Liselotte Welskopf-Henrich
Zwei Freunde
Roman
Mit einem Nachwort von Gerd Noglik
Palisander
eBook-Ausgabe
© 2015 by Palisander Verlag, Chemnitz
Erstmals erschienen 1956 im Verlag Tribüne, Berlin
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Covergestaltung: Anja Elstner unter Verwendung des Bildes »Großstadtwinkel« von Hans Baluschek
Lektorat: Palisander Verlag
Redaktion & Layout: Palisander Verlag
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015
ISBN 978 - 3-957840 - 12-7 (e-pub)
www.palisander-verlag.de
Liselotte Welskopf-Henrich (1901 - 1979) war eine deutsche Schriftstellerin und Wissenschaftlerin. In den Jahren der Naziherrschaft war sie am antifaschistischen Widerstandskampf beteiligt. Ihre Erfahrungen aus der Weimarer Republik und dem »tausendjährigen Reich« verarbeitete sie in ihren Romanen »Zwei Freunde« und »Jan und Jutta«. 1951 erschien die Urfassung ihres Indianerromans »Die Söhne der Großen Bärin«, den sie später zu einem sechsteiligen Werk erweiterte. 1966 erschien »Nacht über der Prärie«, der weltweit erste Gesellschaftsroman über die Reservationsindianer im 20. Jahrhundert. In den folgenden Jahren, bis zu ihrem Tod, entwickelte sie diese Thematik in vier weiteren Bänden weiter. Darüber hinaus war sie seit 1960 Professorin für Alte Geschichte an der Berliner Humboldt-Universität und seit 1962 Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Sowohl als Wissenschaftlerin als auch als Schriftstellerin fand sie internationale Anerkennung. Die Stammesgruppe der Oglala verlieh ihr für ihre tatkräftige Unterstützung des Freiheitskampfes der nordamerikanischen Indianer den Ehren-Stammesnamen Lakota-Tashina, »Schutzdecke der Lakota«.
Cover
Titel Liselotte Welskopf-Henrich Zwei Freunde Roman Mit einem Nachwort von Gerd Noglik Palisander
Impressum eBook-Ausgabe © 2015 by Palisander Verlag, Chemnitz Erstmals erschienen 1956 im Verlag Tribüne, Berlin Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Covergestaltung: Anja Elstner unter Verwendung des Bildes »Großstadtwinkel« von Hans Baluschek Lektorat: Palisander Verlag Redaktion & Layout: Palisander Verlag 1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015 ISBN 978 - 3-957840 - 12-7 (e-pub) www.palisander-verlag.de
Über die Autorin Liselotte Welskopf-Henrich (1901 - 1979) war eine deutsche Schriftstellerin und Wissenschaftlerin. In den Jahren der Naziherrschaft war sie am antifaschistischen Widerstandskampf beteiligt. Ihre Erfahrungen aus der Weimarer Republik und dem »tausendjährigen Reich« verarbeitete sie in ihren Romanen »Zwei Freunde« und »Jan und Jutta«. 1951 erschien die Urfassung ihres Indianerromans »Die Söhne der Großen Bärin«, den sie später zu einem sechsteiligen Werk erweiterte. 1966 erschien »Nacht über der Prärie«, der weltweit erste Gesellschaftsroman über die Reservationsindianer im 20. Jahrhundert. In den folgenden Jahren, bis zu ihrem Tod, entwickelte sie diese Thematik in vier weiteren Bänden weiter. Darüber hinaus war sie seit 1960 Professorin für Alte Geschichte an der Berliner Humboldt-Universität und seit 1962 Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Sowohl als Wissenschaftlerin als auch als Schriftstellerin fand sie internationale Anerkennung. Die Stammesgruppe der Oglala verlieh ihr für ihre tatkräftige Unterstützung des Freiheitskampfes der nordamerikanischen Indianer den Ehren-Stammesnamen Lakota-Tashina, »Schutzdecke der Lakota«.
Teil I – Ein Anfang und das Ende Teil I Ein Anfang und das Ende
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Teil II – Das Ende und ein Anfang
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Nachwort
Weitere Bücher
Ein Anfang und das Ende
Der junge Mensch löste sich aus dem Schlaf. Aus dem Mutterschoß des Unbewußten gelangte er wie das Neugeborene in Träume und Ahnungen; durch noch geschlossene Lider grüßten ihn rote und grüne Sonnen des werdenden Lichts. Er öffnete die Augen, und die bunten Sonnen erloschen. Im Dämmer zerfloß noch gnädig die Härte begrenzter Gegenstände. Das Bewußtsein schied den Erwachenden nur langsam aus dem Eins, in das die Arme des Kosmos ihn geschlungen hatten.
Das Schrillen des Weckers vernichtete die harmonischen Schwingungen von Leib und Seele. Dieses hassenswerte künstliche Werk, in dem Oskar Wichmann am Abend seinen Willen mechanisiert hatte, um zur festgelegten Stunde in die bürgerlichen Einteilungen zurückzukehren, schrillte mit unaufhörlichem Schreien. Der Fünfundzwanzigjährige hörte ohnmächtig dem Rufen seiner eigenen Entschlüsse zu. Er schlug die seidenbezogenen Daunendecken zurück, erhob sich von der Couch und lief bloßfüßig über den Teppich zu dem Kalender, auf dem nach dem Lösen des obersten Blattes der »1. Oktober 1928« in schwarzen Lettern erschien.
Die Wandlung war vollzogen. Der Regierungsassessor, Doktor der Rechte, begriff, daß ihn das hohe Ministerium, Erzeugnis desselben menschlichen Geistes, der Uhr und Kalender erfunden hatte, ab heute zum Dienst berief. Er begab sich durch die weiträumige Wohnung in das Badezimmer, dessen Benutzung in dem Mietpreis eingeschlossen war. Durch die grüne Fensterscheibe fiel schwindsüchtig das Herbstlicht. Die Wanne war gestrichen und an den Stellen, die der Wasserstrahl traf, verfärbt. Aus dem kalten Wasser stieg für den Badenden noch einmal ein Phantasiebild von nachtkühlem See und ersten Sonnenstrahlen auf. Die gesunden, kräftigen Glieder fröstelten. Dann verflog das Bild, und es blieben Seife, Frottierhandtuch und Rasierapparat.
Nach der Rückkehr in sein Zimmer hielt sich der Regierungsassessor vor dem Standspiegel auf, den die verwitwete Geheimrätin ihm abgetreten hatte. Er streckte das Kinn vor und strich über die glatte Haut, an der kein dunkler Schimmer mehr zu sehen war. Hemd, Socken, Krawatte, die zu dem gewählten Anzug paßten, lagen schon bereit, aber er verwarf die Entscheidung des vergangenen Abends wieder und kramte das noch bessere Hemd mit den feinen Streifen, die noch diskreter gemusterte Krawatte aus den Tiefen der Schublade hervor. Als der Scheitel durch das braune Haar gezogen, die Nägel geschnitten waren, rief die Klingel nach dem Frühstück.
Der Wartende trat an das rechte der beiden altmodisch hohen Fenster. Vor dem Haus tanzte die Sonne in den Nebelschleiern, die die Nymphen des nahen Parks nächtlicherweile in die Kreuderstraße hinübergeworfen hatten. Der Zuschauer verfolgte das Spiel, während sich seine Fingerspitzen im eindringenden Sonnenlicht wärmten. Die Straße unten lag morgendlich still. Die glatte Ruhe des Asphalts war nicht von Schienen durchfurcht, und nur wenige Spuren bremsender Autoreifen deuteten auf das Ausundeingehen der Familien und Gäste in den anliegenden Häusern. In der Mitte der Fahrbahn lagen drei welke Ahornblätter, die den Bemühungen des täglich und sorgsam reinigenden Besens entgangen waren. Der Wind hatte ihr sterbendes Leben von jenen Zweigen gepflückt, die das Gartentor der gegenüberliegenden Villa verschatteten. Die gilbenden Blattfächer der noch lebendigen Schwestern und Brüder fraßen tausendfältig Lichtstrahlen in ihre Zellen und Adern und ließen den sandbestreuten Gartenweg mit den Rasenrändern unter sich im Moderduft. Weit hinter dem Ahornbaum, der die Neugier ausschloß, schimmerte das undurchsichtige Glasauge eines Fensters.
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