Als die Fähre anlegte und die Klasse sich zusammengefunden hatte, marschierten sie auf eine quietschbunte und lustige Bahn zu. Darin war es proppenvoll und sie mussten sich auf ihren Stehplätzen gut festhalten, damit sie nicht umfielen, als die Bahn losfuhr. Doch die Fahrt dauerte nur etwa zehn Minuten, dann fuhren sie in den Hauptbahnhof ein.
Frau Barinkson verkündete: „Jeder kann jetzt für drei Stunden machen, was er möchte. Um halb fünf treffen wir uns wieder hier.“
„Kommt, ab zum Strand“, kam Pia Nina zuvor und sie rannten hinter einigen Pferdekutschen entlang Richtung Meer.
„Los!“, sagte Maria, und auch sie, Jana, Mia und Nina liefen los.
Nach etwa fünf Minuten kamen sie an einen sandigen Weg, der einen Hügel hinaufführte. Rechts und links des Sandweges befanden sich weitere Hügel, die mit Gras und Sträuchern bewachsen waren. In dieser für die Gegend so typischen Dünenlandschaft machte der Weg eine Kurve, und jetzt sahen sie das Meer. Staunend verharrten die Mädchen ein paar Sekunden, doch dann machten sie sich auf und gingen in Richtung der bunten Strandkörbe. Sie zogen sich in einem Strandkorb um und liefen dann an die Wasserkante, um zu schwimmen und Muscheln zu sammeln.
„Kalt!“, sagte Nina und nahm ihren Fuß aus dem Wasser.
„Es geht“, meinte Maria, die ihren Zeh ins Wasser hielt.
„Das ist doch voll warm!“, freute sich Jana, die Wasserratte, und sprang mit einem lauten Platsch in die Nordsee.
„Iiihh!“, kreischten Mia, Pia und Nina, als das Wasser auf sie spritzte.
„Na warte!“ Schon war Maria ebenfalls im Wasser und kraulte hinter Jana her.
Die übrigen drei Mädchen einigten sich darauf, trotz dieses heißen Tages nur Muscheln zu sammeln. Sie schlenderten zehn Minuten lang am Strand entlang, und als Jana und Maria wieder aus dem Wasser kamen, setzten sich alle fünf in die Strandkörbe und aßen das, was sie mitgenommen hatten. Ihre Vorräte bestanden aus aufgeweichter Schokolade, Gummibärchen, Kaugummis, Chips, Flips und – echt klasse! – einem Apfel. Die drei Stunden am Strand vergingen ziemlich schnell, und als sie nach der Rückfahrt mit Fähre und Bus wieder in der Jugendherberge angekommen waren, aßen sie zu Abend und verbrachten den Rest des Tages in ihrem Zimmer mit Kniffel, Monopoly und anderen Spielen, die sie von zuhause mitgebracht hatten.
Am nächsten Morgen war Nina zu aufgeregt, um bis zu ihrem Termin um zehn Uhr zu warten. Entweder dachte sie an Herrn Malan oder an ihren Geburtstag am nächsten Tag, und deshalb fragte sie Frau Barinkson, die sie beim Frühstück traf, ob ihr Lehrer überhaupt wieder aufgetaucht war. Doch die schüttelte nur den Kopf und sagte etwas Ähnliches wie: er sei ein Narr und würde jedes Mal verschwinden.
Mia, Pia, Maria und Jana trafen sich wegen Ninas Geburtstag dieses Mal in der Stadt, während Nina um Punkt zehn Uhr an die Tür des Raumes anklopfte, an dem sie am ersten Abend gelauscht hatte. Doch niemand antwortete ihr, und so ging das verstimmte Mädchen wieder in sein Zimmer und kümmerte sich um Tobias, den der Herbergsvater gestern lachend wieder abgeliefert und dabei gemeint hatte, Nina hätte einen „ustigen“ Bruder.
Und was sollte sie jetzt tun? Tobias lag in Ninas Bett, hatte einen neuen Schnuller – diesen hatten sie gestern nach dem Strandbesuch auf der Insel gekauft – im Mund und schlief seit etwa dreißig Sekunden. Und sie selbst saß immer noch neben ihm und überlegte, wie sie ihn wieder nach Hause bekam. Als sie Frau Barinkson gefragt hatte, wie sie das bewerkstelligen solle, hatte die Lehrerin nur „Nicht jetzt!“ gemurmelt und sich wieder in ihr Buch über das Wattenmeer vertieft. Also war heute ein Tag zum Langweilen. Das Wetter war auch nicht gerade super. Dunkle Wolken waren aufgezogen und im Radio hatten sie Regen angekündigt. Hoffentlich wurde das Wetter bis morgen noch besser! Nina hatte wirklich keine Lust, ihren Geburtstag im Regen zu feiern!
Draußen kam ein kräftiger Wind auf und einige der tiefgrünen Blätter der Eiche wirbelten durch die Luft. Nina stand ein paar Minuten vor dem Fenster und starrte missmutig hinaus, dann legte sie sich auf ihr Bett und fing an zu lesen. Nach kurzer Zeit begann es zu donnern und zu blitzen, Regentropfen fielen erst langsam, dann immer schneller vom Himmel und klatschten lautstark gegen die Fensterscheibe. Schemenhaft konnte sie draußen vier Gestalten auf dem Weg zum Bungalow erkennen. Zehn Minuten später waren Mia, Pia, Maria und Jana geduscht, hatten ihre Geschenke versteckt und saßen auf ihren Betten.
Mia und Jana stritten sich mal wieder – sie hatten es erstaunlich lange ohne Streit ausgehalten, fand Nina –, dieses Mal ging es um das Mittagessen:
„Wir gehen nicht hin, wir haben noch genügend Süßigkeiten“, meinte Jana mit vollem Mund, weil sie dabei war, tonnenweise Chips in sich hineinzustopfen.
„Hörst du wohl auf!“ Wütend entriss Mia ihr die Chipstüte und warf sie von Janas Hochbett, auf dem sie beide saßen, nach unten, wo Nina sie auffing und auf den Tisch legte – nicht ohne selbst vorher noch einmal in die Tüte zu langen.
„Die sind für abends!“, fuhr Mia fort. „Außerdem gibt es gesunden Salat und Nudeln! Das tut dir gut, du wirst sehen!“
„Chill mal!“, sagte Jana genervt und verdrehte mit Blick auf Mia die Augen. „Wir sind hier auf Klassenfahrt, da kann man wohl mal etwas Süßes essen. Und es sind ja auch nur zwei …“
„Siehste! Ganze zwei Wochen! Wie soll bitte schön unser Vorrat reichen, wenn du alles allein wegfrisst? Und außerdem hast du richtig bemerkt, man kann ‚mal‘ etwas Süßes essen. Mal ist in Ordnung, doch du verwechselst anscheinend ‚mal‘ und ‚immer‘, kann das sein?“
Mia warf Jana ein Kissen an den Kopf. „Das ‚Fressen‘ nimmst du zurück, du dumme Salatkuh!“
„Die, die zum Mittagessen gehen wollen, die gehen, und die anderen lassen es sein“, unterbrach Pia sie genervt, hüpfte von ihrem Bett, schlüpfte in die Hausschuhe, zog sich die Regenjacke über und verließ, gefolgt von Nina, Mia und Maria, das Zimmer.
„Na schön“, brummte Jana, „na schön“, und folgte ihnen.
Am Nachmittag verzogen sich die Wolken und die Sonne kam heraus. Die Mädchen liehen sich beim Herbergsvater Tischtennisschläger und belagerten die Tischtennisplatte.
Den Rest des Abends verbrachten sie größtenteils gelangweilt. Sie waren alle nicht so richtig bei der Sache, egal ob sie Monopoly oder Tischtennis spielten, denn die Gedanken der Mädchen kreisten um die ungewöhnlichen Ereignisse der letzten Tage.
Schneewittchen war nicht wieder aufgetaucht, was Nina zwar Sorgen bereitete, aber da sie nichts daran ändern konnte, rannte sie nur die Gänge ein paar Mal suchend rauf und runter. Und Frau Barinkson um Hilfe bitten konnte sie auch nicht – die Lehrerin hatte sich wegen Schneewittchen schon genug aufgeregt.
„Viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen, Gesundheit und Freude, sei auch mit dabei“, sangen Mia, Pia, Jana und Maria im Chor. Tobias krähte: „Herzlichen Mückwunsch zum Burseltag, Ina!“
„Danke!“, lachte Nina, rollte sich aus dem Bett und nahm ihre Geschenke entgegen; ein gemaltes Bild von ihrem Bruder, zwei Bücher von Mia, eine Tasse mit ihrem Namen drauf von Pia, ein Computerspiel von Jana und zehn kostenlose Reitstunden – na klar – von Maria!
In diesem Moment hatte sie all die Sorgen der letzten Tage verdrängt und war rundum glücklich.
Die Mädchen zogen sich um, dann gingen sie mit Tobias im Schlepptau in Richtung Frühstücksraum. Als sie an dem Raum vorbeikamen, an dem Nina am ersten Abend gelauscht hatte, hörte sie Herrn Malans leise gemurmelte Stimme und drehte sich ruckartig um. Er war also wieder da?! Mit einem Mal war sie vollkommen ernst. „Ich komme gleich nach“, sagte sie zu ihren Freundinnen.
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