Vermögen mit Diamantenschieberei und undurchsichtigen Landvergaben an windige ausländische Investoren. Der Deal mit Bronsteen und die Neuordnung der Schürfrechte an den Uranvorkommen, bislang exklusiv in den Händen eines staatlichen französischen Konzerns, war die vorläufige Krönung ihrer Aktivitäten, da ein finanzieller Rücklauf in zweistelligen Millionenbeträgen zu erwarten war. Die möglichen Gewinne aus korrupten Unternehmungen erreichten ein bis dahin ungeahntes Ausmaß.
»Guten Abend, Herr Minister«, sagte Bronsteen.
Tounambani, der mit seinem Whiskyglas in der Hand auf einem der Marmortische an der Seitenwand lehnte, war so in Gedanken gewesen, dass er kurz zusammenzuckte.
»Guten Abend.«
Bronsteen nickte kurz und schob dann einen Stuhl aus hellgrauem Samt zur Seite, der ihm den Weg zur Glasvitrine mit den Billard Queues verstellte. Bronsteen war ein Liebhaber des Spiels und hatte auch einen eigenen Tisch in seiner Residenz in Baltimore. In technischer Hinsicht konnte er es locker mit Profis aufnehmen und liebte das Spiel über die Bande, eine besonders schwierige Variante des Billards. Er öffnete den Schrank, fuhr prüfend über die Schäfte und wählte dann einen Karambol Queue aus marmoriertem Ahorn mit heller Spitze und Einlagen aus Ebenholz, den er prüfend in der Hand wog.
»So muss sich fremdgehen anfühlen, denke ich«, schmunzelte er, der selbst eine Sammlung erlesener handgefertigter Queues besaß, wovon manche mehrere tausend Dollar gekostet hatten, »aber ich bin zum Glück weder verheiratet noch anderweitig liiert.«
»Ah, ich dachte Madame Sarah …«
»Sie ist meine Entwicklungschefin und ich pflege keine intimen Verhältnisse mit Angestellten«, beendete Bronsteen die Fragen nach seinem Privatleben knapp.
Er bestellte einen doppelten Espresso. Bei dienstlichen Anlässen und Gesprächen behielt er gerne einen klaren Kopf und trank nie Alkohol. Überdies lockte ihn das Spiel als Entspannung nach dem vollen Tag. Er war nach elf Stunden Flug im Privatjet erst mittags aus Baltimore gekommen und genoss die ruhige konzentrierte Atmosphäre des abgegrenzten Lichts über dem grünen Tisch.
»Spielen Sie eine Partie mit?«, fragte er in Richtung Tounambani, während er die Kugeln auf den Anstoß legte.
»Ich sehe Ihnen lieber zu«, beeilte sich dieser zu sagen, denn er hatte noch nie im Leben so einen Holzstock in der Hand gehabt und fand es auch sinnlos damit eine Kugel anzustoßen, um zwei andere zu treffen. Er hatte auch nicht angenommen, dass Bronsteen das Spiel beherrsche, sondern den Ort nur gewählt, weil er als einziger Gesellschaftsraum die Möglichkeit bot, die Tür zu schließen und unbeobachtet zu sein.
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