»Na toll«, maulte Cromber los. »Und ich muss diese Launen dann ertragen. Ein Grund mehr, sich keine eigene Frau anzuschaffen.«
Artem klopfte seinem Onkel lachend auf die Schulter. Doch das Gelächter hörte schnell auf, als ein verwundeter Krieger einen gefangenen Schattenalp anschleppte. Sofort versammelten sich die Riesen wieder auf dem großen Platz vor dem Eingang des Tempels.
Der Schattenalp war mit beiden Händen an einen Speer gebunden worden. Es sah aus, als wäre er gekreuzigt worden. Zitternd vor Kälte sank er vor dem Fürsten auf die Knie. Seinen Kopf hielt er gesenkt. Er wusste bestimmt, was ihn erwartete, denn er sagte kein einziges Wort.
Artem fragte ihn nach seinem Namen, doch er bekam keine Antwort. Der Fürst packte ihn und zog ihn an den Haaren hoch, so das der Schattenalp in der Luft zappelte. Dann fragte Artem erneut nach seinem Namen. Doch der Schattenalp spuckte ihm ins Gesicht.
Angewidert ließ der Fürst den Schattenalp los, sodass er in den Schnee zurückfiel. »Schafft mir diesen Dreck aus den Augen und verscharrt ihn irgendwo im Wald!«, sprach er voller Verachtung.
Zwei Riesen ergriffen den Schattenalp und schleppten ihn sofort weg. Der verwundete Riese sah ihm für einen kurzen Augenblick nach. Dann wendete er sich seinem Fürsten zu. »Dieser Mistkerl hat mich mit zwei von seinen Freunden im Wald überfallen. Die anderen zwei Schattenalp habe ich erschlagen und den Wölfen überlassen. Und den dritten Kerl wollte ich dir zeigen, mein Fürst. Diese Brut wird immer dreister.«
»Ja, das stimmt«, erwiderte Artem. Er hockte sich hin und steckte seine Hände in den Schnee. Er war frisch gefallen und als er sich mit ihm sein Gesicht abrieb, erfrischte es ihn. Die Freunde fielen ihm wieder ein. Hoffentlich konnte er sich bald mit ihnen treffen. »Ich muss mich mit Tritor beraten. Was wir jetzt brauchen, ist das Erbe unserer Ahnen.«
Der verwundete Riese trat erschrocken einen Schritt zurück. »Das Erbe …«, flüsterte er so leise, dass er seine eigenen Worte kaum vernahm. Dann sah er zu seinem Fürsten. »Ich hoffe, du handelst ebenso weise, wie es einst unsere Ahnen taten«, sprach er zu Artem. Dann ging er zu seiner Familie.
Die Nacht war gekommen und die zahlreichen Lagerfeuer erhellten die gesamte Umgebung. Zufrieden betrachtete Dämonicon die fünftausend Halbriesen, die sich in ihrem Lager aufgestellt hatten. Neben ihm stand Brando, mit einer großen Streitaxt in der rechten Hand. Mit ihr zeigte er zu seinen Kriegern.
»Sie werden für dich kämpfen und sie werden siegen«, sprach der König der Halbriesen zu Dämonicon. »Jeder von ihnen hat die Kraft von zehn Elfen. Sie waren schon zur Zeit der Erz-Elfen gefürchtet und schon bald wird ihr blutiger Ruf ihnen wieder vorauseilen.«
»Auf einen blutigen Ruf gebe ich nicht viel«, erwiderte der schwarze Prinz. »Für mich zählen nur Siege und die müsst ihr erst noch erringen. Ich habe mein Wort gehalten und euch in die Welt der Lebenden zurückgeholt. Jetzt seid ihr dran. Ich schicke euch durch ein schwarzes Portal. Sobald es offen ist, lauft ihr einfach hinein. Ihr kommt auf der anderen Seite heraus. Die andere Seite - das ist die Insel Selan. Tötet alles, was sich euch dort in den Weg stellt.«
»Wann öffnest du dieses Portal?«, fragte Brando etwas zögerlich.
»Wenn es soweit ist«, antwortete Dämonicon. »Um ein so großes Portal zu öffnen, brauche ich nicht viel Magie. Doch ich muss es auch offen halten. Und das, mein lieber Brando, kostet mich sehr viel Kraft. Deshalb muss ich einige schwarze Geister herbeirufen. Doch diese Geister fordern ein Opfer für ihre Dienste. Ich will aber weder einen Halbriesen noch einen Schattenalp opfern. Deshalb habe ich meine Mutter mit Vagho und einige seiner besten Krieger losgeschickt.«
»Und wann werden sie zurück sein?«, fragte Brando, und dieses Mal klang seine Stimme reichlich ungeduldig.
Dämonicon beugte sich zu dem König vor und er sah ihm direkt in die Augen. »Nur keine Sorge«, knurrte er los. »Ich erwarte sie bis morgen Mittag zurück. Am Abend wird es dann soweit sein. Schicke deine Krieger in aller Frühe auf die Jagd. Ich weiß nicht, ob jeder von ihnen wirklich für zehn Elfen kämpfen kann. Doch für zehn ausgehungerte Elfenkrieger essen - das können sie bestimmt. Lass die Krieger zu ihren Feuerstellen zurückgehen und sorge für Ruhe. Sicherlich werden schon bald die ersten ungebetenen Besucher erscheinen. Da solltest du genügend Wachen aufstellen.«
Dämonicon drehte sich um und ging zu Laygon. Der hatte sich die Besichtigung der Halbriesen in aller Ruhe angesehen. »Diese Krieger sind wirklich beeindruckend«, sprach der Magier zu Dämonicon, als sie zum Bluthort zurückgingen. Ich möchte lieber nicht gegen solche Ungetüme zur Schlacht antreten.«
Der schwarze Prinz musste lächeln. »Diese Halbriesen sehen in der Tat Furcht einflößend aus. Doch sie sind nicht besonders schlau.«
»Na ja«, meinte Laygon. »Sie scheinen jedoch schlauer, als die roten Kriegstrolle zu sein. Sie haben jedenfalls bessere Manieren.«
Dämonicon erreichte seinen Polsterstuhl, der vor dem Kamin stand. Ächzend ließ er sich auf ihn nieder. »Die besseren Manieren haben sie bestimmt von ihren Vorfahren«, erklärte er dem Magier. »Die sollen ja zur Hälfte Riesen und zur anderen Hälfte Elfen gewesen sein. Ich weiß nicht, wie aus dieser ungleichen Mischung die Halbriesen entspringen konnten, doch der Legende nach soll es so gewesen sein.«
»Nun ja, auf gewisse Einzelheiten lege auch ich keinen all zu großen Wert«, erwiderte Laygon. »Viel wichtiger sollte die gesunde Heimkehr der Fürstin Monga und meines Königs Vagho sein. Ich bin mir sicher, dass sie die passenden Opfergaben finden werden.«
Dämonicon sah in den Kamin. Dort tanzte das Feuer wie immer auf den glühenden Holzscheiten. Er konnte sich denken, dass seine Mutter und der König der Schattenalp in der Nähe der westlichen Bauerndörfer ihre Beute suchten.
Zur gleichen Zeit schlichen sich Monga, Vagho und zehn weitere Krieger tatsächlich an ein kleines Dorf an. Sie hatten es auf die Bewohner eines einzeln stehenden Hofes abgesehen. Der war jedoch, wie alle Höfe des Dorfes, mit einer hohen Palisadenmauer umgeben.
Ein Hund bellte, ohne dass sich jemand darum zu kümmern schien. Vagho winkte einen seiner Krieger zu sich. Er deutete auf einen Baum, der nahe der Palisadenmauer stand. »Ich will nicht unnütz im Schnee liegen und warten«, flüsterte der König dem Krieger zu. »Deshalb wirst du auf den Baum klettern. Dann erlegst du mit deinem Bogen den verdammten Köter. Den Rest erledigen wir.«
Der Krieger nickte seinem Herrn zu und schlich zum Baum. Wieder ertönte das Gebell des Hundes. Rasch kletterte der Krieger auf den Baum. Dann sah er über die Palisadenmauer. Der Hund schien ihn zu sehen, denn sein Bellen verstummte und er starrte zum Baum, dessen Wipfel er gerade noch sehen konnte. Ein Pfeil traf ihm im Hals und er jaulte vor Schmerz auf. Dann blieb er regungslos im Schnee liegen.
Für die Anderen war es das Zeichen zum Angriff. Monga und Vagho flogen über die Palisaden, öffneten das Tor und die Krieger stürmten in den Hof. Sie drangen in alle Häuser ein und trieben die Bauern mit ihren Familien aus ihren Betten. Sie legten ihnen Fesseln an und führten sie sofort weg von dem Hof. Der Marsch zum Bluthort würde einige Stunden dauern, doch die Krieger fanden in den Stallungen Pferde und drei große Schlitten. Damit transportierten die Bauern eigentlich das Holz für ihre Kamine. Jetzt mussten sie sich auf ihre Schlitten setzen. Die Kinder weinten und die Frauen hielten sie ängstlich fest. Doch die Schattenalp kannten kein Erbarmen. Sie trieben die Menschen mit ihren Speeren zur Eile an.
Vagho sah zufrieden zu Monga. »Das hat doch wunderbar geklappt«, sprach er zur Fürstin. »Zwei Männer, vier Frauen und vier Kinder. Das ist ein guter Fang. Oder bist du anderer Meinung.«
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